90 Jahre nach der Tat von Hinterkaifeck:Mörderisches Mysterium

Vor 90 Jahren wurden auf dem oberbayerischen Einödhof Hinterkaifeck sechs Menschen ermordet. Die Tat zählt zu den brutalsten und rätselhaftesten Verbrechen der Kriminalgeschichte. Gästeführer bieten nächtliche Touren zum Tatort an, denn noch immer lässt der Blutrausch die Menschen erschaudern - auch deshalb, weil damals falsch ermittelt wurde.

Hans Kratzer

Stutzig geworden durch die anhaltende Stille auf dem Einödhof Hinterkaifeck, begaben sich die Nachbarn Lorenz Schlittenbauer, Jakob Sigl und Michael Pöll am 4. April 1922 auf den Weg dorthin. Die drei Landwirte hatten sich zu Recht Sorgen gemacht: Sie entdeckten sechs Leichen, vier lagen im Stall, zwei im Haus. Den fünf Familienmitgliedern sowie der Magd waren die Schädel eingeschlagen worden.

Hinterkaifeck

Hier geschah der Mord: Ein Jahr später wurde der Einödhof Hinterkaifeck abgerissen, weil niemand mehr hier wohnen wollte.

Wie sich herausstellte, war die Mordtat bereits in der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922 geschehen. An jenem Tag lag schon um die Mittagsstunde eine tiefe Düsternis über dem einsamen, gut sechs Kilometer von Schrobenhausen entfernten Anwesen. Auf dem Hof war kein elektrisches Licht vorhanden, es war kalt und stürmisch und es lag noch Schnee.

Trotz intensiver Ermittlungen wurde der Sechsfachmord bis heute nicht aufgeklärt. Hinterkaifeck zählt zu den brutalsten und rätselhaftesten Verbrechen in der deutschen Kriminalgeschichte. 90 Jahre danach lässt dieser Blutrausch die Menschen immer noch schaudern.

Im Jahr 2007 analysierten 15 angehende Kriminalbeamte den Mordfall Hinterkaifeck im Rahmen ihrer Abschlussarbeit und kamen zu dem Ergebnis, dass der oder die Täter mit den heutigen kriminaltechnischen Möglichkeiten mit großer Sicherheit überführt worden wären.

Damals aber wurden die Ermittlungen oberflächlich und zum Teil dilettantisch geführt und liefen damit ins Leere. Deshalb folgten dem Mord statt Aufklärung lediglich Spekulationen und Theorien, die dann reichlich Niederschlag fanden in der Literatur, im Theater und im Fernsehen. Außerdem wird in mehreren Internetforen Material zusammengetragen, kommentiert und weiter spekuliert. Sogar ein Plagiatsprozess begleitete die Nachgeschichte des Verbrechens.

Die Bestseller-Autorin Andrea Maria Schenkel musste sich gerichtlich des Vorwurfs erwehren, sie habe für ihren Erfolgsroman "Tannöd" aus den Hinterkaifeck-Büchern des Journalisten Peter Leuschner abgekupfert. Mittlerweile wird die Mordtat sogar "touristisch ausgeschlachtet", wie es die Nachrichtenagentur dpa formuliert hat. Tatsächlich bietet Gästeführerin Maria Weibl aus Waidhofen nächtliche Wanderungen zum Tatort an, die mit einem Vier-Gänge-Menü eingeleitet werden.

Gerade jetzt, zum 90. Jahrtag, stoßen die Führungen in dieser heute noch gruselig anmutenden Gegend auf riesiges Interesse. Weibl bietet ihren Service von November bis April an, denn in diesen Monaten spüre man jene gespenstische Atmosphäre mit Dunkelheit, Kälte und Nebel, wie sie auch 1922 vorherrschte, besonders intensiv. Auf dem Weg zum Tatort erzählt sie dann über die Umstände dieses spektakulären Verbrechens.

Das Anwesen Hinterkaifeck ist allerdings im Februar 1923 abgerissen worden, weil dort niemand mehr leben wollte. Erst dabei kam die blutverschmierte Tatwaffe zum Vorschein, auch das ist eines jener unerklärlichen Details, die diesen Mordfall in ein so mysteriöses Licht tauchen.

"Neid, Blutschande, Gottes Strafe"

Dass der oder die Täter nie ermittelt wurden, liegt auch daran, dass die kriminaltechnischen Möglichkeiten 1922 begrenzt waren. Die Ermittlungsarbeiten am Tatort waren überdies begleitet von haarsträubenden Versäumnissen. Namen wurden zum Teil falsch aufgeschrieben, und Fingerabdrücke wurden nicht gesichert.

Selbst heute kommen noch mysteriöse Funde ans Tageslicht. 2006 tauchte in einem Gebetbuch ein altes Sterbebild der getöteten Familie Gruber auf. Darauf sind handschriftlich in Sütterlin-Schrift die Worte "Neid, Blutschande, Gottes Strafe" zu lesen.

Zweifellos verhielt sich die Familie Gruber zu Lebzeiten seltsam, das bestätigen die vorliegenden Quellen. Karl Gabriel, der Ehemann der Gruber-Tochter Victoria, war im Dezember 1914 in Frankreich gefallen. Kurz darauf wurden Victoria Gabriel und ihr Vater Andreas Gruber zu Zuchthausstrafen wegen Blutschande verurteilt. Cäcilia Gruber hatte das Verhältnis ihres Mannes und ihrer Tochter wohl geduldet.

1918 begann Victoria ein Verhältnis mit dem Ortsführer Lorenz Schlittenbauer. Ob er der Vater von Victorias Sohn war, ist offen, seine Vaterschaft erkannte er nach langen Hin und Her an. Er litt sein Leben lang darunter, dass er als Tatverdächtiger galt.

Merkwürdig auch, dass eine Magd im Jahr 1921 den Hof fluchtartig verließ, weil sie sich beobachtet fühlte. Auch Victoria und ihr Vater registrierten nach eigenen Aussagen am Waldrand eine Person, die den Hof beobachtete. Die Polizei wollten sie aber nicht einschalten. Der oder die Täter müssen sich nach der Bluttat noch tagelang auf dem Hof aufgehalten haben, denn das Vieh wurde weiter versorgt. Rätselhaft auch, warum Victoria kurz vor ihrem Tod ihre Ersparnisse auflöste und sich einen Batzen Geld lieh.

Zum 90. Jahrestag der Bluttat zeigt das Armeemuseum am Samstag im Fahnensaal des Neuen Schlosses in Ingolstadt die 1981 von Hans Fegert gedrehte Filmrarität "Hinterkaifeck - Symbol des Unheimlichen". Darin hat Fegert noch einen Zeitzeugen interviewt, der beim Fund der Leichen dabei war. Im Anschluss wird Kriminalhauptkommissar a.D. Konrad Müller über die Aufklärungsversuche der Polizei berichten (15, 17 und 19 Uhr; Karten an der Kasse des Neuen Schlosses).

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