Sittengemälde vom Tegernsee:"Ich habe mir nichts vorzuwerfen"

Fischbachau: Landrat JAKOB KREIDL spricht dem CSU-OV

Einer der Hauptschuldigen: Ex-Landrat Jakob Kreidl.

(Foto: Johannes Simon)
  • Nach den jüngsten Hausdurchsuchungen im Fall Kreidl ist der Imageschaden für die Lokalpolitik im Landkreis Miesbach verheerend.
  • Verschwörungstheorien machen die Runde: Ministerpräsident Horst Seehofer persönlich wolle mit dem Vorgehen gegen Kreidl seine Macht demonstrieren, munkelt man.
  • In fast keinem anderen Gebiet Bayerns ist die politische Fallhöhe so dramatisch wie am Tegernsee.

Von Heiner Effern und Christian Sebald, Miesbach

Am Tag nach dem Sturm glitzert die Sonne auf dem Wasser. Die Gipfel tragen sauberes Weiß, unter den Fußsohlen knirscht der Schnee. Das Tegernseer Tal leuchtet so oberbayerisch, dass einem die Knie weich werden. Grünen-Landrat Wolfgang Rzehak steht an diesem Mittwochvormittag ein paar Kilometer weiter in einer Werkstatthalle in Miesbach. Er sagt ein paar nette Worte über zwei rote Busse. Sie tragen Blumen am Scheibenwischer und werden bald für den Nahverkehr in seinem Landkreis fahren. "Auch für mich gab es gestern stürmische Zeiten", sagt Rzehak in seiner Rede. "Aber heute scheint die Sonne schon wieder."

Der Tag davor, ein matschgrauer Dienstag, wird in die jüngere Geschichte des Landkreises Miesbach eingehen. Um sieben Uhr morgens fallen 13 Staatsanwälte und 75 Beamte des Landeskriminalamts ein. Ihr Ziel: Die Hauptstelle der Kreissparkasse in Miesbach, das Landratsamt, die Wohnungen von Ex-Landrat Jakob Kreidl, Ex-Sparkassenchef Georg Bromme - und dem im März 2014 neu gewählten Grünen-Landrat Rzehak. Auch die übrigen 13 Beschuldigten, die sie aus den Betten klingeln oder bei der Morgentoilette antreffen, sind allesamt Honoratioren, die teilweise über Jahrzehnte die Geschicke des Landkreises prägten und in den Führungsgremien der Sparkasse saßen. Es ist ein Schlag gegen die politische Elite.

Mit dem Vorwurf der Untreue konfrontiert

Josef Bierschneider zum Beispiel, der CSU-Bürgermeister von Kreuth, gilt als einer, der auch einmal Landrat werden könnte. Josef Bichler aus Waakirchen war viele Jahre lang Chef der CSU-Fraktion im Kreistag. Aber auch der größte Autohändler weit und breit sieht sich jetzt plötzlich mit dem Vorwurf der Untreue konfrontiert.

Nach Razzia in Miesbach - Der Verdacht

Nach der Razzia im Tegernseer Tal fühlen sich vor allem Lokalpolitiker auf die Füße getreten. Schuld waren doch eigentlich der Sparkassenchef und Landrat Kreidl.

Dabei war es mal so zünftig hier im Münchner Süden, im Paradies der Schwarzen, der Reichen und Superreichen, der Spezl und Oberbajuwaren. Dann kam Anfang 2013 die Sache mit der abgekupferten Doktorarbeit von CSU-Landrat Jakob Kreidl, es war der erste kleine Haarriss im System, dem der Lawinenabgang folgte. Nur wenige Wochen später stellte sich heraus, dass Kreidl tief in die Familienaffäre der CSU verstrickt war: Vor seiner Zeit als Landrat hatte er 14 Jahre lang dem Landtag angehört. Während dieser Zeit beschäftigte er seine Ehefrau als Mitarbeiterin, für ein monatliches Salär von 1500 Euro. Selbst als er 2008 Landrat wurde, bezahlte er ihr das Gehalt fünf Monate lang weiter - als Übergangsgeld. Der Skandal um das Fest zu seinem 60. Geburtstag brachte das Fass zum Überlaufen: 118 000 Euro kostete die Sause im Freilichtmuseum, sie wurde fast zur Gänze von der Sparkasse und dem Landkreis bezahlt. Danach offenbarte sich ein einzigartiger Filz zwischen Sparkasse und Kommunalpolitik, ein Geben und Nehmen, das völlig außer Kontrolle geraten war. Inzwischen fordert die Sparkasse sechs Millionen Euro von ihrem Ex-Vorstand Bromme und von Kreidl zurück.

Hauptbeschuldigter ist der Ex-Sparkassenchef

Der Hauptvorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Untreue in zwölf Tatkomplexen mit einem Gesamtvolumen von mehr als einer Million Euro zu Lasten der Sparkasse. Ermittelt wird aber auch wegen Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme, Bestechung und Bestechlichkeit. Der Hauptbeschuldigte ist Ex-Sparkassen-Chef Bromme. Gegen ihn wird in mindestens 67 Fällen ermittelt, beim Ex-Landrat und früheren Verwaltungsratschef Kreidl und dem früheren Vize-Landrat Arnfried Färber (Freie Wähler) sind es jeweils sieben, bei dem Grünen-Landrat Rzehak sind es immerhin fünf.

Die Ermittler lassen die Vorwürfe kalt, sie kämen nicht nur reichlich spät mit ihrer Razzia, sondern hätten auch nichts Neues zu Tage gefördert. Tatsächlich geht es um altbekannte Skandale. Nur das teure Fest zum 60. Geburtstag von Kreidl ist nicht dabei. Dafür aber die 55 000 Euro für die Geburtstagsfeier des früheren Vize-Landrats Arnfried Färber, die Renovierung des Landratsbüros für 180 000 Euro, die 127 000 Euro für Ausflüge von Sparkassenleuten und Kommunalpolitikern nach Interlaaken, Triest und in die Steiermark. Oder der seltsame Grundstückshandel in Holzkirchen, bei dem die Sparkasse ein großes Baugrundstück erwarb und der Gemeinde im Gegenzug eine Geldspende über 500 000 Euro zusicherte. Jetzt geben sich alle schwer geschockt.

"Ich habe mir nichts vorzuwerfen"

Der Imageschaden für die Lokalpolitik, für den ganzen Landkreis ist verheerend. Über den grauen Dienstag will hier niemand sprechen. Nur der Holzkirchner Ex-Bürgermeister Josef Höß sagt: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen." Er stand noch unter der Dusche, als unten die Polizei klingelte. Der Gmunder CSU-Bürgermeister Georg von Preysing ist von den Ermittlungen nicht betroffen. Bei der Einweihung der Busse in Miesbach flüchtet er sich in Sarkasmus: "Schauen 'S nur mal, nur ein paar Kollegen sind gekommen", sagt er. "Der Rest sitzt ein." Preysing ist bekannt dafür, noch einen flotten Spruch draufzuhaben, wenn sich andere schon vor Schmerzen winden. Doch auch bei ihm ist derzeit der Humor schnell aufgebracht. "Überall wo wir hinkommen, heißt es: Miesbach, oooooh." Er sehnt sich nach Ruhe, doch die währt derzeit nur in kurzen Phasen. "Alle paar Monate geht es wieder los, das schadet uns enorm."

Inzwischen machen erste Verschwörungstheorien die Runde. Viele in der Miesbacher CSU raunen, die Art und Weise des Einsatzes sei in Wirklichkeit eine Machtdemonstration gewesen. Und die Macht konzentriere sich in Bayern bekanntlich in der Person, die Ministerpräsident und CSU-Chef ist. Preysing traut sich als einziger auszusprechen, was als Losung umhergeht: Die Razzia könnte durchaus "politisch motiviert" gewesen sein. "Der Seehofer braucht eine Rechtfertigung, warum er den Kreidl so vernichtet hat. Was sie bisher haben, reicht offenbar nicht."

Dabei will Preysing die Affären des früheren Landrats und Parteifreunds nicht schönreden: "Der Jak hat alle Vorlagen geliefert. Er ist selbst schuld." Aber warum musste der Seehofer den Kreidl noch so treten, wo er doch eh schon am Boden lag? Denn der Parteichef war es, der Kreidl vor einem Jahr mit einem öffentlichen Ultimatum zum Rückzug aus der Politik zwang.

Fruchtbarer Boden für Verschwörungstheorien

In den Tälern des Schliersees und des Tegernsees ist der Boden offenbar besonders fruchtbar für solche Verschwörungstheorien, denn in fast keinem Gebiet Bayerns ist die politische Fallhöhe so dramatisch. Wer hier aufgewachsen und verwurzelt ist, hört von klein auf, wie begnadet schön seine Heimat doch sei. Alle lieben diese Landschaft, die Berge, die Seen, die Kultur, die Tracht, die viele noch als Selbstverständlichkeit bei Festanlässen tragen und nicht als Kostüm für ein Besäufnis. Seit jeher zog sie Menschen von außerhalb an, zuerst die Benediktiner, dann die Wittelsbacher. Später die Künstler und die Prominenten. Wenn mal wieder ein Profi des FC Bayern an den See zieht oder ein undurchsichtiger Oligarch, dann gehört das hier zum Alltag.

Nicht ohne Grund zieht die CSU jedes Jahr mit großem Brimborium ins Wildbad Kreuth gleich hinter dem Tegernsee ein. Rituale werden hier inszeniert, Machtkämpfe ausgetragen, doch über allem steht die Kulisse, die in zahlreichen Bildern die Botschaft sendet: Bayern und CSU, das ist eins. Es ist auch kein Zufall, dass zur Geburtstagsfeier des Landrats Kreidl der Ministerpräsident und der Erzbischof Reinhard Marx nicht nur eingeladen waren, sondern dass sie auch tatsächlich erschienen. Nicht bei jedem Landrat dürften sie am Geburtstagstisch sitzen.

Menschen, die einem solchen Paradies leben und das auch ständig hören, verlieren womöglich leichter das richtige Maß. Oder die nötige Demut, die ihre Vorfahren als Bauern noch lernten. Wer hier das Sagen hat, ist König von Mini-Bayern. Wie in jedem Landkreis verteilt sich die Macht auf zwei Personen: den Landrat, der das politische Mandat hat, und den Sparkassen-Chef, der das Geld hat. Großzügig wie die Herzöge verteilten Bromme und Kreidl das Geld, das nicht ihres war. Doch niemand störte sich daran, weil viele zu den Nutznießern zählten.

"Eine solche Aktion kann man nicht von heute auf morgen starten"

"Es mag noch so viele Gutachten und Zeitungsberichte mit Details über die Verhältnisse in der Miesbacher Sparkasse geben", wiederholt Ken Heidenreich, der Sprecher der Staatsanwaltschaft München II in diesen Tagen ein ums andere Mal. "Aber wir ermitteln völlig unabhängig davon. Und dazu sichern wir uns die Unterlagen, die wir dafür benötigen." Zum Zeitpunkt der Razzia sagt er: "Eine solche Aktion kann man nicht von heute auf morgen starten. Sie muss sorgfältig vorbereitet sein." Und zwar nicht nur, was die Stichhaltigkeit der Vorwürfe anbelangt. Sondern auch von der Logistik her. 13 Staatsanwälte und 75 Ermittler, die kriegt selbst die Staatsanwaltschaft München II nicht so einfach zusammen.

Nun scheint sich die ganze Republik daran zu delektieren, dass den Bayern die Lederhosen ausgezogen werden. Und der CSU. "Oberbayern und die CSU, die waren doch immer eines in der Wahrnehmung. Und Miesbach ist prägend für Oberbayern", sagt Ingrid Pongratz, die CSU-Bürgermeisterin der Stadt Miesbach. Sie hält es für möglich, dass auch Häme mitspielt. "Es muss alles lückenlos aufgeklärt werden", sagt sie. Aber auch dass die Schläge, die sie seit einem Jahr einstecken müsse, schmerzhaft und zermürbend seien. Verschwörungstheorien liegen ihr fern. "Ich kann und will es nicht glauben, dass die Exekutive in die Judikative eingreift", sagt sie. Aber auch, dass irgendwann Schluss sein müsse mit der Aufarbeitung, sie wolle endlich wieder in Ruhe für die Menschen arbeiten können. Eine Neuanfang sei gemacht, im Verwaltungsrat der Sparkasse, an der Spitze des Landkreises und der Kreis-CSU.

Und Kreidl? Er lässt sich immer noch gern in der Öffentlichkeit blicken. Jagdverband, Grüne Woche. Da ist er daheim. Aber wenn man mit ihm über seinen Affären sprechen will, dann schweigt er lieber. Er ruft nicht zurück.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: