Europawahlkampf:Rüpeleien auf der Europa-Bühne

German Economy Minister Gabriel speaks about government's policies on Germany's energy transition during Bundestag session in Berlin

SPD-Chef Sigmar Gabriel (Archivbild) empfiehlt der CSU, "nicht die Rhetorik und Polemik der Rechtsradikalen zu übernehmen".

(Foto: REUTERS)

In der CSU macht sich nach dem Dauerwahlkampf Müdigkeit breit. Angriffe auf SPD-Spitzenkandidat Schulz sollen die eigenen Anhänger mobilisieren. Doch Gabriels Reaktion zeigt: Die Attacken werden zur Belastung für die große Koalition.

Von Christoph Hickmann und Mike Szymanski, Nürnberg

Eigentlich will CSU-Chef Horst Seehofer keinen Ärger. Sagt er zumindest. Seine Partei ist am Samstag in Nürnberg zum Europaparteitag zusammengekommen. Seehofer schlendert durch die Delegiertenbänke zu seinem Platz in der ersten Reihe. "Die Leute haben für Show nichts übrig", sagt er. Die Bürger seien "inhaltlich interessiert" an der Europapolitik. "Show ist out!"

Und dann führt seine CSU doch wieder eine Show auf - eine ganz große sogar.

"Brüssel" heißt passenderweise der Tagungsraum, in dem sich etwa 300 Delegierte zwei Wochen vor der Europawahl versammelt haben. Seehofer beansprucht zur Abwechslung mal nicht die Hauptrolle. Im "Sinne einer Humanisierung der Arbeitswelt" habe er dem Spitzenkandidaten Markus Ferber die Bühne überlassen. Parteivize Peter Gauweiler, der mit seinem Pro-Putin-Kurs viele auch in den eigenen Reihen verärgert hatte, bleibt Zuschauer. Damit hat Ferber freie Bahn, was selten genug vorkommt. Es dauert ein bisschen, aber dann geht er auf SPD-Spitzenkandidat und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz los.

Er rückt den Mann, der Chancen hat, Kommissionspräsident zu werden, in die Nähe krimineller Menschenhändler. Nach dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer im vergangenen Jahr hatte sich Schulz mehr Verantwortung und Offenheit von den EU-Staaten für Flüchtlinge gewünscht und sich über die Abschottungsmentalität empört. Ferber sagt jetzt: "Wir haben natürlich diese furchtbaren Bilder in Erinnerung. Martin Schulz hat sich damals vor das Europäische Parlament gestellt und hat gesagt, er wünsche sich eine EU, wo jeder, der den Boden Europas erreicht, herzlich willkommen ist. Wenn das unsere Politik ist, dann kann ich nur sagen: Die Schlepperbanden in Afrika haben damit einen Geschäftsführer bekommen."

Bislang hatte sich die CSU an den Institutionen der EU abgearbeitet, vor allem der Kommission, die sie für "regelungswütig" hält. Dass sie den SPD-Spitzenpolitiker in dieser Schärfe angeht, ist neu. Es bleibt bei Ferber auch nicht bei einer Bemerkung. Als es um das Verhältnis der EU zur Türkei geht, sagt Ferber: "Wenn der Herr Schulz in Ankara ist, dann ist nichts zu hören von Eingriffen in die Pressefreiheit, von Eingriffen in die Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten. Das ist zu hören: große Perspektive. Einen Menschen, der hier in Deutschland sagt: Nein, das geht nicht und in der Türkei sagt, ihr seid herzlich willkommen, wollen wir nicht als Kommissionspräsidenten."

Für SPD-Chef Gabriel hat die CSU Grenzen überschritten: Er spricht von "schlimmen Ausfällen"

Ferber macht sich auch darüber lustig, dass sich Schulz besorgt darüber gezeigt hatte, rechtsradikale Gruppierungen könnten Erfolge bei der Europawahl feiern. Schließlich hätten Schulz' Sozialisten etwa in Rumänien und der Slowakei in der Vergangenheit mit Rechten koaliert. Ferber sagt: "Wer auf diesem Auge blind ist, und selber aber selbstverständlich in der Lage ist, mit rechtsextremen und radikalen Parteien zu koalieren, der hat in Europa es nicht verdient, Verantwortung zu übernehmen." Auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nimmt sich Schulz vor. "Die Fassade und die Person stammen zwar aus Deutschland", sagt Scheuer. Stimme und Inhalte von Schulz würden aber den Schuldenstaaten der EU entspringen.

Seehofer sitzt in der ersten Reihe und hört zu. Als er schließlich redet, lobt er seine Partei dafür, dass sie im Wahlkampf immer den "Ton getroffen" habe. Auch an Ferbers Attacken stört er sich nicht, "abgewogen" nennt er dessen Rede. Schulz sei von Ferber "sauber beschrieben" worden, er habe ihn schließlich nicht als Menschenhändler bezeichnet.

Die SPD ist empört. Am Sonntag schaltet sich Parteichef Sigmar Gabriel ein. Für ihn hat die CSU Grenzen überschritten: "Wenn diese Beleidigungen und Verunglimpfungen im Wahlkampf den Ton angeben, muss man sich nicht wundern, wenn sich die Wähler entsetzt abwenden und nicht zur Wahl gehen", sagt Gabriel der SZ. "Derart schlimme Ausfälle sollten wir uns alle ersparen, denn sie machen nur die schlimmen Polemiken von Rechtsradikalen und Rechtspopulisten hoffähig."

Seehofers größte Sorge ist, dass die Anhänger am 25. Mai daheim bleiben. In der Bevölkerung spüre er große Zustimmung zu seiner Politik. "Es geht jetzt darum, ob wir das Maß an Zufriedenheit an die Urne bringen", sagt Seehofer. "Wir sind alle miteinander seit 18 Monaten im Wahlkampfeinsatz." In anderen Bundesländern stehen am Tag der Europawahl auch Kommunalwahlen an. Die Wähler dort dürften motivierter sein. Das macht die CSU nervös.

Der "Europaplan" der CSU, ihr Wahlprogramm, wird ohne Diskussion beschlossen. "Goldrichtig" liege man damit. In der 15 Seiten dünnen Broschüre stehen Sätze wie: "Wir wollen keinen Zentralstaat Europa" und "Wir wollen einen Zuständigkeitsstopp für die EU". Ein Kompetenzgerichtshof soll künftig darauf achten, dass Brüssel nicht zu viele Befugnisse an sich reißt. Die Zahl der EU-Kommissare will die CSU halbieren. Wer bezweifelt, dass dies so umgesetzt werden könnte, bekommt von Seehofer zu hören: "Das ist das Wesen unserer Politik. Es beginnt immer mit Skepsis." Am Ende werde sich die CSU durchsetzen.

Acht Europaabgeordnete - wie bisher - will Seehofer wieder nach Brüssel schicken. Ein ehrgeiziges Ziel, denn die Bedingungen sind schwieriger geworden. Mit der AfD hat die CSU Konkurrenz bekommen. Die Fünf-Prozent-Hürde ist gefallen. Was für die CSU kämpfen bedeutet, hat Ferber schon mal vorgemacht.

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