München:Bayern verkaufte Nazi-Raubkunst an Familien ehemaliger NS-Größen

Flur in Görings Landsitz Karinhall, 1938

Diese Bilder wollten etwa die Witwe und die Tochter Görings wiederhaben.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Kultusminister Spaenle hat im Landtag zum fragwürdigen Umgang bayerischer Behörden mit NS-Raubkunst Stellung genommen.
  • Doch anstatt Kritik zu üben, scheint er das Vorgehen noch zu verteidigen. Es seien eben andere Zeiten gewesen.

Von Jörg Häntzschel

Die Identifizierung und Restitution von Raubkunst an bayerischen Museen wird offenbar auch weiterhin so halbherzig und schleppend betrieben wie bisher. Das war jedenfalls der Eindruck, der sich am vergangenen Mittwoch im Wissenschaftsausschuss des Landtags aufdrängte, wo Kulturminister Ludwig Spaenle zu im Juni in der SZ erhobenen Vorwürfen Stellung nahm. Die SZ hatte über mehrere hundert Raubkunstwerke berichtet. Diese wurden von den bayerischen Finanzbehörden und den Staatsgemäldesammlungen versteigert oder direkt an Familien von NS-Funktionären, bei denen die Amerikaner sie 1945 beschlagnahmt hatten, zurück verkauft oder zurückgegeben.

Die Amerikaner hatten bei ihrem Abzug 1948 die Deutschen angewiesen, die rechtmäßigen Besitzer jedes einzelnen Werks zu ermitteln. Doch weder bei den Finanzbehörden, die die Bilder treuhänderisch übernahmen, noch bei den Staatsgemäldesammlungen, in deren Bestand 890 Werke eingegliedert wurden, kümmerte man sich bis Ende der Neunzigerjahre darum. In seinem Bericht, einer Antwort auf Anfragen der Fraktionen von Grünen, SPD und CSU, bestätigte Spaenle alle diese Vorgänge; die SZ berichtete darüber am Dienstag. Doch statt Kritik an den Entscheidungen seiner Vorgänger in der bayerischen Regierung und Verwaltung zu üben, schien der Minister sie zu verteidigen. Es seien eben andere Zeiten gewesen.

Die Sprecher der anderen Fraktionen griffen Spaenle dafür heftig an. Michael Piazolo von den Freien Wählern sagte, der Bericht habe ihn "in Teilen erschreckt". Er sprach von "Rechtfertigung für Nichtstun über Jahrzehnte". Auch Sepp Dürr von den Grünen meinte, es sei ihm "unerklärlich", wie Spaenle "die Machenschaften der Vorgängerregierungen" in Schutz nehmen und bagatellisieren könne: "Kein kritisches Wort, kein kritisches Bewusstsein!" Spaenle verwahrte sich energisch gegen die Vorwürfe. Ein Bericht wie dieser habe "deskriptiv" zu sein, nicht wertend.

Doch auch in der wichtigeren Frage, was die Regierung tue, um das damalige Unrecht wiedergutzumachen, wurde er von Abgeordneten der anderen Fraktionen teils heftig kritisiert. Mit seinen Hinweisen auf die Anstrengungen, die in den letzten Jahren unternommen worden seien, um die Provenienzforschung auszubauen, konnte Spaenle die Abgeordneten der Opposition nicht überzeugen. Auch nicht mit dem aufwendig gedruckten Bericht des "Forschungsverbunds Provenienzforschung Bayern", den er im Landtag verteilen ließ.

"Wem tut das denn weh, wenn so etwas vor die Limbach-Kommission kommt?"

Dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit 1999 lediglich zwölf Kunstwerke restituiert haben - bei weit über 1000 verdächtigen Werken -, sei "blamabel", sagte Dürr. "Das haben Sie uns vor drei Jahren auch schon gesagt." Und von den angekündigten zusätzlichen Stellen sei auch nichts zu sehen: "Sie machen sich lächerlich!" Spaenle versuchte, die Abgeordneten zu beruhigen. Die Aufarbeitung des Raubkunstproblems sei für ihn "zentrale kulturpolitische Aufgabe", sagte er und versprach "zusätzliche Ressourcen" für die Provenienzrecherchen.

Nur sei es eben, so sagte Georg Rosenthal (SPD), mit zusätzlichem Personal nicht getan. "Wir können nicht länger Verantwortung für die Handlungen unserer Vorgänger aus den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren übernehmen", meinte er und forderte den überfälligen Bruch mit der Nachkriegsmentalität. "Es geht um die Glaubwürdigkeit denen gegenüber, die das Gefühl haben, sie seien nach 1945 ein zweites Mal entrechtet worden."

Eher listig verpackte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Oliver Jörg (CSU) eine ähnliche Kritik in einen überschwänglichen Dank an den "lieben Ludwig", als er von der jüdischen Familie Hagen berichtete, die davon überzeugt sei, das in der Münchner Alten Pinakothek hängende Gemälde "Das Zitronenscheibchen" sei ihr unrechtmäßig in der NS-Zeit entzogen worden. Die Staatsgemäldesammlungen kamen jedoch zu einem anderen Schluss und weigern sich, den Fall vor der Limbach-Kommission verhandeln zu lassen.

Er bitte doch darum, dass man im Sinne der Wiedergutmachung mehr tue, als Recht und Gesetz verlangten: "Wem tut das denn weh, wenn so etwas vor die Limbach-Kommission kommt? Es muss doch möglich sein, dass man in so einem Fall über den eigenen Schatten springt."

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