Dresscode an Würzburger Gymnasium:Protest gegen die bauchfrei-freie Zone

Sommertrend ultrakurze Hosen

Allzu freizügig soll am Würzburger Deutschhaus-Gymnasium niemand mehr erscheinen.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Seit dem 1. Mai gilt am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg eine Kleidungsvorschrift. Vor allem allzu freizügige Klamotten und T-Shirts mit zweifelhaften Aufschriften sollen verschwinden.
  • Lehrer und Schüler haben sich den Dresscode gemeinsam überlegt, auf Initiative von Elternsprechern.
  • Einigen Schülern gefällt die neue Regel nicht - doch sie protestieren nur anonym.

Von Sophie Burfeind, Würzburg

Der junge Mann trägt eine rote Sturmhaube, damit man sein Gesicht nicht sieht, er rennt ins Glasfoyer der Schule, einen dicken Stoß Flugblätter in der Hand. Was ist da bitte los im Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg?

Die Antwort kann man auf den Flugblättern nachlesen, allerdings etwas umständlich formuliert: "Der Dresscode verstößt aus einer sexistischen und reaktionären Motivation gegen euer im Grundrecht verbrieftes Recht auf die freie Entfaltung eurer Persönlichkeit."

Der Dresscode: Seit dem ersten Mai gilt am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg eine Kleidungsvorschrift. Lehrer und Schüler haben sie sich gemeinsam überlegt, auf Initiative von Elternsprechern. Das heißt, offensichtlich nicht alle Schüler - einige wehren sich gegen die vermeintliche Gängelung. Sie tun das aber anonym. Wie viele es sind, das kann man nicht genau sagen.

Bauchfrei gibt es nicht

Man kann an einem heißen Frühlingstag aber einfach mal schauen, was die Schüler auf dem Pausenhof so anhaben. Die Mädchen tragen Hotpants und Tops. Aber bauchfrei, das fällt schon auf, ist keine unterwegs. Auch durchsichtige Blusen, unter denen der BH durchscheint, sind nicht zu entdecken. Die Jungs haben ihre ärmellosen Tanktops gegen T-Shirts getauscht. Die neuen Regeln am Deutschhaus-Gymnasium - sie werden akzeptiert. Oder?

In der Schulküche. Acht Schüler sind zu einem Gespräch gekommen, auch Marielle Walk, Mitglied der Schulleitung, sitzt am Tisch. Sie hat die Entwicklung des Dresscodes betreut. Die Schüler finden es gut, dass bestimmte Kleidungsstücke nicht mehr in der Schule getragen werden sollen. Sie selber tragen Blusen, Hemden und einfarbige Shirts, vorschriftsmäßig. "Es geht darum, zu lernen, sich angemessen anzuziehen und nicht zu viel von sich preiszugeben", sagt Tabea, 15. Ihre Mitschülerin Lucy, 18, fügt hinzu: "Wir werden hier ja aufs Berufsleben vorbereitet." Für Kristina, 16, ist eine ordentliche Bekleidung "ein Zeichen von Respekt, sowohl den Lehrern als auch den Schülern gegenüber". Und Moritz, 17, sagt: "Für die meisten ist es sowieso keine Änderung, wenn sie in der Früh vorm Kleiderschrank stehen." Nur Leo , 16, gibt zu, dass er seine Tanktops jetzt nur noch in der Freizeit anzieht. Das störe ihn aber nicht.

Ein paar Tage zuvor: Die anonyme Schülergruppe hat auf der Facebookseite "Der Dresscode muss weg" zu einem Anti-Dresscode-Tag aufgerufen. An dem nimmt niemand teil.

Ein T-Shirt aus dem Sekretariat

Es sind die Lehrer, die darüber wachen, dass der Dresscode eingehalten wird. Finden sie, dass ein Schüler grob dagegen verstößt, muss der sich etwas anderes anziehen - oder im Sekretariat ein T-Shirt holen und überziehen. Auf die Sanktionen hätten die Schüler bestanden, nicht die Lehrer, sagt Marielle Walk. "Was nutzt es, wenn wir eine Regel aufstellen, die vollkommen unverbindlich ist?", hätten sie gesagt. Die Lehrerin stellt klar, dass es aber "keine Modepolizei" geben wird, die mit Maßband in der Hand durch das Schulhaus patrouilliert. Der Dresscode solle für die Schüler eine Orientierungshilfe sein, nicht allzu freizügig herumzulaufen. Und: "Das Hauptaugenmerk liegt nicht auf irgendeiner Länge, sondern auf den T-Shirt-Aufschriften", sagt die Schülersprecherin Blanka Fehn. Auf denen sollen keine drogen- und gewaltverherrlichenden, sexistischen oder rassistischen Botschaften stehen. Umziehen musste sich am Deutschhaus-Gymnasium bisher noch keiner.

Dresscode an Würzburger Gymnasium: Lehrer und Schüler haben sich auf den Drescode geeinigt. (Illustration: Dennis Schmidt)

Lehrer und Schüler haben sich auf den Drescode geeinigt. (Illustration: Dennis Schmidt)

Auch jene Elft- und Zwölftklässler nicht, die den Dresscode jetzt kritisieren. Ihnen geht es ums Prinzip.

Wenig Verständnis für die Anonymen

Die Schüler in der Küche haben wenig Verständnis dafür. Sie stört vor allem, dass der Protest anonym ist. "Normalerweise sucht man erst das Gespräch und macht dann die Demo, aber nicht umgekehrt", sagt Blanka Fehn. Marielle Walk begrüßt es zwar, "dass der Dresscode an unserer Schule die Gemüter bewegt und eine Diskussion angeregt wird". Aber auch sie wünscht sich eine offene Diskussion - in der keine Tatsachen verdreht werden. Viele Schüler ärgern sich, dass die anonyme Gruppe falsche Behauptungen verbreitet hat: Dass die Kleiderregeln von der Schulleitung aufgezwungen wurden oder dass man keine nackten Schultern mehr zeigen darf. Und das Hauptargument der Protestgruppe, dass Grundrechte eingeschränkt werden? Zählt für die Schüler nicht. Moritz sagt: "Ich glaube, es ist schon wichtig, dass die Leute ihren eigenen Stil entwickeln können, aber dieser eigene Stil geht selten über die festgelegten Grenzen hinaus."

Viele Kilometer weiter südlich sieht das jemand ganz anders. Ingo Barlovic ist Jugendforscher in München. "Kleidung wird für junge Menschen schon im Alter von elf bis 14 Jahren wichtig", sagt er, "aber erst mit 16 oder 17 Jahren geht es darum, Individualität auszudrücken und einen eigenen Stil zu entwickeln, der nicht mehr konform ist mit der Masse." Barlovic leitet das Jugendforschungsinstitut "iconkids & youth". Er kennt sich aus mit Mode und Konsum bei Jugendlichen. "Dass ich es dann als störend empfinde, wenn mir jemand Vorschriften zur Kleidung macht, ist verständlich." Zwar werde die Selbstdarstellung im Internet oder in sozialen Netzwerken für junge Leute immer wichtiger. Aber: "Kleidung bleibt immer noch das sichtbarste Statement nach außen über mich."

Irritation über konservative Jugendliche

Rassistische oder rechtsradikale Aufschriften auf T-Shirts zu verbieten, das findet er gut. Aber nicht vermeintlich zu freizügige Kleidung. Die Diskussionen habe man schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren geführt, sagt er. "Mich irritiert die neue Konservativität der Jugendlichen, die solche Einschränkungen widerstandslos akzeptieren oder sogar daran mitwirken." Laut einer Sprecherin des Kultusministeriums gibt es Kleidervorschriften auch an anderen bayerischen Schulen. Ob es dort Proteste gab, sei nicht bekannt.

Es ist Mittag in Würzburg. Die Schüler gehen nach Hause. Manche vielleicht: zum Umziehen.

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