Ernährung:Kantinenessen soll bio sein, aber billig

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  • Viele Kantinenchefs wollen inzwischen nachhaltig produzierte Gerichte anbieten, Bio ist für einige Köche ein Muss.
  • Es ist allerdings auch teurer, das Gemüse selbst zu schneiden, als abgepackte Komponenten zu verwenden.
  • Die Akzeptanz von teurem Kantinenessen ist jedoch noch gering - und das, obwohl Kantinen bei der Agrarwende eine Schlüsselrolle spielen.

Von Clara Lipkowski

Anfang Mai in der Münchner Innenstadt. Es ist kurz nach elf Uhr an einem Donnerstagvormittag, Essenszeit im Landwirtschaftsministerium. Die ersten Mitarbeiter steuern schon Richtung Essenstheken der Hauskantine. In etwa einer halben Stunde beginnt die Hauptkampfzeit. Heute unter anderem in Angebot: Bio-Rinderlasagne. Vegetarier und Veganer kriegen Couscous mit Nüssen und Gemüse, nicht bio. Bis zu 900 Gerichte werden heute über die Theken gereicht. Neben Chop Suey oder Kokos-Curry stehen im Ministerium an der Ludwigstraße auch immer wieder die nach wie vor beliebtesten Klassiker auf der Speisekarte: Currywurst, Schnitzel und Spaghetti Bolognese.

Und bio dürfen die Gerichte immer öfter sein. Viele Kantinenchefs vertreten inzwischen die Meinung: Zwischen Exceltabellen und Teammeeting soll es den Gästen nicht nur schmecken, es soll, wenn möglich, auch nachhaltig produziert sein. So sieht das Geschäftsführerin Sandra Benke. Das heißt für sie: Das Gemüse ist im besten Fall ohne Chemie und Kunstdünger gewachsen, das Fleisch stammt von Bauernhöfen aus der Gegend und von Tieren, die auf Weiden grasen konnten, bevor sie geschlachtet wurden.

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Bio auf dem Teller ist auch für die Ministeriumsköche ein Muss. In der Kantine liegt der Anteil bei 20 bis 25 Prozent. Auch die Bayerische Versicherungskammer in München-Giesing bietet Gästen 25 Prozent bio an, die Linde AG in Pullach sogar 60 Prozent. Spitzenreiter ist das Unternehmen Hipp in Pfaffenhofen. Dort essen Kantinengänger nahezu 100 Prozent bio - nur Wild und Fisch sind ausgenommen. Aber letzterer sei MSC-zertifiziert, also nachhaltig gefangen, sagt der dortige Betriebsleiter Josef Holzer.

Sieht man sich die anderen neun bayerischen Ministerien mit hauseigener Kantine an, zeigt sich weniger Bio-Enthusiasmus: Bio gibt es zwar, aber mit zehn Prozent Anteil deutlich weniger als im Landwirtschaftsministerium. Das Umweltministerium hat 6,77, die Staatskanzlei und das Innenministerium: null. Das zeigt eine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Gisela Sengl an die Staatsregierung von Februar. Da immer mehr Menschen auswärts speisen, sieht sie in der Gemeinschaftsverpflegung eine Chance, Bioessen und Biolandwirtschaft zu fördern. Für staatliche Kantinen fordert sie eine Bio-Mindestquote von 20 Prozent in den kommenden zwei Jahren. Als Vorbild nennt sie Kopenhagen, wo es "innerhalb weniger Jahre" gelungen sei, den Anteil der Biolebensmittel der staatlichen Gemeinschaftsverpflegung auf 90 Prozent zu heben.

Ginge es nach Sandra Benke, würden sie in der Kantine im Landwirtschaftsministerium alsbald 100 Prozent bio anbieten. Sie pachtet mit ihrer "VC Vollwertkost GmbH" das Behördenrestaurant und hat mit dem Ministerium vertraglich vereinbart, zwei Biogerichte pro Woche anzubieten. "Aber wir haben meistens mehr, in der Regel eins pro Tag", sagt Benke. Eine weitere vertragliche Anforderung: Möglichst viele Zutaten sollen frisch verarbeitet werden.

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Gut so, findet auch Benke, doch das habe seinen Preis. Möglichst wenig Convenience-Food bedeutet wenig Fertigsoßen oder vorgeschälte, geschnittene und in Portionen abgepackte Komponenten wie Kartoffeln oder Fleisch. Im Umkehrschluss aber heißt es auch: Das Küchenpersonal schneidet und schält Kartoffeln noch selbst. Das schmecke frischer, dauere aber und sei schon wegen der Personalkosten teurer, sagt Benke. Doch je teurer das Essen, desto geringer die Akzeptanz: "Da ziehen die Gäste nicht mit."

Es ist ein bekanntes Problem: Ist das Essen bio, regional und saisonal, finden das grundsätzlich erst einmal alle gut. Doch wenn dadurch ein Gericht weit mehr als fünf Euro kostet, scheren vor der Essensausgabe doch viele Kantinengänger wieder aus und reihen sich in die Schlange vor dem günstigeren Gericht ein. "Es heißt immer: Kantine? Dann muss es ja billig sein", sagt Benke. Böte sie ein fleischhaltiges Bio-Gericht aus der Region an, müsste sie eigentlich mindestens 14 Euro verlangen. "Aber dann gibt es im Haus einen Aufschrei."

Viele Firmen bezuschussen deswegen die Speisen. In der Bio-Kantine von Hipp in Pfaffenhofen bleibt der Verkaufspreis pro Teller unter der Sechs-Euro-Marke. Rechnet man die Subventionierung ein, sei im Schnitt jedes zweite Gericht umsonst, sagt Betriebsleiter Holzer. Für die Hauskantine zählt allerdings am Ende lediglich, dass der Wareneinsatz durch die Erlöse gedeckt ist. Sandra Benkes Kantine hingegen muss sich für sie rechnen - das Casino ist öffentlich zugänglich und wird nicht subventioniert. Um die Gäste nicht zu verprellen und weil es mit dem Ministerium so vereinbart ist, bleibt sie unter einer Obergrenze von 7,90 Euro pro Gericht. Auch wenn das für sie Verluste bedeutet.

Elisabeth Peters kennt das Problem. "Bio ist zu teuer", höre sie immer wieder. Sie berät für den Bund Naturschutz Betriebsrestaurants bei der Umstellung auf bio und plädiert für ein maßvolles Vorgehen. "Es muss sich rechnen", sagt sie. Aber auch: Bis zu 20 Prozent Bioanteil könne man kostenneutral anbieten, man müsse nur klug einkaufen. Etwa, indem man zunächst auf Produkte setze, bei denen der Preisabstand zum konventionellen Pendant gering ist. Anfangen könne man mit Bio-Nudeln. Und Bio-Rindfleisch sei meist günstiger als Huhn.

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"Oder Würstl zum Sauerkraut. Ob die 30 oder mit bio 50 Cent kosten, das merkt der Gast ja kaum." Und ohnehin, 100 Prozent bio anzustreben, sei völlig utopisch, meint sie. Das teure Fleisch in den benötigten Mengen würde jeden Kostenrahmen sprengen. Aber: "In Deutschland haben wir etwa zehn Prozent ökologische Landwirtschaft", sagt sie, "aber nur ein Prozent biozertifizierte Großküchen." Das Missverhältnis könne man deutlich verringern.

Das Thema Fleisch ist Dreh- und Angelpunkt in Sachen Bioumstellung. Will man bio, aber das bitte möglichst billig, bedeutet das immer auch weniger Rind, Huhn und Schwein auf dem Teller. Deswegen plädiert Josef Holzer von Hipp zur Rückkehr zum "guten alten Sonntagsbraten". "Ich liebe ein schönes Steak, keine Frage", sagt er. "Aber wenn für ein Kilo Rind 15 000 Liter virtuelles Wasser verbraucht werden, ist das doch Wahnsinn. Wir brauchen nicht billiges Fleisch, sondern weniger Fleisch." Die Realität sieht anders aus. In den Kantinen Bayerns wird Fleisch in großen Mengen nachgefragt, und das täglich.

Viele Betriebe scheuen bio wegen der Zertifizierung. Wer diese will, um sich bei den Gäste damit zu schmücken oder um die höheren Preise damit zu erklären, muss sich regelmäßig kontrollieren lassen, Zutateneinkäufe akribisch dokumentieren. Die Firma Bosch in Nürnberg teilt mit, von den 500 Essen am Tag sei keines bio, weil man gar nicht den Platz habe, die Lebensmittel wie vorgeschrieben getrennt von konventionellen Produkten zu lagern. Auch beim Studentenwerk Oberfranken wiegelt man ab - aus Preisgründen.

"Bei uns kostet die Currywurst mit Pommes frites 2,25 Euro, wollten wir das alles in Bioqualität anbieten, müssten wir mindestens 3,80 Euro berechnen, das wären über 50 Prozent mehr", sagt der Leiter der Verpflegungsbetriebe. Im Studentenwerk Erlangen-Nürnberg sieht man gar den Trend woanders: "Bio ist kaum mehr nachgefragt", sagt ein Sprecher, vielmehr gehe es den Studenten um das Tierwohl und Regionalität. Zwar sei bio gut, aber bio und regional schließe sich aus, weil es zu teuer sei.

Zurück in der Münchner Ministeriumskantine, der große Ansturm ist fast vorbei. Ein älterer Mann sitzt in einem der Sessel am Eingang und daddelt am Handy. Er hatte heute den Spinatauflauf, Tagesangebot, nicht bio, sagt er und grinst, "sehr zufrieden" sei er gewesen. Deswegen komme er ja zwei-, dreimal die Woche her. Ob er sonst wert auf bio lege? "Ja, auf jeden Fall!" Und warum? "Ja, wegen der Gesundheit!" Dafür sei er auch bereit, etwas mehr zu zahlen. Aber auch nicht unbegrenzt mehr. Und noch wichtiger als bio seien ihm der Geschmack und dass es frisch sei.

Für Benke, die Geschäftsführerin, ist das nachvollziehbar, aber auch hinderlich. Gutes Essen koste mehr, als man es bislang gewohnt sei, findet sie, das müsse auch bei den Menschen ankommen. Subventionen fände sie auch gut, wenn schon nicht für alle, dann für die Ministeriumsmitarbeiter. Solange die nicht kommen, heiße das für sie: Minusgeschäft.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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