SPD-Kandidat in Niederbayern:Steinbrück auf Teufels Gipfel

"Fühlt sich das jetzt an wie Ihr Wahlkampf - steinig?" Peer Steinbrück wandert zusammen mit bayerischen Genossen auf den Lusen in der tiefschwarzen Provinz. Der Berg fordert dem SPD-Kanzlerkandidaten einiges ab - und dann versucht ihn die Junge Union auch noch vorzuführen.

Von Sebastian Gierke, Lusen

Da ist dieser eine Moment, der einzige dieses Vormittags, an dem Peer Steinbrück durchatmet, den Blick schweifen lässt. Er steht am Gipfel des Lusen, 1373 Meter hoch, unter ihm der Bayerische Wald, über ihm Christus am Kreuz und vor ihm Fanele Buthelezi. Fanele singt.

Das dunkelhäutige, 15 Jahre alte Mädchen, umringt von ihren Freunden, hat einfach angefangen, ohne Ankündigung. Ihre Stimme ist voll und warm, die Journalisten, die Steinbrück ständig umkreisen, verstummen schlagartig, nur ein paar Kameras klicken noch. Fanele singt - sie schreibt das später auf einen Zettel - Iqugha Lenddlela-Xhosa, ein traditionelles Lied aus ihrer Heimat Südafrika. Es geht um einen starken Mann, erzählt sie anschließend. Einen starken Mann, der seinen Weg geht.

Peer Steinbrücks Weg hier hoch war steinig und holprig. Er hat ihn gemeistert, dabei aber nicht immer stark gewirkt. Bergsteigen, das ist keine Leidenschaft des Hamburgers. Und jetzt hat die Bayern-SPD dem Kanzlerkandidaten auch noch diesen Berg ausgesucht. Besonders weit ist es zwar nicht auf den Gipfel, Steinbrück braucht zwei Stunden, aber auf den letzten Meter geht es steil hinauf. Himmelsleiter werden die Steinstufen hier genannt.

Trittsicher? "Im Wahlkampf oder hier hinauf?"

Peer Steinbrück wankt ein wenig. Nach dreißig Minuten hatten sich die ersten Schweißtropfen unter seinem fein gemusterten Panamahut gebildet. Der Kandidat schnauft. Ob er trittsicher sei? "Im Wahlkampf oder hier hinauf?", fragt er zurück. Der Wahlkampf, der sei jedenfalls die weitaus größere Herausforderung.

Hoch hinaus, Himmelsleiter, Gipfelstürmer, das Kreuz am Gipfel, die Kreuze an der Urne am 22. September: Ja, klar, schon kapiert. Alles natürlich hoch symbolisch hier. Zu leicht darf man es dem Kandidaten da nicht machen, sähe komisch aus. Ohne Anstrengung kein Preis.

Und so kämpft sich Steinbrück zusammen mit der bayerischen SPD-Prominenz, Genossen aus Niederbayern, mit der Jugendgruppe aus Südafrika, die austauschweise in Bayern ist und sich dem Tross auf SPD-Einladung angeschlossen hat und gefühlt hundert Journalisten wackeligen Schrittes über den mit Granit-Felsblöcken bedeckten Gipfelbereich. Einer Sage nach wurden die Blöcke hier vom Teufel über einem Goldschatz aufgetürmt. Steinbrück ist das egal. Die Journalisten fragen sich, ob ein Kandidat mit Gipsbein vielleicht ein paar Mitleidsstimmen bekäme. Es bleibt bis zum Ende des Tages - Berg heil - eine hypothetische Frage.

Steinbrück wirkt beim Aufstieg trotz seines Kampfes mit dem unwegsamen Gelände entspannt, auch wenn er ständig eine Kamera ins Gesicht gehalten bekommt. Dafür macht er das ja hier: schöne Bilder. Eine Fernsehjournalistin in kurzem Sommerrock und Sandalen stolpert - rückwärtsgehend - vor ihm her. Ohne zu stürzen schafft sie es, eine Frage nach der anderen zu stellen: "Fühlt sich das jetzt an wie Ihr Wahlkampf - steinig?" Steinbrück lacht. Er wollte es ja so: alles symbolisch.

Die Junge Union reicht Steinbrück CSU-Sonnencreme

Auf dem Gipfel wird Steinbrück schon erwartet. Von der Jungen Union (JU) und einem roten Banner: "Der Gipfel ist erreicht. Ab jetzt geht es für die SPD nur noch bergab", steht darauf. Die JU-Landesvorsitzende Katrin Albsteiger verteilt Sonnencreme aus dem CSU-Shop. "Damit sie nicht rot werden, Herr Steinbrück." Der sagt freundlich "Hallo" - und lässt den kleinen Haufen rechts liegen. Ein paar Genossen hinter ihm schimpfen. "Dass ihr Euch nicht schämt", sagt einer.

Peer Steinbrück wandert auf Nationalpark-Gipfel

Unterm Gipfelkreuz: Peer Steinbrück und Parteifreunde auf dem Lusen.

(Foto: dpa)

Dabei hat die JU diese kleine, vielleicht zehnköpfige Gipfel-Demonstration hier oben sogar angemeldet. Für ihren Aufstieg haben sie die leichtere Route von der anderen Seite gewählt. Damit wären wir dann wieder bei der Symbolik. Das alles wirkt, in dieser borkenkäferverheerten Mondlandschaft, tatsächlich ein wenig wie vom anderen Planeten.

Michael Golosch steht ein paar Meter abseits und beobachtet das unwirkliche Treiben auf dem Berg. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern macht er Brotzeit. "Eigentlich wollten wir ja unsere Ruhe haben", grummelt er beim Biss in eine Wiener Wurst. Die Familie vom Bodensee macht Urlaub im Bayerischen Wald und mustert den wankenden Kandidaten. Ob so eine Wanderung zu Steinbrück passt? "Wenn's ihm Spaß macht", sagt Golosch. Steinbrück sei ja kein schlechter Mann. "Nur in der falschen Partei."

Die falsche Partei? Hier in Niederbayern sehen das die allermeisten so. 14,5 Prozent hat die SPD bei der letzten Bundestagswahl 2009 im Wahlkreis Deggendorf bekommen. Die Kandidatin für den Landtag, Rita Hagl-Kehl, bekam nur unwesentlich mehr.

Niederbayern ist fest in CSU-Hand. Steinbrück war noch nie in dieser Gegend, erzählt er. Die Menschen seien aber fleißig hier und ehrlich, das wisse er. Der Kandidat ist viel in Bayern unterwegs im Moment. Er weiß, wie wichtig die Bayernwahl für ihn ist. Eine Woche vor der Bundestagswahl geht von ihr ein wichtiges Signal aus. Und die Prognosen sind alles andere als gut. Der Wahlkampf des Ministerpräsidentenkandidaten Christian Ude läuft miserabel.

Das liegt auch an Gegenden wie dieser. Einer wie Ude, der ist hier immer noch: der Stadtfürst aus München. Die Zeit, sie scheint, ganz im Osten Bayerns, dicht an der Grenze zu Tschechien, etwas langsamer zu vergehen als anderswo im Freistaat. An den hölzernen Plakatwänden an der Straße werden Auftritte von Bands angekündigt, die "Gletscher Fetzer" heißen, oder "X-tra". Und auf den mit Reisnägeln festgemachten Plakaten sehen die Bands auch so aus: ziemlich X-tra.

"Denen in München, denen ist doch Niederbayern scheißegal."

Extra für die Wanderung hat Rita Hagl-Kehl ein rotes Shirt übergezogen mit ihrem Vornamen auf der Brust. Die Lehrerin tut, was Horst Seehofer der SPD ständig vorwirft: schlecht Reden über Bayern. Klar, Arbeitslosigkeit gebe es kaum in Niederbayern, sagt Hagl-Kehl. Aber hier im Landkreis Freyung-Grafenau sei man trotzdem Schlusslicht: beim Einkommensniveau und beim Umsatz der Unternehmen. Es sei nicht alles so gut wie es die CSU ständig behaupte.

Viele Glashütten seien geschlossen worden, die Textilindustrie sei über die Grenze nach Tschechien abgewandert, die Infrastruktur sei schlecht, bei Straße, Bahn und Internet. Die Jungen fänden keine Arbeit mehr im Landkreis, gingen deshalb weg. Und von 80.000 Einwohnern des Landkreises müssten 10.000 "auspendeln", um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Sie fühlt sich im Stich gelassen von der Staatsregierung in München. Robert Sommer, Unternehmer und ebenfalls Landtagskandidat, zählt die gleichen Punkte auf wie Hagl-Kehl. "Nichts ist passiert. In fünf Jahren. Nichts. "Denen in München, denen ist doch Niederbayern scheißegal."

Und warum wählen dann trotzdem so viele die CSU? Hagl-Kehl scheint fast überrascht von der Frage. Sie überlegt ein paar Sekunden. Dann sagt sie: "Die Leute hier sind duldsam." Und dann sei da ja noch das C, das C in CSU. "Hier wird ja immer noch in der Kirche gepredigt: Wählt bloß die Richtigen. Ihr wisst schon, wer das ist."

Peer Steinbrück wandert auf Nationalpark-Gipfel

Zum Abschluss eine Brotzeit: Peer Steinbrück auf der Lusenschutzhütte unterhalb des Gipfel am 1373 Meter hohen Lusen im Bayerischen Wald.

(Foto: dpa)

Passend dazu hat sich Peer Steinbrück auf dem Gipfel nicht gleich unter das Kreuz mit der goldglänzenden Christusfigur gestellt, sondern erst, als die Fotografen ihn dazu aufforderten. Steinbrück organisiert das Gedränge vor ihm. "Endlich mal ein Kandidat, der ordnet und führt", lacht er. Rita Hagl-Kehl bringt einen Bärwurz. "Hau weg das Zeuchhh!", sagt Steinbrück und stürzt den hochprozentigen, typisch niederbayerischen Klaren hinunter.

Auf der Hütte kurz unterhalb des Gipfels gibt es anschließend Brotzeit. Steinbrück wandert von Tisch zu Tisch, spricht über Chinas Wirtschaft, den politischen Aschermittwoch und den Eishockeyverein EV Landshut. Er wirkt nahbar, gar nicht steif und kühl. Als ein älterer Herr etwas länger braucht, bis er ein Foto gemacht hat, sagt er: "Du fotografierst wie mein Vater, der braucht auch 20 Minuten."

Fanele Buthelezi ist da schon wieder am Fuß des Berges angekommen. Zumindest sie hat der Bergsteiger Steinbrück überzeugt. Ein netter Mann, ein starker Mann. Kurz bevor der Bus losfährt will einer aus der Gruppe dann noch wissen, was der eigentlich macht, der Mann: Ist er Schauspieler?

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