Pflege:AOK Bayern will sparen - zu Lasten von Senioren in WGs

Pflege: Die AOK Bayern will Einsparungen bei der ambulanten Pflege von in WGs betreuten Senioren durchsetzen.

Die AOK Bayern will Einsparungen bei der ambulanten Pflege von in WGs betreuten Senioren durchsetzen.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die AOK Bayern will Bewohnern von Senioren-WGs Leistungen in der ambulanten Behandlung kürzen.
  • Für Betroffene und ihre Angehörigen bedeutet das eine große finanzielle Belastung, Sozialverbände sind besorgt.
  • Ob das Vorgehen der AOK zulässig ist, wird wohl vor Gericht entschieden.

Von Dietrich Mittler

Für die Bewohner von betreuten Senioren-WGs und für ihre Angehörigen ist es eine schlechte Nachricht: Die AOK Bayern will für sie nicht mehr die Kosten übernehmen, die etwa dann entstehen, wenn ambulante Pflegekräfte alten Menschen die benötigten Medikamente reichen oder kleinere Wunden versorgen. Auf die Betroffenen kommen angesichts dieser Sparaktion beträchtliche Kosten zu, die die WG-Unterbringung der Senioren gefährden könnten. In einer Stellungnahme äußerte die Kasse ihr Bedauern: Die Versicherten würden nun "unverschuldet in eine Auseinandersetzung zwischen der AOK Bayern und dem Träger der ambulanten Wohngruppen hineingezogen".

Gegenüber dem Gesundheitsministerium gibt sich die Kasse weniger mitfühlend. Dort fand bereits ein Gespräch statt. "Dabei hat die AOK unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie bis zu einer gerichtlichen Klärung an ihrer Haltung festhalten will", erklärte ein Sprecher. Der Sozialverband VdK ist besorgt. "Das Problem ist, dass es hier vor allem um Demenz-Wohngemeinschaften geht", sagt Yvonne Knobloch, die Chefin des Ressorts "Leben im Alter". Laut Gesundheitsministerium gab es Ende 2018 in Bayern 363 betreute Senioren-WGs, davon sind 104 auf demenzkranke Bewohner spezialisiert.

"Dass wir die Mutter meiner Frau in einer solchen WG untergebracht haben, ist das Beste, was wir für sie tun konnten", sagt Harald Prünstner aus Markt Kösching im Kreis Eichstätt. Viele Heime hätten sie sich angeschaut - aber erst die Betreuung in der Ingolstädter Demenz-WG habe sie überzeugt. Auf die AOK ist der 61-Jährige nicht gut zu sprechen. Dass diese die Kosten für die ambulante Behandlungspflege seiner 84-jährigen Schwiegermutter seit Monaten nicht mehr übernimmt, belastet ihn: Mehr als 2000 Euro habe er schon zahlen müssen - Geld, das er als Schwerbehinderter mit seiner Rente in Zukunft kaum mehr aufbringen könne.

Unterstützt vom VdK, strebt Prünstner eine Klage gegen die AOK an. Bis zu 6000 Euro im Jahr hätten er und seine Frau aufbringen müssen, um die ärztlich angeordnete Behandlungspflege zu zahlen. "In der Zwischenzeit haben wir die Mutter bei der AOK abgemeldet und sind zu einer anderen Kasse gegangen. Die ist wesentlich kulanter", sagt er. Aber das bereits gezahlte Geld will er zurück. Marliese Biederbeck vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK Südost) ist gespannt, wie Prünstners Fall ausgeht. "Man kann froh sein, dass hier mal ein Angehöriger vor Gericht zieht", sagt sie.

In Franken haben bereits etliche diesen Schritt gewagt, etwa der Sohn einer demenzkranken Frau. Vor dem Sozialgericht Nürnberg hat er einen Etappensieg erzielt. Per einstweiliger Anordnung verpflichtete die Vorsitzende Richterin die AOK, die Pflegekosten zu übernehmen, bis der Fall im Hauptsacheverfahren geklärt ist. Hatte sich die AOK auf Urteile des Bundessozialgerichts berufen, in denen es um Fälle in Behinderten-Einrichtungen ging, so betonte die Richterin wiederum, die Betreuungskräfte in einer Senioren-WG seien in ihrer Qualifikation gar nicht mit jenen in Behinderten-Einrichtungen vergleichbar. Prünstner fühlt sich bestätigt: "Die in der WG arbeitenden Präsenzkräfte sind Alltagsbegleiter, die dazu da sind, die Bewohner zu verköstigen und dafür zu sorgen, dass es ihnen rund um die Uhr gut geht."

Der VdK glaubt, das Vorgehen der AOK könnte ein Testballon sein - für weitere Einsparungen

Für Prünstner steht fest: "Die Alltagsbegleiter sind nicht die geeigneten Personen, um Medikamente zu verabreichen, die zum Teil auch schwere Nebenwirkungen haben können." In solchen WGs lebten bis zu zwölf Demenzkranke, die viermal am Tag Medikamente bräuchten. Diese Sorge besteht auch im Sozialgericht Nürnberg: Müsste in Senioren-WGs - wie von der AOK gefordert - die Präsenzkraft anstelle ausgebildeter Pflegekräfte die Medikamente ausgeben, so führe das dazu, dass sie diese Aufgabe neben "ihren eigentlichen vertraglich geschuldeten Tätigkeiten gar nicht bewältigen könnte". Die AOK bleibt dabei, es gehe nur um "Leistungen für die einfachste medizinische Behandlungspflege". Und die seien "bereits durch Zahlungen der Pflegekasse abgedeckt".

Solche Sätze machen den VdK hellhörig: "Die Behandlungspflege zuhause ist eine Pflichtleistung der Krankenversicherung", sagt Knobloch, "und nun sieht es so aus, als wolle das die AOK komplett in die Pflegeversicherung schieben." Aber die ist quasi nur eine Teilkaskoversicherung. Die Senioren müssten also draufzahlen. Und nicht nur das: Für den Bereich der Pflegeversicherung existiert keine gesetzliche Mindestanforderung an die Ausbildung der Pflegekräfte. Im VdK will man derzeit nicht ausschließen, dass die AOK jetzt auf dem überschaubaren Markt der Senioren-WGs einen Testballon gestartet hat. Falle nämlich in letzter Instanz das Urteil im Sinne der Kasse aus, so habe das auch Auswirkungen auf die häusliche Pflege, die Hunderttausende von Menschen betrifft. Und dann werde es für die AOK finanziell erst richtig interessant.

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