Bildung in Bayern:Coole Module für das neue Gymnasium

Simone Fleischmann

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann will mehr Individualität am Gymnasium.

(Foto: lukasbarth.com)
  • Die Individualisierung der Schulzeit steht im Mittelpunkt eines Konzepts, das der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband präsentiert hat.
  • Dabei sollen Klassenverbände passé sein, Schüler besuchen schon deutlich vor der Oberstufe Kurse.
  • Die Stundenpläne sollen exakt auf die einzelnen Schüler zugeschnitten sein.

Von Anna Günther und Johann Osel

Es soll ja geredet, beraten und diskutiert werden, Vorschläge und Ideen dürfen auf den Tisch kommen. Noch einige Wochen dauert die "Dialogphase zur Zukunft des bayerischen Gymnasiums". Und Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) sagte, dass er alle Beteiligten anhören will. Das Konzept des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), das am Mittwoch in München präsentiert wurde, ist dabei sicher die ungewöhnlichste Idee und ähnelt dem etablierten Gymnasium nur in Ansätzen.

Die Diskussion um acht oder neun Jahre soll gar keine Rolle spielen, sagte die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Die Pädagogik stehe im Mittelpunkt - und die Individualisierung der Schulzeit. Dass sie damit den aktuellen Lieblingsbegriff des Ministers nennt, ist Fleischmann bewusst. "Individuell ist aber nicht, die Schüler zwischen acht oder neun Jahren wählen zu lassen", sagt sie. Klugen Worten zum individuellen Lernen seien bisher keine Taten gefolgt. Die Neuauflage des Gymnasiums biete jetzt die Chance dafür.

Im Modell des BLLV soll von der siebten Klasse an ein System gelten, das dem der Oberstufe nachempfunden ist. Die Stundenpläne sind - wie die Phase vor dem Abitur - auf jeden einzelnen Schüler zugeschnitten. Sie können Module wählen und besuchen Kurse, feste Klassenverbände und Klassenleiter gibt es nicht mehr. Stattdessen betreuen Lehrer jeweils ungefähr sieben Kinder als "Coach" und fördern diese fachlich und pädagogisch. Ziel seien "enge und dauerhafte persönliche Beziehungen - eine erheblich bessere Betreuung".

Basis des Konzepts ist der auf acht Jahre angelegte Lehrplan Plus, der bereits genehmigt ist und im Herbst 2017 in die Schulen kommen soll. Zudem plant Fritz Schäffer, Leiter der Abteilung Bildungspolitik und Erfinder des BLLV-Konzepts, mit Doppelstunden; auch Sitzenbleiben ist nicht mehr vorgesehen. Schüler, die im Gymnasium gut zurechtkommen, können ihr Abitur weiterhin in acht Jahren absolvieren. Jugendliche, die zum Beispiel in der achten Klasse in Mathe große Schwierigkeiten hatten, wählen in ihrem neunten Jahr einfach wieder das Modul mit dem Mathestoff der achten Klasse, um die Inhalte zu wiederholen; aber nicht das komplette Jahr in allen Fächern wie bisher üblich.

Sie lernen dann erst im zehnten Jahr den Stoff der neunten Klasse und im elften Jahr den Stoff der zehnten. Diese Möglichkeit haben auch Schüler, die aufwendige Hobbys pflegen und daher ein Fach aussetzen wollen. Freistunden sind abgeschafft, stattdessen sollen alle Mädchen und Buben in "Lernstudios" unter Aufsicht lernen, Hausaufgaben machen oder an Projekten basteln.

Ein Angebot, über das die Gymnasien entscheiden können

Dass viele Lehrer nicht unbedingt für Veränderungsfreude bekannt sind, das ist Fritz Schäffer bewusst. Er selbst unterrichtet an einem Ingolstädter Gymnasium. "Die Kernfächer wie Deutsch, Mathe oder Fremdsprachen können aber auch im Modulsystem wie bisher unterrichtet werden", versichert Schäffer. Flexibilität bringen die weiteren Module, etwa in Projektgruppen von Nebenfächern, die für gemeinsame Themen zusammenarbeiten und sich dabei die Zeit aufteilen. Schäffer erwartet, dass die Ideen gerade wegen der Flexibilität im Ministerium auf offene Ohren stoßen. Verbandspräsidentin Fleischmann versteht das Konzept als ein "Angebot", über das Gymnasien frei entschieden könnten. Es biete wahre Individualisierung an, "ein System, das sich den jungen Leuten anpasst, nicht umgekehrt".

Harsche Kritik kam am Mittwoch vom Philologenverband, in dem viele Gymnasiallehrer organisiert sind. Als "absolut praxisfremd" bezeichnete Vorsitzender Max Schmidt das Modell des BLLV. "Ich habe große Sympathien für Zukunftsvisionen, die vorhandene Denkstrukturen aufbrechen können. Was aber der BLLV hier vorlegt, ist weder pädagogisch wünschenswert, noch vor Ort organisierbar." Etwa der Wegfall von Klassenverbänden und Klassenlehrern, so Schmidt, sei gerade in der pädagogisch besonders fordernden Zeit der Mittelstufe nicht sinnvoll.

Der Dialog wird wohl weitergehen

Und frei wählbare Zusatzmodule in diesem Alter führten dazu, dass sich der Kenntnisstand auffächere - was Schulwechsel massiv erschwere. "Bildung darf nicht bereits bei zwölfjährigen Schülerinnen und Schülern in beliebig wählbare Einzelteile fragmentarisiert werden." Der Philologenverband pochte am Mittwoch auf sein Modell, ein modernisiertes neunjähriges Gymnasium.

Minister Spaenle wertete in einer Mittelung das Konzept des BLLV diplomatisch "als Beitrag für den Dialogprozess", ging aber nicht auf Details ein. Entscheidungen stünden frühestens zum Jahreswechsel an, hieß es, Veränderungen in den Schulen gebe es nicht vor Herbst 2018. Zunächst eben Dialog. Diesen hatte Spaenle im Interview mit der Süddeutschen Zeitung als Lehre aus der überhasteten Einführung des G 8 Anfang im vergangenen Jahrzehnt bezeichnet: "Ich will schon eine Art Gegenentwurf und werde niemanden überrumpeln." An diesem Donnerstag will der Minister dem Bildungsausschuss im Landtag über den Fortgang des Dialogs berichten.

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