Regensburg:Opfer oder korrupter Bürgermeister? Prozess gegen Wolbergs beginnt

Joachim Wolbergs

Von heute an vor Gericht: Regensburgs suspendierter Oberbürgermeister Joachim Wolbergs.

(Foto: dpa)
  • Joachim Wolbergs (SPD) wird vorgeworfen, im Gegenzug für knapp eine halbe Million Euro an Spenden einen Bauunternehmer bei der Vergabe eines städtischen Grundstücks begünstigt zu haben.
  • An diesem Montag beginnt der Prozess gegen den suspendierten Oberbürgermeister von Regensburg.
  • Wolbergs lässt durchblicken, dass er nicht der Einzige war, der viel Geld aus der Baubranche bekam.

Von Andreas Glas

Regensburg, im März 2014, es ist Wahlabend. Joachim Wolbergs (SPD) betritt den Saal des Kulturzentrums "Leerer Beutel". Ein Held, der durchs Menschenspalier schreitet. Im Netz gibt es ein Video davon, 1:30 Minuten. Schulterklopfer, Applaus, Sprechchöre. "Wolli!, Wolli!, Wolli!" Plötzlich, bei Sekunde 52, friert das Bild ein, dazu ein Geräusch, das nach Filmriss klingt. Man erschrickt fast, wenn man das heute sieht. Dann, bei Sekunde 53, taut das Bild wieder auf. "Wolli!, Wolli!, Wolli!"

Man muss sich das Video anschauen, um die Fallhöhe dieses Mannes zu begreifen. Inzwischen ist der Film ja tatsächlich gerissen. Knapp drei Jahre nach der Wahlparty musste Wolbergs für sechs Wochen ins Gefängnis, wurde als Oberbürgermeister suspendiert. Das war im Januar 2017. Spätestens seitdem ist Wolbergs kein Held mehr. Er steht jetzt da wie ein Schurke. Der Vorwurf unter anderem: Vorteilsannahme, sprich Korruption. An diesem Montag beginnt der Prozess gegen ihn.

Seit 830 Tagen steht Wolbergs, 47, im Fokus der Staatsanwälte. Seit 830 Tagen leidet er, man sieht ihm das an. Er ist kein Unbekannter, der sich in der Öffentlichkeit einfach verstecken kann. Er ist OB, die ganze Stadt beobachtet ihn, viele mit Misstrauen. Mehr als zwei Jahre muss er schon aushalten, dass ihm alle zuschauen beim freien Fall. Was macht so ein Absturz mit einem Mann, der wie ein Besessener gestrampelt hat, um es ganz nach oben zu schaffen?

Er leidet, aber aufgegeben hat er nicht. Er kämpft, will sich frei strampeln von diesem unerhörten Verdacht. "Ich will endlich die Möglichkeit haben, mich zu allem zu äußern. Dieser Moment ist jetzt gekommen", sagte er kürzlich der Mittelbayerischen Zeitung (MZ). Man muss ihn verstehen. Nichts ist zermürbender, als sich verteidigen zu wollen, aber nicht zu können. Und zerstreuen kann er den Korruptionsverdacht nur vor Gericht. Trotzdem, dass er bisher keine Chance hatte, sich zu äußern, ist geflunkert. Er tut das seit Monaten: sich äußern, klagen, seine Unschuld beteuern. Auf Facebook, im Lokalfernsehen, in Zeitungsinterviews. Er fühlt sich als Opfer eines Vernichtungsfeldzugs. Fühlt sich verfolgt von Justiz und Medien, verstoßen von der SPD. "Ich kann auch anders", schrieb Wolbergs in einer E-Mail an Parteigenossen. "Wer mit Steinen wirft, sollte auch den Rückwurf ertragen."

Er will zurückschlagen, das ist offenbar sein Vorsatz. Auch für den Prozess, der nun beginnt. Er will es noch mal allen zeigen, noch einmal gewinnen, wie damals, als er bei der OB-Wahl gegen die CSU 70 Prozent holte. Er ist suspendiert, aber einen Rücktritt hat er von Anfang an ausgeschlossen, "weil ich nichts falsch gemacht habe", das sagte Wolbergs noch im Frühling dieses Jahres. Erst jetzt, im Herbst, schien er für einen Augenblick selbstkritisch zu sein. Er lasse sich "moralisch vorwerfen", derart hohe Spenden aus der Baubranche angenommen zu haben, sagte Wolbergs vor zwei Wochen im MZ-Interview. Um sich zwei Sätze später doch wieder zu rechtfertigen: "Aber wer hätte mir denn sonst spenden sollen - etwa die sozialen Initiativen?"

Der Hauptvorwurf gegen Wolbergs ist bekannt: Im Gegenzug für knapp eine halbe Million Euro an Spenden soll er Bauunternehmer Volker Tretzel bei der Vergabe eines städtischen Grundstücks begünstigt haben. Ob das stimmt, soll der Prozess nun endlich klären. Fest steht: 1,2 Millionen Euro hat die SPD-Kampagne 2014 gekostet, eine absurd hohe Summe für einen OB-Wahlkampf. Er lasse ja "gelten, dass man kritisiert, dass ein Wahlkampf so viel Geld kostet", auch das sagte Wolbergs kürzlich. Und fing auch dieses Zugeständnis sofort wieder ein. Er sei "anderer Meinung, weil es um viel geht".

Für ihn ging es ja wirklich um viel bei der OB-Wahl 2014. Er hatte keine Ausbildung, kein abgeschlossenes Studium, setzte alles auf die Politik. Und er war bereits 43, als er sich das zweite Mal zur Wahl stellte. Diesmal sollte es klappen, manche sagen: Es musste klappen, um doch noch Karriere zu machen. Darin könnte eine Erklärung liegen, dass er die Nähe zur Baubranche suchte - und damit auch die Nähe zum Geld, das er für seinen Wahlkampf brauchte. "Ich hoffe, dass es immer genügend Leute gibt, die mich am Boden halten, die sagen: So, und jetzt keinen Schritt weiter", sagte Wolbergs 2015, ein Jahr nach seinem Amtsantritt. Heute stellt sich die Frage: Hatte er die Grenze des Erlaubten da bereits überschritten?

Dass Wolbergs diese Frage für eine Unverschämtheit hält, hat er in den vergangenen 830 Tagen oft genug durchblicken lassen. Und er ließ durchblicken, dass er nicht der einzige war, der sehr viel Geld aus der Baubranche bekam. Das zu betonen, ist Wolbergs wichtig, es war ihm schon wichtig, als er sich im Juni 2016 erstmals zu den Vorwürfen gegen seine Person äußerte. Damals saß er im Rathaus, hinter einem Pulk aus Mikrofonen, und sagte: "Sie werden sich noch wundern." Mittlerweile ist bekannt, dass auch die CSU eine Menge Geld von Regensburger Bauunternehmern bekam. Dass dieses Geld, wie bei OB Wolbergs, in Tranchen floss und vermutlich über Strohmänner, um die Herkunft zu verbergen. Im Rahmen der Korruptionsaffäre laufen Ermittlungen gegen Alt-OB Hans Schaidinger, CSU-Landtagsmitglied Franz Rieger, CSU-Stadtrat Christian Schlegl.

Seit 830 Tagen versucht Wolbergs, seine Version der Affäre zu verbreiten

Es liegt der Verdacht nahe, dass in Regensburg bereits ein System aus Spenden, Gönnern und Profiteuren existierte, bevor Wolbergs sich anschickte, OB zu werden. Ein Netz, in das Wolbergs eher reingestolpert ist? Manche sagen das. Auch er selbst klingt manchmal so, wenn er über "meine Version der Dinge" spricht, über "meine Wahrheit". Und immer dann, wenn er betont, dass auch die CSU Spenden bekam. Er will nicht wahrhaben, dass andere weitermachen dürfen und er nicht. Er beklagt, dass ein Abgeordneter wie Franz Rieger "völlig anders behandelt wird". Noch während die Ermittlungen gegen ihn liefen, wurde Wolbergs suspendiert. Rieger dagegen sitzt trotz Erpressungsverdachts weiter im Landtag.

Mit solchen Aussagen hat Wolbergs geschafft, dass viele Regensburger ihn als Opfer wahrnehmen. So zornig und zynisch er zu denen ist, die er für Feinde hält, so einnehmend und freundlich tritt er jenen gegenüber, die ihn noch nicht abgeschrieben haben. Er ist ein begabter Rhetoriker, das ist sein großes Talent. Auf manche wirkt er immer noch wie ein Magnet, allen Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit zum Trotz. Seit 830 Tagen ist er unterwegs, um den Regensburgern seine Version der Affäre zu erzählen. Bei Festen, Parteiveranstaltungen, auch auf der Bühne des "Leeren Beutels". Dort, wo sie ihn damals, bei der Wahlparty, feierten.

Im "Leeren Beutel" ist kürzlich auch seine Frau Anja Wolbergs aufgetreten. "Liebe Anja", sagte der Moderator und bat sie auf die Bühne. Warme Worte, Scheinwerferlicht, Applaus. Fast wie früher, als sie hinter ihrem Mann, dem Helden, durchs Menschenspalier schritt. Und doch war alles anders. Anja Wolbergs kam, um aus ihrem Roman zu lesen. Die Hauptfigur heißt Jana Wolters, deren Mann heißt Jonas. Man braucht keine Fantasie, um zu kapieren, dass der Roman größtenteils die Geschichte der Autorin erzählt. Einer Frau, die einen "Albtraum an der Seite ihres Mannes" erlebt. So steht es auf der Rückseite des Buches.

Anja und Joachim Wolbergs leben seit 2015 getrennt. Der Trennungsgrund soll eine Mitarbeiterin im Rathaus gewesen sein. Aber das Buch ist keine Abrechnung einer betrogenen Ehefrau, eher eine Liebeserklärung. Es beschreibt einen Mann, der unverschuldet ins Feuer der Ermittler und Medien geraten ist. "Manches ist Fiktion, manches ist Wahrheit", sagt Anja Wolbergs, was immer das bedeuten mag. Sie ist beim Prozess als Zeugin geladen. Sie war Kassiererin des SPD-Ortsvereins, auf dessen Konto die Parteispenden für ihren Mann flossen, den Vereinschef. Aber darüber steht kaum etwas in ihrem Buch. Bei ihrer ersten Lesung hat sie trotzdem Applaus bekommen, eine Minute lang, die Menschen haben sich dafür erhoben.

Auch hinter ihrem Mann stehen immer noch viele Bürger, trotz der Anschuldigungen. Gut möglich, dass er ein passables Ergebnis bekäme, wäre demnächst wieder OB-Wahl. "Wenn ich freigesprochen bin, will ich wieder in mein Amt", sagt Wolbergs. Auch diesen Satz hat er mal gesagt: "Solange ich von meiner Unschuld überzeugt bin, werde ich definitiv nicht zurücktreten." Er hat nicht von der Überzeugung eines Gerichts gesprochen. Sondern von seiner eigenen. So wie er stets von "meiner Wahrheit" spricht. Wenn am Montag der Prozess beginnt, kommt Wolbergs' Wahrheit auf den Prüfstand.

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