Erster Weltkrieg in Bayern 1914:Im Zweifel fürs Vaterland

Menschenmenge bei Kriegsausbruch, 1914

München am 1. August 1914: Tausende Menschen versammeln sich nach der Proklamation des Kriegsausbruchs durch König Ludwig III. auf dem Odeonsplatz vor der Feldherrnhalle

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Künstler und politisch Linke in Bayern lassen sich in den ersten Kriegstagen 1914 vom patriotischen Taumel anstecken. Viele Genossen schließen den Burgfrieden gegen ihre Überzeugung.

Von Wolfgang Görl

Rückblickend auf den Sommer 1914 schrieb der linke Schriftsteller Oskar Maria Graf in seinem Revolutionsroman Wir sind Gefangene: "Wo waren sie alle hin, die mich gelehrt hatten, daß ein Anarchist dem Staat auf keinem Fall dienen darf, daß er vor allem jeden Militär- und Kriegsdienst unbedingt verweigern muß?" Mit einem Anflug von Empörung beantwortete der Pazifist Graf die Frage gleich selbst: "Als Kriegsfreiwillige waren sie in Scharen in die Kasernen gelaufen!"

Tatsächlich, es war schon irritierend, wer in den Tagen um den Beginn des Krieges sein Faible für Patriotismus, Militär und Tschingderassabum entdeckte. Dass Ludwig Thoma, in jüngeren Jahren noch ein bissiger Gesellschaftskritiker, der wegen eines im Simplicissimus veröffentlichten Gedichts sogar ins Gefängnis gesteckt worden war, nun jubelte, es sei "kein Raum mehr für friedliche Gedanken", verwunderte bei dem stetig nach rechts driftenden Autor wohl nur wenige seiner Zeitgenossen.

Und dass Thomas Mann, damals noch ein großbürgerlicher Konservativer mit tiefem Misstrauen gegenüber modernen westlichen Gesellschaften, den bevorstehenden Krieg als "Reinigung, Befreiung" verstand, war auch keine Überraschung.

Wer aber hätte gedacht, dass Frank Wedekind, ein durchaus aufmüpfiger Geist und stets im Visier der Zensur, Mitte September 1914 eine "Vaterländische Feier" in den Kammerspielen mit einer patriotischen Rede zum Thema "Deutschland bringt die Freiheit" eröffnen würde? Erstaunlich auch, dass sich der 20-jährige Ernst Toller, später einer der führenden Köpfe der Räterevolution, freiwillig zum Kriegsdienst meldete und auch noch schrieb: "Ja, wir leben in einem Rausch des Gefühls. Die Worte Deutschland, Vaterland, Krieg haben magische Kraft."

Und die Satirezeitschrift Simplicissimus, die ehedem den Kaiser ebenso bespöttelte wie den preußischen Militarismus, stimmte mit einem Mal begeistertes Kriegsgeheul an, wobei sich Ludwig Thoma besonders hervortat: "Wir horchten noch beklommen, / Da klang's wie ein Signal, / Klang über alle Berge / Und klang in jedes Tal: - die Deutschen / Die Deutschen haben Lüttich genommen!"

Und wie sah es bei Erich Mühsam aus, dem Schwabinger Bohemien schlechthin, dem Anarchisten, Antimilitaristen und Poeten? Selbst er musste sich zur Ordnung rufen, um nicht der allgemeinen Kriegsbegeisterung zu verfallen. In den ersten Augusttagen notierte er in sein Tagebuch: "Ich ertappe mich irgendwie ergriffen von dem allgemeinen Taumel, entfacht von zorniger Leidenschaft, wenn auch nicht gegen etwelche Feinde, aber erfüllt von dem glühend heißen Wunsch, daß wir uns vor ihnen retten! Nur: wer sind sie, wer ist wir? Aber der Gedanke ist doch grauenhaft, daß die Russen ins Land kommen könnten."

Doch Mühsams oppositioneller Geist war stark genug, derlei Anwandlungen klein zu halten. Er blieb dann doch auf der Seite der wenigen Kriegsgegner, zumal schon nach den ersten Wochen die Grausamkeit der Kämpfe nicht mehr zu übersehen war.

Schon lange vor dem Gemetzel hatte es einigen Künstlern der Schwabinger Boheme gefallen, Gewalt und Krieg als befreienden Ausbruch aus der Langeweile des bürgerlichen Lebens und der Dominanz wirtschaftlicher Interessen zu feiern. Ihnen erschien der Krieg als geistiges Abenteuer, als interessante Alternative zur als oberflächlich empfundenen Zivilisation. Diese Ästhetisierung der Gewalt machte viele Künstler anfällig für die kriegsverherrlichende Propaganda in den Zeiten der Mobilmachung.

Auf dem politischen Feld schien es für die Linke zunächst keine Frage zu sein, welchen Standpunkt man in puncto Krieg einzunehmen hatte. Der Krieg, das wusste man seit Marx, war ein Mittel der Nationalstaaten, die Interessen des Kapitals durchzusetzen, ein wirksames Instrument, um Märkte, Menschen und Rohstoffe unter die Kontrolle der eigenen Wirtschaft zu bringen.

Für die Arbeiterklasse war da nichts zu gewinnen, sie war nur Kanonenfutter. Der nationalen Propaganda setzte die Linke die Solidarität des internationalen Proletariats entgegen. Niemals sollten französische, britische, russische oder deutsche Arbeiter aufeinander schießen.

Noch im März 1914 hatten Sozialdemokraten und andere Linke im überfüllten Münchner-Kindl-Keller der mit einem Strauß roter Nelken empfangenen Gastrednerin Rosa Luxemburg zugejubelt, als sie in ihrem Vortrag zum Thema "Militarismus und Volksfreiheit" das "unsinnige Wettrüsten der Mächte" sowie den preußischen Militarismus anprangerte und vor einem Weltkrieg warnte, der als Folge von Imperialismus und Kapitalismus zwangsläufig kommen werde. Und nachdem am 25. Juli der SPD-Parteivorstand in Berlin die deutschen Sozialdemokraten zu Demonstrationen gegen den Krieg aufgerufen hatte, kam es in Bayern zu einer Reihe von Massenkundgebungen.

Eisner wettert gegen Kriegstreiber - und klingt fast patriotisch

Auch in München regte sich Widerstand gegen das allgemeine Säbelrasseln. So verurteilte Kurt Eisner auf einer SPD-Veranstaltung mit etwa 5000 Zuhörern die Politik der Kriegstreiber, doch klang seine Rede, so schreibt der Historiker Bernhard Grau im Begleitbuch zur Kriegsausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, eigentümlich "gemäßigt, fast fatalistisch".

Zwar räsonierte Eisner über die Möglichkeiten, den Krieg zu verhindern, aber er gab schon mal dem zaristischen Russland die Schuld an der europäischen Krise. Und so schwenkte er vorsichtig auf einen nun schon fast patriotischen Kurs: "Wir sind bereit, einen Angriff des Feindes abzuwehren und unser Vaterland zu schützen."

Auch in der Münchener Post, dem Leitmedium der bayerischen Sozialdemokratie, änderte sich der Ton. Am 1. August distanzierte sich das Blatt noch von den "unreifen Hurra-Schreiern", am Tag darauf aber war zu lesen: "Solange es die Möglichkeit gibt, den Frieden zu retten, gibt es nur eine Pflicht: für ihn zu arbeiten. In dem Augenblick aber, in dem das weltgeschichtliche Ringen beginnt (...), ändern sich auch die Aufgaben des deutschen klassenbewussten Proletariats. Die ungeheure Mehrheit des deutschen Volkes hat den Krieg nicht gewollt. Aber es gibt in ganz Deutschland keine Partei, keine Gruppe, und wir glauben, keinen Menschen, der in diesem Kriege eine Niederlage Deutschlands will."

Am 4. August stimmte der Reichstag in Berlin über die Kredite zur Finanzierung des Krieges ab. Auch die SPD-Fraktion votierte für die Kriegskredite, nach heftigen internen Debatten im Vorfeld. Selbst Hugo Haase, zusammen mit Friedrich Ebert Parteichef und eigentlich überzeugter Pazifist, knickte ein und verkündete: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich."

Auch die bayerischen Sozialdemokraten trugen den Beschluss mit, nicht zuletzt, um der gängigen Diffamierung als "vaterlandslose Gesellen" den Boden zu entziehen. Als Hauptargument diente der SPD die These, es handle sich um einen Verteidigungskrieg, den die Deutschen gegen das despotische Zarenreich, für die Linke seit je ein Hort der Reaktion, führen müsse.

Burgfrieden gegen Überzeugung geschlossen

Doch es zeigte sich bald, dass nicht wenige Genossen gegen ihre Überzeugung den Burgfrieden mit den Herrschenden geschlossen hatten. Nachdem Karl Liebknecht bei einer Reichstagssitzung im Dezember gegen die Bewilligung weiterer Kriegskredite votiert hatte, schlossen sich immer mehr Sozialdemokraten des linken Flügels seiner Haltung an.

Damit war ein Prozess in Gang gesetzt, der noch während des Krieges zur Spaltung der Linken in SPD und USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) führte. Auch Kurt Eisner hatte bald wieder zum Pazifismus zurückgefunden, und als sich auch in München die USPD konstituierte, war er ganz vorne dabei.

Geschwächt war die nunmehr zersplitterte Linke gleichwohl, zumal sich die Gräben während der Revolutionszeit 1918/19 vertieften. Von dieser Schwäche profitierten die reaktionären bayerischen Politiker in den Zwanzigerjahren und schließlich die Nationalsozialisten.

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