Nachwuchsmangel in bayerischen Klöstern:Plagen des biblischen Alters

Wegen ihres hohen Alters sollten vier Franziskanerinnen des oberbayerischen Klosters Reutberg zum Umzug in ein Pflegeheim bewogen werden. Doch die Nonnen wehrten sich. Ihre Geschichte zeigt jedoch, wie schlimm es um den Nachwuchs in den Klöstern steht.

Sarah Ehrmann

Scheppernd kracht der Schlegel gegen die Glocke, das Metallkreuz an der Klingelschnur zuckt wild auf und ab. Durch die Gänge dringt der Schall, schlägt von den leeren Wänden zurück gegen das Holztor und tief hinein in die Klostergänge. Doch auf das Läuten des Besuchers hin regt sich nichts im Kloster Reutberg bei Bad Tölz. Der Sommertag, der draußen harte Schatten auf die Wände wirft, ist drinnen im Eingangsraum einer kühlen Feuchte gewichen.

Sachsenkam: Die letzten Franziskanerinnen in Kloster Reutberg

Die letzten fünf Nonnen im Kloster Reutberg: Schwester Augustina, Schwester Leonarda, Schwester Gaudentia, Schwester Faustina und Schwester Hyazintha (v. l.).

(Foto: Johannes Simon)

Nach Minuten der Stille und Bewegungslosigkeit öffnet sich ein vergittertes Fenster. Ein Gesicht schiebt sich hervor, die silbernen Haare bis auf ein paar Strähnen weggebunden, darüber ein Leinentuch. Interessiert mustert Schwester Leonarda den Besuch aus der Stadt. Es ist 14 Uhr: "Sprechzeit" im Franziskanerinnenkloster auf dem Reutberg.

Eigentlich sei ihnen dieser Trubel, dieser Zwist sehr unangenehm, sagt die Franziskanerin, bevor sie ins Sprechzimmer bittet. Die Schwestern wollen keine Aufmerksamkeit, wollen nach dem Beispiel der besitzlosen Anhänger von Franz von Assisi in Ruhe und Abgeschiedenheit ihr Leben dem Gebet für die Welt widmen.

Doch kürzlich entflammte sich um ihre Zukunft auf dem Reutberg ein misslicher Disput, von dem die einen sagen, dass es gar keiner sei, und von dem die anderen dennoch verletzt sind. Die eine Seite ist das Erzbistum München und Freising, die anderen, das sind die fünf Franziskanerinnen, die auf dem Reutberg in Sachsenkam leben.

Aus "Fürsorgepflicht" habe man den Schwestern angeboten, ins Alten- und Pflegeheim der Barmherzigen Schwestern Bad Adelholzen zu gehen, heißt es im Erzbistum. Vier der fünf Schwestern sind hochbetagt. "Ohne jemandem etwas Böses unterstellen zu wollen, aber man hätte die Schwestern besser in diesen Prozess einbinden müssen", sagt der Spiritual Josef Beheim, der die Schwestern als Hausgeistlicher begleitet.

Als Prälat Lorenz Kastenhofer nämlich vor drei Monaten das Gespräch mit den Schwestern gesucht habe, sei denen seine Idee sehr endgültig vorgekommen, berichtet Schwester Leonarda. Schwester Faustina, mit 44 Jahren die Jüngste, fügt hinzu: "Zu mir haben sie gesagt, ich könnte hier nicht allein bleiben und müsste entweder mit den Schwestern ins Altenheim gehen und sie pflegen oder mir einen neuen Orden suchen."

Erzbistum: "Kloster als spirituellen Ort erhalten."

Das klingt endgültig, doch im Erzbistum will man davon nichts mehr wissen: "Die Schwestern haben gesagt, dass sie nicht weg wollen - und mir ist nicht bekannt, dass sie bis Ende des Jahres rausmüssen", sagt Sprecher Bernhard Kellner. Fakt ist aber, dass in den vergangenen Jahren mindestens je drei Niederlassungen von Männer- und drei Frauenorden aufgelöst wurden. Es gibt jetzt 27 Männer- und 82 Frauenorden im Erzbistum. Im Fall Reutberg würde die ganze dortige Gemeinschaft der Franziskanerinnen verschwinden, denn Reutberg ist das Mutterkloster.

Für die Schwestern hat ein existenzieller Kampf begonnen. Gehen sie weg, fällt das Kloster zurück an das Ordinariat, sagen sie. Seit Jahren wird spekuliert, dass es dann verkauft werden könnte. "Dabei ist hier das Grab der Schwester Maria Fidelis Weiss", sagt Schwester Faustina. Sie hat Angst vor einer neuen Welle der Säkularisation. "Selbst der Prälat sagt, dass kontemplative Orden wichtig sind, auch wenn sie nicht in der Öffentlichkeit, sondern in Abgeschiedenheit für die Welt beten und opfern." Mit möglichen Verkaufsplänen hält sich das Erzbistum zurück: "Die Situation auf dem Reutberg ist ungeklärt. Fest steht: Wir wollen das Kloster als spirituellen Ort erhalten." Jedoch seien das Wie und die rechtliche Situation unklar.

Ende einer 400-jährigen Tradition?

Für die Schwestern ist Reutberg die Heimat, die sie nicht verlassen wollen. "Sie gehören ins Kloster, sie gehören zur Wallfahrt. Selbst wenn sie nicht mehr arbeiten können, müssen sie beten", sagt Schwester Faustina. Neun Schwestern gehören zur Gemeinschaft der Franziskanerinnen, fünf leben tatsächlich im Kloster. Die älteste ist Schwester Gaudentia, 91, dann folgen Schwester Augustina und Schwester Hyazintha, die beide kürzlich ihr diamantenes Profess-Jubiläum feierten. Schwester Leonarda ist 79, jünger ist nur Schwester Faustina.

Zwei über 80 Jahre alte Schwestern leben seit einiger Zeit im Altenheim. Dann gibt es noch zwei Interessentinnen für den Eintritt ins Kloster, die ihr Gelübde aber noch nicht abgelegt haben. In Reutberg gibt es allerdings weder eine Oberin noch eine Novizenmeisterin, was notwendig wäre für die Aufnahme von Novizinnen. "Aber das zeigt doch: Es gibt Nachwuchs", sagt Schwester Leonarda.

Sollte das Kloster aufgelöst werden, ginge eine 400-jährige Tradition zu Ende: Gräfin Anna Papafabin, Hofmarksherrin von Reichersbeuern und Sachsenkam, ließ 1606 in der einsamen und etwas unheimlichen Moorlandschaft eine Loretokapelle bauen: die erste im bayerischen Oberland und eine maßstabsgetreue Kopie des Heiligen Hauses im berühmten italienischen Wallfahrtsort Loreto.

Von ihrem Mann verlassen, ließ die Gräfin ein Kloster errichten, wurde Nonne und zog mit sechs Schwestern auf den Reutberg. Kloster und Kirche, wie sie heute dort stehen, wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts errichtet. Touristen und Gläubige kommen wegen des Grabs der Schwester Maria Fidelis Weiss hierher, der Gebetserhörungen zugeschrieben werden. Ihr Seligsprechungsprozess wurde 1936 eingeleitet, der erste Teil 1977 abgeschlossen.

"Im Moment stimmt das Gesamtpaket: Kloster, Klosterbräustüberl, Klosterbrauerei."

In Klosterbrauerei und Klosterbräustüberl wird besorgt über einen möglichen Weggang der Schwestern nachgedacht. "Auch für uns wäre es schlecht, wenn es das Kloster nicht mehr gäbe - mindestens die Hälfte unserer Gäste geht vor oder nach dem Essen in die Kirche", sagt Restaurant-Geschäftsführer Georg Lichtenegger. "Im Moment stimmt das Gesamtpaket: Kloster, Klosterbräustüberl, Klosterbrauerei."

Die Pacht für die Brauerei-Gebäude und das Restaurant ist bis 2030 vereinbart, mit der Option, bis 2040 zu verlängern. "Der Vertrag ist mit dem Kloster und dem Ordinariat ausgehandelt, unabhängig davon, ob es Franziskanerinnen auf dem Reutberg gibt", sagt Stephan Höpfl, Geschäftsführer der Genossenschaftsbrauerei. "Doch als spiritueller Ort sollte das Kloster erhalten bleiben." Momentan zahlt die Brauerei mehr als 100 000 Euro jährlich ans Kloster. Auch die umliegenden Flächen gehören dem Kloster und werden von zwei Landwirten bearbeitet.

Vor einer Woche war Prälat Kastenhofer noch einmal zu Besuch und bat die Schwestern um Vertrauen. Davon, dass sie bis Jahresende wegziehen müssen, sei keine Rede mehr gewesen. Die Franziskanerinnen hoffen nun, dass wieder Ruhe einkehrt. Doch Schwester Faustina ist überzeugt, dass es die Unruhe wert war: "Wenn wir uns nicht gewehrt hätten, wären die alten Schwestern wohl ins Altenheim gekommen."

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