Süddeutsche Zeitung

20 Jahre nach Franz Josef Strauß:Stillgestanden!

Schnupftabak, Schnadahüpferl und Scheinztüacherl: Doch erst die FJS-Würdigung der gestrengen Lehrerin machte aus den Schülern der 3b gute Bayern.

Erlebt von Max Scharnigg

Die Ereignisse des 3. Oktober 1988 hatten auch Nachwirkungen im Klassenzimmer der 3b der Grundschule an der Droste-Hülshoff-Straße in München 21. Dort herrschte damals die alte Frau Hoffmann über uns, mit herber Strenge und altbayerischer Wucht.

Im Winter ließ sie Engel basteln, deren Verkaufserlös von ihr persönlich nach Togo in Westafrika geschickt wurde. Das sei schließlich früher eine deutsche Kolonie gewesen, erklärte sie nicht nur uns, sondern auch unseren Müttern, die maßgeblich für den Verkaufserlös sorgen mussten.

Im Sommer stählte uns Frau Hoffmann beim Völkerball, für das sie einen kleinen Handball besorgt hatte - extrahart und schwer zu fangen. Wir lernten von ihr wie Bayern zu singen, trugen artig Lieder vor, in denen es um "Schnupftabak" und "Schneiztüachl" ging und notierten in stolpernder Schrift im HSK-Heft die Definition eines "Schnadahüpferls". Frau Hoffmann war stets fidel und wer nicht parierte, flog raus.

Am 4. Oktober 1988 allerdings, zitterten die Kastanienmännchen auf dem Fensterbrett, als unsere Lehrerin das Klassenzimmer betrat. Wie ein angeschossener Tegernseer Hirsch wankte sie aufs Pult zu, fixierte uns böse, die wir aufgestanden waren, um unser "Guten Morgen" zu jubilieren. Andere Klassen durften dabei sitzen. "Stehenbleiben!" kommandierte Frau Hoffmann und verbat sich das Guten Morgen. Wir standen.

Was nun folgte, war die vermutlich schönste Würdigung, die Franz Josef Strauß je bekommen hat. Kein Parteifreund, kein Wegbegleiter kann aus dem Stegreif eine ähnlich vollkommene, gleichsam detaillierte wie großzügig übertriebene Eloge gehalten haben, wie Frau Hoffmann sie an diesem Vormittag vor 24 stehenden Drittklässlern anstimmte.

Sie ließ nichts aus. Auf die martialische Schilderung seines Todeskampfs im Regensburger Krankenhaus folgte Erbauliches aus Kindheit und Jugend in der Münchner Schellingstraße.

"Denn er war Maximilianer"

Frau Hoffmann konnte so plastisch darlegen wie der Bub Franz schon dort, beim Spiel zwischen Kehrichttonnen, Züge eines zukünftigen Landesvaters erkennen ließ, dass wir fest davon ausgingen, sie wäre dabei gewesen. Angesichts ihres Publikums entschied Frau Hoffmann, eine besondere Betonung auf schulische Erfolge des Verstorbenen zu legen.

Brillant in allen Fächern, dabei sittsam und niemals altklug, sei er gewesen, voller Bescheidenheit. Letzteres hätte den Franz schließlich auch fast davon abgehalten, die Universität zu besuchen, obwohl er mit Bayerns bestem Abitur abschließen konnte.

An dieser Stelle ihrer Erinnerungen machte Frau Hoffmann eine effektvolle Pause, um dann mit fester Stimme den Höhepunkt zu markieren: Ein Lehrer sei es gewesen, der Franz dann doch ins Maximilaneum brachte, ein alter Lehrer!

Das Wort Maximilianeum schrieb sie groß an die Tafel, in Flammenschrift, wie uns vorkam. Darum kreiste die nächste Stunde - Frau Hoffmann berauschte sich daran, immer wieder: "Denn er war Maximilianer!" zu rufen. Sie kam auch von den weitesten Ausritten in die jüngere und jüngste Politik auf die Studienstiftung zurück, an der, das war deutlich, für einen wirklichen Helden kein Schritt vorbeiführte.

Wir drittklassigen Helden standen und lauschten gebannt der Lebensgeschichte dieses offenbar Strahlendsten aller Menschen oder eben: Bayern. Zunehmend gerieten Frau Hoffmann ihre Anekdoten auch in die Nähe klassischer Sachaufgaben, die sie uns stellte, und bei denen die richtige Lösung immer Franz Josef Strauß lautete.

Weil sie eine gute Lehrerin war, ließ sie während ihrer ganzen Totenrede keine Zweifel daran, dass sie in unseren Reihen nach einem würdigen Nachfolger suchte. Einem, der freilich auch vorher erstmal das Maximilianeum besuchen müsste, vielleicht auf ihre Vermittlung hin?

Keiner unter uns, der sich das in diesen Stunden nicht fest ins Herz versprochen hätte. Keiner, der nicht das ein oder andere der vielen großartigen FJS-Beispiele für Lebensführung behalten hätte.

Frau Hoffmann hat uns an diesem Vormittag auf Kurs gebracht. Zum Ende ihrer Andacht sangen wir gemeinsam die bayerische Hymne, sie wischte kleine Tränen aus den Augenwinkeln und scheuchte uns, die wir tief ergriffen ausharrten, auf den Pausenhof.

Nach diesem Tag steuerte die 3b kollektiv auf das Maximilaneum zu. Es haben dann doch nicht alle geschafft. Aber gute Bayern sind wir alle geworden. Dank Frau Hoffmann und ein kleines bisschen eben auch dank Franz Josef Strauß.

Und was wissen Sie noch von Franz Josef Strauß? Der Autor, Max Scharnigg, hat die User von jetzt.de aufgerufen, ihm ihre Erinnerungen zu posten. Vom "Größten Bazi aller Zeiten" bis hin zur "Mia-san-dagegen"-Mentalität: Das haben die Nutzer geschrieben.

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SZ vom 02.08.2008/hai
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