ARD-Doku:Wo Horst Seehofer ganz allein die Weichen stellt

Die ARD berichtet aus dem Ferienhaus-Keller des CSU-Chefs. Dort steht jene Modelleisenbahn, die schon so oft als Sinnbild für den Machtmenschen herhalten musste.

Von Roman Deininger

Am Ende stehen zwei kleine Jungs völlig verzückt vor einer riesigen Modelleisenbahn, zwei Jungs im Körper zweier älterer Herren, Horst Seehofer und Rüdiger Grube. Die Verzückung des dritten Mannes im Raum kann man nur ahnen: Reinhold Beckmann hat sich nicht nur als erster Fernsehreporter seit langer Zeit Zutritt zum politisch bedeutendsten Spielzeugkeller der Republik verschafft; sein Ortstermin im Ferienhaus des bayerischen Ministerpräsidenten bei Ingolstadt fällt auch noch mit einem Besuch des Bahnchefs zusammen.

Hobby-Lokführer Seehofer erklärt Fachmann Grube also die Anlage: "Das baut zu einem nicht unerheblichen Teil mein Leben nach." Man sieht eine Playmobil-Merkel verloren am Bahnsteig stehen; ob ein Zug kommt und wohin er fährt, entscheidet Seehofer an seinem Schaltpult.

Brandstifter oder Volksvertreter, das ist die Frage

Die Modelleisenbahn ist ein wunderbares, von Seehofer selbst wohlgepflegtes Sinnbild für den Machtmenschen Seehofer und sein Verhältnis zur Bundeskanzlerin, die es sich ja im wahren Leben zu seinem Verdruss weiterhin vorbehält, ein paar Weichen selbst zu stellen. So wunderbar ist das Bild, dass der Spiegel-Redakteur René Pfister 2011 seinen Nannen-Preis zurückgeben musste: Er hatte Seehofers Spielzimmer akkurat beschrieben, war aber selbst nie dort gewesen.

Seither haben Kamerateams die Einladung zum Keller-Dreh wie eine Trophäe gejagt. Beckmann hat sie erhalten, überhaupt durfte er nah ran an den CSU-Chef. Das wirkt aufgesetzt, wenn er bei Terminen wie ein guter Geist in der Ecke steht. Aber das wirkt stark, wenn er Seehofer auf der Auto-Rückbank unvermittelt fragt, warum er derzeit so oft das Wort "Vaterland" benutze.

Beckmann, der nach 14 Jahren als Talkmaster wieder als Reporter unterwegs ist, hat kein klassisches Porträt gedreht, er fokussiert Seehofer als polarisierende Schlüsselfigur der Flüchtlingsdebatte. Diese Beschränkung tut seinem Film gut, genau wie die Offenheit im Urteil, die er erst am Schluss ein Stück weit aufgibt: Ist dieser Seehofer nun ein verbaler Brandstifter, der die Wähler der AfD in die Arme treibt? Oder ist er der letzte Vertreter einer Volkspartei, der die Sorgen des Volkes noch ernst nimmt? Beckmanns Antwort ist fair und gar nicht knallig, sie passt nicht in einen Satz. Sie braucht 44 lohnende Fernsehminuten.

Horst Seehofer und der neue Rechtsruck in Deutschland, ARD, Dienstag, 22.45 Uhr.

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