Entführung eines Anlageberaters:Senioren üben Selbstjustiz

Weil sich fünf Rentner um ihr Geld betrogen fühlten, kidnappten sie kurzerhand ihren Anlageberater. Nun stehen sie wegen Geiselnahme und Körperverletzung in Traunstein vor Gericht.

Heiner Effern

Irgendwann im Frühjahr 2009 brannten alle Sicherungen durch. Fünf Senioren haben sich damals vom Gesetz so sehr im Stich gelassen gefühlt, dass sie beschlossen, sich ihr Recht selbst zu verschaffen. Mitte Juni überwältigten und entführten sie ihren Anlageberater, von dem sie sich betrogen glaubten, und knöpften ihn sich in der Garage des Rädelsführers Roland K., 74, in Hart nahe des Chiemsees vor. Zu fünft saßen sie um ihr Opfer herum, und der frühere Bauunternehmer K. beschimpfte den Entführten so lange, bis der Anlageberater vier Vereinbarungen zur Rückzahlung von 3,5 Millionen Dollar unterzeichnet hatte. Eine durchgeladene Pistole soll in Griffweite gelegen haben. Die Staatsanwaltschaft Traunstein nennt das in ihrer Anklage ein Femegericht.

Entführung eines Anlageberaters: Ihm bleibt der Prozess erspart: Wegen akuter Herzprobleme wurde der Orthopäde Gerhard F. vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen.

Ihm bleibt der Prozess erspart: Wegen akuter Herzprobleme wurde der Orthopäde Gerhard F. vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen.

(Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Gemeinschaftliche Geiselnahme, gefährliche Körperverletzung

Dafür müssen sich die Senioren von heute an vor einem ordentlichen Gericht verantworten, dem Landgericht Traunstein. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Anführer K. und seiner Frau Sieglinde, 79, Willi D., 60, und Iris F., 64, gemeinschaftliche Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung vor. Darauf stehen mindestens fünf Jahre Haft. Einer der fünf Entführer aber wird fehlen: Das Verfahren gegen den Arzt Gerhard F., 67, den Mann von Iris, wurde aus gesundheitlichen Gründen vorläufig eingestellt. Er leidet seit 1993 an einer Herzkrankheit, in den vergangenen Tagen verschlechterte sich sein Zustand. Er durfte das Gefängnis in Stadelheim zur weiteren ärztlichen Behandlung bereits am vergangenen Donnerstag verlassen.

Der Orthopäde hat wie seine vier Genossen die Entführung gestanden. Am Dienstag, 16. Juni, fuhren der Anführer Roland und sein Helfer Willi nach Speyer. Dort passten sie ihren Anlageberater vor seiner Wohnung ab, fesselten ihn und wickelten ein Klebeband fünf Mal um seinen Kopf. Nur ein Nasenloch blieb ihm zum Atmen. Sie steckten ihn in einen selbstgebastelten Karton, fuhren das Paket mit einer Sackkarre durch die Fußgängerzone und warfen es in den Kofferraum von K.'s Auto. Bei einem Fluchtversuch während eines Stopps brach K. seinem Opfer noch zwei Rippen. In Hart sperrten sie den Mann in einen dafür vorbereiteten Keller, für die Verhandlungen holten sie ihn in die Garage. Schließlich gelang es dem Entführten durch einen Trick, die Rentner auffliegen zu lassen. Auf eine Anweisung an seine Schweizer Bank schrieb er "Call Pol.ICE". Am Samstagmorgen um vier Uhr befreite ihn ein Spezialkommando der Polizei.

"Alle legalen Mittel ausgeschöpft"

Doch schon nach wenigen Tagen ermittelte die Staatsanwaltschaft auch gegen das Opfer James A., einen Deutsch-Amerikaner. Das Verfahren wegen Untreue läuft mittlerweile in Kaiserslautern, dort haben sich viele Menschen gemeldet, die sich in Finanzgeschäften von ihm betrogen fühlen. Genauso wie die beiden Ehepaare aus Hart und vom Schliersee. Seit vielen Jahren verbrachten sie einige Monate im Jahr in ihren Häusern in Naples (Florida). Dort lernten sie den Deutsch-Amerikaner kennen, der ihnen eine wundersame Vermehrung ihres Geldes versprach. Die Rentner stiegen ein: Roland und Sieglinde investierten 1,1 Millionen Dollar, Gerhard und Iris 300.000 Dollar. Doch die Zinszahlungen blieben von Dezember 1997 an aus, das investierte Geld war verschwunden und plötzlich auch James A., er floh nach Deutschland. Auf der Jagd nach ihrem Geld lernten die vier Willi D. kennen, der auch noch eine Rechnung mit dem Finanzberater offen hatte. Er forderte 690.000 Dollar Provision für ein Geschäft mit kuwaitischen Anlegern. Die fünf Senioren sind noch heute überzeugt, dass James A. nicht etwa pleite ist, wie er beteuert, sondern ihr Geld in der Schweiz versteckt hat. Man habe alle legalen Mittel ausgeschöpft, sagte K. in seiner Vernehmung.

Der Staatsanwalt und die Verteidiger werden sich wohl weniger über deren Tat streiten als um die Höhe der Strafe. Die Anklage sieht eine Geiselnahme als gegeben an. Dafür müssen die Entführer ihr Opfer mit Gewalt oder dem Tode bedrohen oder es mindestens sieben Tage festhalten wollen, um ihren Zweck zu erreichen. "Da habe ich erhebliche Zweifel", sagte Rechtsanwalt Harald Baumgärtl, der Willi D. verteidigt. Weder sieht er die massiven Drohungen als erwiesen an noch die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass die fünf Senioren ihren Anlageberater sieben Tage oder länger festhalten wollten. Sein Kollege Udo Krause sieht das ebenso. Und in der Öffentlichkeit erfahre sein Mandant, der Anführer K., große Sympathien. "Natürlich sagt jeder, so kann man das nicht machen. Aber dass endlich mal so ein Vermögensberater an die Kandare genommen wird, das finden viele gut", sagt er.

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