Aprilscherze:Der Tag, an dem die Bayern einen Vogel haben wollten

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Aprilscherze haben in Bayern eine lange Tradition. Einmal ging es dabei auch um Kanarienvögel.

(Foto: Imago Stock & People)

Aprilscherze haben in Bayern eine lange Tradition. Doch in Zeiten moderner Medien haben sie sich überholt.

Von Hans Kratzer

Am 1. April 1971 hat das Straubinger Tagblatt über einen Vorfall berichtet, der viele Tierfreunde sehr geärgert hat und dennoch in die Annalen des bayerischen Humors eingegangen ist. Wer alteingesessene Straubinger auf diese Geschichte anspricht, erntet nicht nur ernste Erinnerungen, sondern vor allem Heiterkeitsausbrüche.

In dem Zeitungsbericht war zu lesen, ein Spezialtransporter mit 2000 griechischen Kanarienvögeln sei nahe Straubing mit einem Motorschaden liegen geblieben. Die Vögel seien aus ihrer misslichen Lage befreit und in ein Gehege des Tiergartens gebracht worden, wo sie kostenlos an Tierfreunde abgegeben werden sollten. Der damalige Tiergarten-Direktor Hans Schäfer teilte dem Tagblatt todernst mit: "Wer in Straubing bis jetzt noch keinen Vogel hatte, kann ihn jetzt kostenlos bekommen."

Der Bericht enthielt außerdem den aufschlussreichen Hinweis, dass Kanarienvogeleier nur an solche Interessenten abgegeben würden, die über ein zum weiteren Brüten befähigtes Haustier verfügten. Ungeachtet dessen strömten viele besorgte Vogelliebhaber schon um sieben Uhr morgens in den Tiergarten. "Mit Kisten, Kirm und Vogelbauern" rückten sie an, wie das Tagblatt beflissen meldete. "Mir möchtma an Vogl abholen! Mir warn um an Kanare da!", gaben sie am Eingang erwartungsfroh kund.

Als ihnen dort jedoch mitgeteilt wurde, sie seien auf einen Aprilscherz hereingefallen, wollten das partout nicht alle glauben. Es hagelte Widerworte, Proteste und Drohungen und es zog sich tatsächlich ein Weilchen hin, bis sich die Straubinger Kanarienvogelretter wieder einigermaßen beruhigt hatten.

Zumindest sind die Straubinger Kanarienvögel nach diesem Ereignis in den Olymp der Aprilscherze eingegangen. Zu Recht, denn diese Geschichte hatte Gehalt, kam nicht gar so plump daher und hörte sich so überzeugend an, dass die Täuschung nicht einmal von jenen Vogelexperten erkannt wurde, die vorher auf den Kalender geschaut hatten. Seit jeher gilt der 1. April als ein Tag, an dem leichtgläubige Menschen gefoppt, also in den April geschickt werden. Dass dieser Brauch schon seit Jahrhunderten gepflegt wird, ist oft belegt. Auch der aus Schwaben stammende Barockprediger Abraham a Sancta Clara (1644-1709) hatte seine Mitmenschen bereits vor diesem Datum gewarnt: "Heut ist der erste April, da schickt man die Narren, wohin man will."

Damals funktionierten Aprilscherze schon deshalb, weil das Handeln der Menschen noch nicht von der Aufklärung, von den Medien und von der Globalisierung gelenkt war. Stattdessen standen Wunder- und Aberglaube in hoher Blüte, wie überhaupt Leichtgläubigkeit der beste Humus für solche Späße ist. In den 50er Jahren kursierte in Bayern beispielsweise jener Aprilscherz, wonach wegen des milden Wetters die Spaghetti-Ernte in Italien überdurchschnittlich gut ausgefallen sei. Die extralangen Spaghetti-Nudeln, die angeblich auf den Bäumen wuchsen, wurden sogar in einem Film dokumentiert, der natürlich am 1. April ausgestrahlt wurde. In der Landesausstellung "Bayern und Italien" erfuhren die Besucher vor einigen Jahren: "Und die Leute haben das wirklich geglaubt. So wenig wussten die Deutschen damals über die Italiener."

Der Spaghetti-Scherz war zu einer Zeit populär, als vor allem Kinder und Auszubildende am 1. April hereingelegt wurden. Sehr beliebt war der Brauch, die jungen Leute mit einem Fünferl in die Apotheke oder in den Kramerladen zu schicken, wo sie ein Packerl Ibidum holen sollten. Ibidum ist ein fiktives Wort, das sich wissenschaftlich anhört, aber nichts anderes heißt als: I bi dumm (Ich bin dumm). Auch Auszubildende waren Aprilscherzen oft hilflos ausgeliefert. In Ascha im Bayerischen Wald schickten die Gesellen einmal einen Zimmererlehrling mit einem dicken, sägerauen Brett von 24 mal 50 Zentimeter in eine Metzgerei.

Auf das Brett hatten sie mit einem Bleistift ihre Brotzeitbestellung notiert, Leberkäs, Polnische, Handwürste und Semmeln. Der Bub las der Verkäuferin im Geschäft alles brav vor, auch den Sonderwunsch "200 Gramm Binisodum" (Bin ich so dumm). Augenzeugen erinnern sich heute noch an das dröhnende Gelächter der übrigen Kundschaft, während der arme Kerl so betroffen im Laden stand wie einst Moses mit den Gesetzestafeln. Die Bestellung von Binisodum in einer Metzgerei war im Übrigen eine seltene Ausnahme. Normalerweise herrschte am 1. April in den Apotheken Binisodum-Hochkonjunktur.

Ein Casting mit Michael Jackson? Ein guter Aprilscherz ist subtiler

Wenn dem Opfer eines Aprilscherzes die Erleuchtung kommt, ist es bereits dem Gespött ausgeliefert. Wenn ein ganzer Metzgerladen über einen wiehert, ist das wahrlich kein Vergnügen. Überdies wurden Lehrlinge nicht nur losgeschickt, um Ibidum und Binisodum zu holen, sondern sie mussten auch exotische Waren wie Oxdradium (Ochse, dreh dich um), Haumiblau (Hau mich blau) und Owidum-Tropfen (Oh wie dumm) besorgen. Dies funktionierte natürlich noch besser, wenn das potenzielle Opfer den lokalen Dialekt nicht verstand. Als Dreingabe sollten die Gefoppten noch Gewichte für die Wasserwaage, Vierkantkugeln und einen Sack Pressluft mitbringen. Gab sich der Auftraggeber nach dem Spaß großmütig, dann durfte sich der Geschädigte von dessen Geld wenigstens etwas Süßes kaufen.

Aprilscherze: Die Münchner Zeitungen hatten sich Jahr für Jahr Aprilscherze für ihre Leser ausgedacht.

Die Münchner Zeitungen hatten sich Jahr für Jahr Aprilscherze für ihre Leser ausgedacht.

Von den 60er Jahren an fanden auch die Medien Gefallen an diesem Phänomen. Zeitungen und Radiosender versuchten immer öfter, ihre Konsumenten mit gefälschten Meldungen in den April zu schicken. Häufig klangen sie freilich so plump, dass kaum jemand darauf hereinfiel. Angebliche Castings mit Popstar Michael Jackson waren ein Dauerbrenner in den Münchner Zeitungen. Etwas gehaltvoller war da schon der Ratschlag einer Zeitschrift vom 1. April 1962, das TV-Publikum solle für den Empfang eines Fernsehspiels die Fernseher doch hochkant stellen - wegen der besseren Bildqualität.

Dass die raffinierteste Form der Lüge und des Aprilscherzes nur haarscharf an der Wahrheit vorbeischrammen darf, zeigte sich 1992 im niederbayerischen Marktflecken Velden. Wenige Wochen vor der Eröffnung des Münchner Flughafens meldete die Vilsbiburger Zeitung, die Gemeinde Velden biete statt der üblichen Zugsonderfahrt ins Grüne einen billigen Sonderflug nach London an, inklusive Empfang beim damaligen Star des britischen Königshauses, Duchesse Sarah Ferguson, genannt Fergie. Das geschah in einer Zeit, in der es noch keine Billigflüge gab. Die euphorisierten Anrufer legten am 1. April von sechs Uhr früh an telefonisch das Rathaus lahm. Das nichts ahnende Verwaltungspersonal konnte sich vor Anrufen kaum retten und sich der enttäuschten Reaktionen auf diesen Scherz kaum erwehren.

Die Zeitungsscherze wurden immer ausgefallener. Ein polnischer Fahrradhändler in Kötzting hatte zum Beispiel eine starke Ähnlichkeit mit dem Papst Johannes Paul II. (Karol Wojtyla). Als ein Blatt damals am 1. April meldete, der "Bruder" des Papstes sei inkognito aus Rom zu Besuch gekommen und wolle mit einem VW-Pritschenwagen einen Ausflug auf den Hohen Bogen machen, fand sich tatsächlich ein Haufen Schaulustiger vor dem Fahrradgeschäft ein. Die Kötztinger Umschau wiederum hatte an einem 1. April ein Titelfoto veröffentlicht, auf dem Krücken zu sehen waren, die an der Linde vor dem Lindnerbräu baumelten. Dazu war ein Schild angebracht: "Der Chostingator hat geholfen! Ich kann wieder gehen!" Der Chostingator ist ein überdurchschnittlich kräftiges Starkbier.

Auch die Süddeutsche Zeitung hat in den 70er und 80er Jahren mit wechselndem Erfolg versucht, ihre Kundschaft jeweils am 1. April hereinzulegen. Nicht einmal das über allem Profanen stehende Feuilleton übte sich in Zurückhaltung und versuchte sogar, den Lesern unter Darbietung einer detaillierten Planzeichnung zu verklickern, Münchner U-Bahn-Bauer richteten im Antiquarium der Residenz einen Sonderbahnhof für den Weltwirtschaftsgipfel ein. Die Leserschaft reagierte auf den Humbug allerdings nicht immer amüsiert.

Bisweilen befleißigte sie sich der Haltung des den Scherz an sich distanziert betrachtenden Thomas von Aquin. Dessen Mitbrüder baten ihn einst, er solle zum Fenster hinausschauen, ein Esel fliege durch die Luft. Gehorsam schaute er ins Freie und sagte: "Ich habe gedacht, eher fliege ein Esel durch die Luft, als dass meine Mitbrüder lügen." Diese Skepsis bekam die SZ nachhaltig im Jahre 1995 zu spüren, als im Artikel "Riesensauerei von Patting" über eine angebliche Versuchsanstalt "Tier 2000" und über genmanipulierte Riesenschweine berichtet wurde, was mancherlei Turbulenzen auslöste und dazu führte, dass die SZ ihre Aprilscherz-Aktivitäten einstellte.

In den April wird man international geschickt

Ohnehin war die Zeit über diese Art von Aprilscherzen hinweggegangen. Fernsehsendungen wie "Verstehen Sie Spaß?" formatierten den Brauch zum medialen Dauerereignis mit einer beachtlichen Originalitätsuntergrenze um. Unbegrenzte Möglichkeiten für Scherze jeder Art boten alsbald das Internet und die sozialen Medien, in denen mittlerweile nicht mehr nur am 1. April, sondern tagtäglich frei erfundene Nachrichten und Verschwörungstheorien unter dem Fachbegriff Fake-News in die Welt hinausgeblasen werden.

Das alles hat nichts mehr zu tun mit dem "in den April schicken", das in Bayern eine besonders lange Tradition hat. Schon 1618 wurde diese Redensart hier erstmals erwähnt. Bis heute gehalten hat sich auch die schöne Bezeichnung Aprilochs, mit der sich derjenige schmücken darf, der auf einen Aprilscherz hereingefallen ist. Im Englischen heißt der 1. April folgerichtig "All fools' day" (Aller Narren Tag). Die Franzosen wiederum kennen keine Aprilochsen, sondern Aprilfische, die ebenfalls nach allem schnappen, was man ihnen auf die Nase bindet.

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