Parteispendenaffäre:Das Regensburger Beziehungsgeflecht zwischen Wirtschaft und SPD

  • Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch immer gegen den Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs.
  • Es geht um mindestens eine halbe Million Euro, die der SPD-Politiker von Immobilienfirmen erhalten haben soll.
  • In der Vergangenheit gab es mehrmals merkwürdige Vergaben von Bauprojekten.

Von Andreas Glas und Wolfgang Wittl

Montag, 4. Juli. Im Hotel Wiendl treffen sich die Regensburger Sozialdemokraten zur Stadtverbandskonferenz. Joachim Wolbergs steht am Rednerpult, einem Bistrotisch, die Hemdsärmel hat der Oberbürgermeister hochgekrempelt, beide Hände klammern am Pult. Er klammert daran, dass sich alles aufklären wird, dass er heil rauskommt aus der Sache. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Wolbergs. Der OB steht im Verdacht, korrupt zu sein - und mit ihm seine Partei. "Eine Person kann man brechen, einen Oberbürgermeister auch, aber die Stadt und die SPD nicht", sagt Wolbergs. Er redet wie ein Märtyrer - und die Genossen jubeln ihm zu.

Fest steht, dass drei Immobilienfirmen dem Regensburger OB eine Menge Geld zugeschanzt haben. Es geht um mindestens eine halbe Million Euro, die über Strohmänner auf Wolbergs' Konto für den Wahlkampf 2013/14 geflossen sein sollen - gestückelt in Tranchen unter 10 000 Euro, damit das Geld nicht im SPD-Rechenschaftsbericht deklariert werden muss. Es wäre ein Win-Win-Geschäft für alle Beteiligten. Für den OB, um im Wahlkampf zu klotzen. Für die Immobilienfirmen, um anonym zu bleiben. Und möglichen Strohmännern, die ihre Spende beim Finanzamt absetzen können, entsteht zumindest kein Schaden.

Die entscheidende Frage aber ist: Hat sich die Regensburger SPD kaufen lassen, um den Immobilienunternehmen im Gegenzug lukrative Baugrundstücke zu verschaffen? "Der Oberbürgermeister ist nicht käuflich", sagt Wolbergs. Mit Wolbergs stehen aber noch zwei weitere Figuren im Zentrum der Spendenaffäre: SPD-Fraktionschef Norbert Hartl - und die Bauteam Tretzel GmbH, die allein mehr als 350 000 Euro gespendet haben könnte.

Ein Sommernachmittag im Regensburger Westen. Hier hat die Firma Tretzel eine Anlage gebaut, die keiner übersehen kann. Eine "Wohn-Oase", steht auf der Firmen-Homepage geschrieben. 43 000 Quadratmeter, 600 Wohnungen, dazwischen gepflegtes Grün, im künstlichen Bachlauf paddeln die Enten. Auch die Firma Tretzel hat hier ihren Sitz, in derselben Straße gibt es: Arztpraxen, Anwaltskanzleien, der Friseur heißt "Schickeria", der Metzger "Fleischboutique". Der Chef des Hauses ist nicht da, Volker Tretzel hat offenbar Feierabend. Wer klingelt, dem öffnet niemand.

Ein Blick auf die Homepage des Unternehmens: Die Firma existiert seit den Siebzigerjahren, war lange in ganz Bayern aktiv - "bis man erkannte, dass der Immobilienmarkt in Regensburg (. . .) völlig ausreichend ist", heißt es im Internet. Mit anderen Worten: Warum woanders bauen, wenn man immer wieder vor der eigenen Haustür zum Zug kommt? Im Stadtsüden zum Beispiel.

Dort, auf dem Grundstück der früheren Nibelungenkaserne, hat die Firma Tretzel ein gigantisches Areal erworben. 44600 Quadratmeter, Platz für etwa 500 Wohnungen à 90 Quadratmeter - das Projektvolumen dürfte bei rund 100 Millionen Euro liegen. Im Herbst 2014 bekam Tretzel im Rathaus den Zuschlag für das Baugrundstück, das bis dato der Stadt gehörte. Doch bei der Vergabe passierten Merkwürdigkeiten in Serie.

"Die Sache ist wirklich sehr seltsam", sagt Dagmar Kierner. Die 64-Jährige sitzt in ihrem Büro in Amberg, hier hat die Wohnungsbaugenossenschaft Werkvolk ihren Sitz. Eine schmale Frau mit kurzen Haaren, sie trägt Kette zum Polohemd. Seit 35 Jahren ist Kierner im Werkvolk-Vorstand, ihr Vater Hans hat die Genossenschaft in den Fünfzigerjahren aufgebaut. Anfang des Jahrtausends ist Hans Kierner gestorben, von ihm ist ein bemerkenswerter Satz überliefert: "Entweder du schmierst sie oder sie fürchten dich."

Geschmiert hat Dagmar Kierner nach eigener Aussage nie, aber die Regensburger SPD beginnt sie gerade zu fürchten. Gibt es ein System Regensburg? "Ja, darüber wird in der Branche schon seit Jahren gemunkelt", sagt Kierner. Lange Zeit habe die Stadt die Immobilienfirmen relativ gleichmäßig bedacht, auch ihre Firma hat davon profitiert. "Die Vielfalt war früher größer unter den Bauträgern", sagt Kierner. Inzwischen hat sie den Eindruck, dass die Stadt nur noch wenigen, ganz bestimmten Unternehmen eine Chance gibt.

Wie sich die Vergabe von Bauprojekten mit Wolbergs wandelte

Ihr Misstrauen hat vor allem mit dem Projekt Nibelungenkaserne zu tun. Als die Stadt den Baugrund zum ersten Mal ausschrieb, hieß der Oberbürgermeister noch Hans Schaidinger (CSU), ein Freund des Höchstpreisgebots: Wer am meisten zahlt, kriegt das Grundstück. Zugleich bemühte sich Schaidinger, auf jeder Baufläche auch einen Abschnitt für preisgünstige Wohnungen zu reservieren. So sorgte er dafür, dass sich auf dem Immobilienmarkt keiner benachteiligt fühlte. "Unter Herrn Schaidinger und der CSU wussten wir, dass wir immer wieder als Genossenschaft berücksichtigt werden", sagt Kierner. Deshalb habe sich ihre Firma trotz Höchstpreis-Ausschreibung für zwei Bauflächen des Nibelungenareals beworben.

Das war im März 2014. Kurz danach wurde Joachim Wolbergs neuer Oberbürgermeister - und plötzlich war alles anders. Am 8. Mai 2014 wurde Wolbergs vereidigt, vier Tage später schickte die Stadt ein Schreiben an die Immobilienunternehmen, die sich für das Nibelungenareal beworben hatten. Mit dem Inhalt, es gebe eine neue politische Führung und das Projekt müsse nun doch noch mal "mit dem neuen Oberbürgermeister und Stadtrat abgestimmt" werden. Wiederum wenige Wochen danach erklärte die Stadt die erste Ausschreibung für nichtig und schrieb das Projekt komplett neu aus.

Plötzlich war nicht mehr das Höchstgebot entscheidend, plötzlich gab es 14 Vergabekriterien - und selbst diese Kriterien wurden durch folgenden Zusatz für unverbindlich erklärt: "In besonders begründeten Einzelfällen kann der Stadtrat bei der Grundstücksvergabe von diesen Kriterien abweichen." Ist die Ausschreibung also bewusst vage verfasst worden, damit Wolbergs' Rathauskoalition nach Belieben entscheiden konnte, wer den Zuschlag kriegt?

Noch seltsamer wird die Sache, wirft man einen Blick auf ein Papier der Stadtverwaltung, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Darin listet die Verwaltung auf, welche Firmen die besten Bewerbungen für die drei Bauabschnitte abgegeben haben. Auf Platz eins: Die Werkvolk-Genossenschaft von Dagmar Kierner, die zwei Abschnitte bekommen sollte, der dritte Abschnitt sollte an eine Bietergemeinschaft gehen - mit der Begründung, dass beide Bewerber künftigen Wohnungsinteressenten den niedrigsten Kauf- und Mietpreis garantieren. Nicht überzeugt hat die Verwaltung die Tretzel-Bewerbung, die in ihrem Ranking auf Platz vier landete. Trotzdem bekam die Firma den Zuschlag.

Was ist geschehen, dass die Mehrheit der Stadträte gegen die eigenen Verwaltung handelte - und am Ende nicht mal für deren zweit- oder drittbeste Lösung stimmte, sondern für die viertbeste?

Nach der Erinnerung einiger Stadträte ging es hitzig zu, als man sich am 23. Oktober 2014 traf, um im Rathaus über die Vergabe des Areals abzustimmen. Für Irritation sorgte, dass die Verwaltung die viertbeste Lösung nun doch als beste Lösung präsentierte - mit den Argumenten, die Firma Tretzel biete das beste Energiekonzept, den höchsten Baustandard, die niedrigeren Nebenkosten.

Selbst Mitglieder der Wolbergs-Koalition hatten am Tag der Abstimmung Nachfragen, die Sitzung wurde unterbrochen - doch als die Koalition zurück in den Saal kam, stimmte sie geschlossen für die Vergabe an die Firma Tretzel. "Ich habe mich gewundert, dass alle eingeschwenkt sind. Das habe ich nicht kapiert", sagt ein CSU-Stadtrat, dessen Fraktion gegen die Vergabe aller drei Bauflächen an nur eine Firma war - und danach Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen die Grundstücksvergabe einreichte. Erfolglos. Formal soll alles in Ordnung gewesen sein.

Dabei hatte es noch eine Merkwürdigkeit gegeben: Für die Eigentumswohnungen, die auf dem Nibelungenareal entstehen sollen, wurde in der Beschlussvorlage ein Verkaufspreis von 3490 Euro pro Quadratmeter festgelegt - obwohl im Vorentwurf 3400 Euro ausgewiesen waren. Ein bewusster Täuschungsversuch, sagte die CSU. Ein Schreibfehler, sagte OB Wolbergs - und seine Koalition segnete den höheren Betrag ab. Gut für den Bauträger: Multipliziert man die 90 Euro Differenz mit der Fläche der Bauabschnitte, dann bedeutet dies für die Firma Tretzel einen zusätzlichen Profit von rund zwei Millionen Euro.

Mögliche Verbindungen mit dem Fußballklub SSV Jahn Regensburg

Wenige Tage nach der Grundstücksvergabe beschloss der Fußballklub SSV Jahn Regensburg die Möglichkeit einer Kapitalerhöhung um vier Millionen Euro. Kein Zufall, wird in Regensburg geraunt. Weil man ja weiß, wer der Mäzen des Klubs ist: Volker Tretzel. Aber kann das wirklich sein? "Die Annahme, dass irgendeine der vielen und verschiedenartigen Zuwendungen an den Jahn mit diesem Grundstücksgeschäft zusammenhängt, ist hanebüchen", teilt Tretzels Anwalt auf Anfrage der SZ mit.

Neben Tretzel im Jahn-Aufsichtsrat sitzt Norbert Hartl, SPD-Fraktionschef, einer der größten Jahn-Fans überhaupt. Ein "Fußballnarrischer", sagen sie in Regensburg über ihn. Im Gegensatz zu Tretzel, über den ein früherer Jahn-Funktionär sagt, er könne "Bayern und Sechzig nicht auseinanderhalten". Trotzdem soll Tretzel in den vergangenen zwölf Jahren mehrere Millionen Euro in den lange Zeit maroden Klub gepumpt haben.

Warum tut das einer, der sich für Fußball offenkundig nicht interessiert? Sponsert hier jemand in großem Stil Parteien und den Fußballklub, um sich die Entscheider in der Politik gewogen zu machen? Wer in der Vergangenheit wühlt, stößt immer wieder auf seltsame Zufälle. Zum Beispiel im Oktober 2007 - als Joachim Wolbergs noch nicht Oberbürgermeister war. Damals war der SSV Jahn so blank, dass er seinen Spielern kein Gehalt mehr zahlen konnte. "Wir müssen den Oktober noch überstehen", dann fließe wieder Sponsorengeld, sagte damals der Jahn-Präsident der Lokalzeitung. Zwei Wochen später beschloss der Stadtrat, ein Tretzel-Grundstück am Regensburger Galgenberg als Wohngebiet festzusetzen. Danach flossen beim Jahn die Spielergehälter wieder.

Noch so ein Zufall? Seit sich die Firma Tretzel beim SSV Jahn finanziell engagiere, "war weder das Grundstück an der Nibelungenkaserne noch irgendein anderes Grundstück der Stadt Regensburg im Fokus der Interessen", sagt Tretzels Anwalt. SPD-Fraktionschef Hartl teilt diese Auffassung - und wehrt sich gegen die Berichte eines Lokalblättchens, er sei mit dem Ehepaar Tretzel in Barcelona im Urlaub gewesen. Nur zufällig habe man sich getroffen und zusammen einen Stadtrundgang gemacht, sagt Hartl auf SZ-Anfrage.

Genau so kann es natürlich Zufall sein, dass der SPD-Fraktionschef vor einigen Jahren eine der Tretzel-Wohnungen gekauft hat, die inzwischen am Galgenberg entstanden sind. Hartl schwärmt ganz offen von den Vorzügen seiner Wohnung, berichten Gesprächspartner. Wie schön der Ausblick über die Stadt sei, wie hoch der bauliche Standard, wie niedrig die Nebenkosten.

Norbert Hartl wird einiges nachgesagt, nicht alles ist schmeichelhaft: Schlauheit, Eitelkeit, ein Auftreten wie Klein-Napoleon. Selbst OB Wolbergs schaffe es in strittigen Fällen nicht immer, sich gegen den Fraktionschef durchzusetzen. Mit Wolbergs steht auch Hartl im Zentrum der Spendenaffäre, dabei wollen den beiden selbst politische Gegner nicht unterstellen, dass sie der Stadt schaden wollen - oder gar korrupt seien.

Andererseits kann man sich fragen, ob es nicht ein bisschen viele Zufälle sind, die der SPD-Fraktionschef und sein OB zugelassen haben. Noch ein Beispiel: Kurz nach Wolbergs' Wahlsieg zog Volker Tretzel in den Verwaltungsrat der Regensburger Sparkasse ein, dessen Vorsitzender Wolbergs ist. Offenbar hat die Stadt die Personalie selbst vorgeschlagen.

Und in der vergangenen Woche war nach SZ-Recherchen bekannt geworden, dass ausgerechnet ein früherer Geschäftsführer der Firma Tretzel und früheres Mitglied im Jahn-Aufsichtsrat neuer Technischer Leiter der kommunalen Stadtbau GmbH wird, einer hundertprozentigen Tochter der Stadt Regensburg. Als Mitglieder des Aufsichtsrats waren Wolbergs und Hartl auch an dieser Entscheidung beteiligt. "Es bleibt ein fader Beigeschmack", heißt es aus der Stadtbau-Belegschaft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: