Vorwürfe gegen Glaubensgemeinschaft:Wer spielen will, wird verprügelt

EXTRA - Das RTL-Magazin

Trügerische Idylle bei einem Hoffest der Glaubensgemeinschaft. Filmaufnahmen mit versteckter Kamera zeigen, wie Kinder dort offenbar wegen Nichtigkeiten geschlagen wurden.

Die Filmaufnahmen werden in der RTL-Sendung "Extra" am Montagabend um 22:45 Uhr gezeigt.

(Foto: RTL)

"Das ist so grausam, das können wir gar nicht alles zeigen": Filmaufnahmen mit versteckter Kamera zeigen, wie in der urchristlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" Kinder wegen Nichtigkeiten geschlagen wurden - mit der Rute auf die nackte Haut.

Von Stefan Mayr

In der urchristlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" sind Kinder offenbar wegen Nichtigkeiten geschlagen worden, zum Beispiel, wenn sie zu spielen anfingen. Das geht aus Aufnahmen des Fernsehsenders RTL hervor. Der Journalist Wolfram Kuhnigk hat mit versteckten Kameras aufgezeichnet, wie sechs verschiedene Kinder mit Weidenruten teilweise auf den nackten Po geschlagen wurden.

Am vergangenen Donnerstag hatte die Polizei 40 Kinder aus den Unterkünften der Glaubensgemeinschaft in Deiningen und Wörnitz in Obhut genommen. Wie jetzt bekannt wurde, beruhte der Einsatz, an dem 100 Polizisten und etliche Mitarbeiter der Jugendämter Donau-Ries und Ansbach beteiligt waren, nicht nur auf Zeugenaussagen von Aussteigern, sondern auch auf Kuhnigks Filmaufnahmen.

Der Reporter hatte sich zwölf Tage lang auf dem Hofgut Klosterzimmern inmitten der urchristlichen Gemeinschaft aufgehalten. "Ich habe weit mehr als 50 Schläge dokumentiert, das ist so grausam, das können wir gar nicht alles zeigen", sagt Kuhnigk. Seine Aufnahmen werden am Montagabend im RTL-Magazin "Extra" ausgestrahlt werden, nach Kuhnigks Angaben hat die Staatsanwaltschaft Augsburg das Rohmaterial bereits angefordert.

Laut Kuhnigk finden die Schläge in zwei verschiedenen fensterlosen Räumen statt. Dort müssen die Kinder ihre Hose herunterlassen und sich mit ausgestreckten Beinen nach vorne beugen. Dann werden sie von hinten mit den Ruten geschlagen. "Teilweise sind das nicht die eigenen Eltern, sondern auch andere Erwachsene", berichtet der Reporter.

"Systematisch, emotionslos und unmenschlich"

"Die Kinder weinen teilweise, aber das ist den prügelnden Frauen egal", sagt Kuhnigk. "Diese Misshandlung ist systematisch, emotionslos und unmenschlich, die Kinder werden gebrochen, ich war beim Anblick der Bilder fassungslos und habe fast geweint." Kuhnigk hatte als angeblich sinnsuchender Mensch immer wieder tageweise als Gast in der Gemeinschaft übernachtet, dabei installierte er in den Räumen Kameras und Mikrofone, die vollautomatisch aufnehmen.

Das jüngste geschlagene Kind sei schätzungsweise drei Jahre alt gewesen. Als Grund für die Schläge genügten Kuhnigk zufolge "Sprechen beim Essen", "aus dem Fenster schauen in der Schule" oder "wenn ein Kind versucht zu spielen". Was unglaublich klingt, erklärt Kuhnigk so: "Die Mitglieder glauben, in der Welt des Spielens und der Phantasie wartet der Teufel, und den muss man den Kindern austreiben."

So stehe es in den Erziehungsgrundsätzen der Gemeinschaft, wie Aussteiger beteuern. Das "Recht zur Korrektur" hätten dabei alle getauften Mitglieder der Gemeinschaft. "Die Eltern übertragen das Recht zur Strafe auf alle Mitglieder, und jeder darf ein Kind bestrafen, wenn er es für angebracht hält."

"Monatelang aus dem Familienverband isoliert"

Mitte August spielte Kuhnigk sein Bild- und Tonmaterial dem Familiengericht Nördlingen vor. Zwei Wochen später erließ das Gericht den Beschluss, den Sektenmitgliedern vorläufig das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen. "Wenn das Kindswohl durch massives Fehlverhalten gefährdet ist, ist das Familiengericht gesetzlich verpflichtet einzuschreiten", betont Amtsgerichtsdirektors Helmut Beyschlag.

Jedes Kind habe das "Recht auf gewaltfreie Erziehung". Und "trotz vielfacher Gespräche und Hilfsangebote" hätten die Gemeindemitglieder weiterhin ihre Kinder "gezüchtigt und seelisch zu misshandelt". Beyschlag bestätigt neben den Rutenschlägen auch, dass Jugendliche "wochen- und monatelang aus dem Familienverband isoliert und quasi geächtet" wurden.

Die Mitglieder der "Zwölf Stämme" wehren sich gegen die Vorwürfe. "Seelische Misshandlung und Isolation hat hier nur stattgefunden, als die Behörden unsere Kinder weggenommen haben", sagt ein Vater. Auf die Frage, ob es in Klosterzimmern Rutenschläge gab, weicht er aus: "Dazu sage ich nichts."

Lob vom Kinderschutzbund

Im Internet gehen die "Zwölf Stämme" in die Offensive: Auf ihrer Homepage werben sie um Unterstützung in der Bevölkerung und erheben schwere Vorwürfe. Ein "Augenzeugenbericht" der "Razzia" spricht von "Sippenhaft" und droht den Behörden: "Eines Tages werden Sie sich vor Ihrem Schöpfer dafür, was hier geschieht, verantworten müssen."

In einer polizeilichen Vernehmung hatte ein Mitglied schon einmal eingeräumt, dass Züchtigung bei den "Zwölf Stämmen" zur Erziehung gehöre. Diese Aussage genügte der Staatsanwaltschaft Augsburg allerdings nicht für eine Anklage, weil sich keine Tat "ausreichend konkretisieren" ließ. Doch am Donnerstag wurde ein neues Ermittlungsverfahren aufgenommen. Der Verdacht lautet auf Misshandlung von Schutzbefohlenen, gefährliche Körperverletzung und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht.

Der bayerische Kinderschutzbund lobte die Arbeit der Behörden. "Wenn das Kindeswohl tatsächlich gefährdet war, dann hat das Jugendamt da einen richtig guten Job gemacht", sagt der Landesvorsitzende Ekkehard Mutschler.

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