100 Jahre Freistaat Bayern:Ein Staatsbürger, fast wie alle anderen

Lesezeit: 4 min

Ludwig III. regierte als letzter König von Bayern von 1913 bis zur Ausrufung des Freistaats im Jahr 1918. (Foto: SZ photo; Bearbeitung SZ)

Das Haus Wittelsbach herrschte 738 Jahre lang über Bayern. Mit der Proklamation des Freistaats 1918 hat die Familie offiziell keinen politischen Einfluss mehr. Doch hohes Ansehen genießt sie noch immer.

Von Hans Kratzer

Als die morsch gewordene bayerische Monarchie im November 1918 von den Stürmen der Revolution niedergerissen wurde, jubelten auf den Straßen die Massen, als seien sie gestochen worden. Weniger lustig verlief dieser Umsturz für die Familie der Wittelsbacher und für ihre Anhänger, für sie brach eine Welt zusammen. Immerhin waren die Wittelsbacher in Bayern 738 Jahre lang an der Macht, eine lange Ära, in der sie das Land tief geprägt haben. Den Königstreuen blieb allein die Hoffnung, die Wittelsbacher könnten bald auf den Thron zurückkehren.

Aber die Jahre gingen ins Land, ohne dass die Monarchie wieder auferstand. Vielmehr schlitterte das Volk der Bayern nacheinander in ein irrlichterndes Rätesystem, in eine seltsame Republik und in eine todbringende Diktatur hinein. Endgültig erloschen aber ist die Liebe zur Monarchie in Bayern trotzdem nie. Es ist paradox. Die Bayern waren die Ersten, die 1918 die Monarchie abschafften, aber sie waren auch die Ersten, die das bereuten. Schon das Begräbnis des letzten Königs Ludwig III. anno 1921 geriet für Zehntausende zum monarchistischen Bekenntnis. Sogar im August 1955 flammte es nochmals auf, als der populäre Kronprinz Rupprecht in München wie ein König zu Grabe getragen wurde.

Eine politische Mehrheit aber konnten die Königstreuen im Volk nicht mehr finden, obwohl sie sich nicht zuletzt im Widerstand gegen Hitler ausgezeichnet hatten. Damals keimte durchaus die Idee auf, die Wittelsbacher Monarchie als Bollwerk gegen die Nazidiktatur neu zu errichten. Dass sich im NS-Staat eine monarchistische Widerstandsbewegung bildete, sollte für die Mitglieder des Hauses Wittelsbach böse Folgen haben. Zunächst hatten die Nationalsozialisten freilich versucht, die Familie in ihre Bewegung einzubinden. Diese Annäherungsversuche wies Kronprinz Rupprecht, der Großvater des jetzigen Familienoberhaupts Franz Herzog von Bayern, von Anfang an schroff zurück. Rupprecht erfreute sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit, als ehemaliger Generalfeldmarschall pflegte er überdies einflussreiche Kontakte zum Militär. "Er stellte für die Nazis eine potenzielle Gefahr dar", sagt Herzog Franz.

Das Oberhaupt des Hauses Wittelsbach Franz Herzog von Bayern auf einem Archivbild aus dem Jahr 2014 (Foto: Stephan Rumpf)

Von der Gestapo verhaftet und verschleppt

Nach dem Attentat auf Hitler im Jahr 1944 wurden zwölf Mitglieder des Hauses, darunter Herzog Franz und seine Geschwister, von der Gestapo verhaftet und als Sippenhäftlinge verschleppt. Neun Monate verbrachten Herzog Franz und seine Angehörigen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau. "Wir sind in eine Baracke gekommen", erinnert er sich, "von dort hat man ins Krematorium gesehen." Die Kinder wurden also unfreiwillig Zeugen der Verbrechen, die im KZ verübt wurden. Unsicherheit und Todesangst gruben sich in die Erinnerungen ein und prägten das weitere Leben nachhaltig. "Ich kann noch heute kein Stück Brot ungegessen am Tisch liegen lassen", sagt Herzog Franz, der seit 1996 an der Spitze der Familie Wittelsbach steht. "Dass wir da lebend nicht mehr rauskommen werden, das haben wir damals alle gedacht. Uns hat wohl gerettet, dass wir als Familie zusammenbleiben durften."

Politisch hat diese einst so mächtige Familie heute nichts mehr mitzureden. "Wir sind Staatsbürger wie alle anderen", sagt Herzog Franz, "aber wir Wittelsbacher sollten uns aus parteipolitischen Bindungen heraushalten." Gleichwohl spielen die Wittelsbacher nach wie vor eine tragende gesellschaftliche Rolle und genießen weitgehend ein hohes Ansehen. Als Kunstmäzen und als Veranstalter von hochrangigen Gesprächsrunden repräsentiert Herzog Franz ein ehemaliges Königshaus, das an Repräsentanz und an Schätzen den europäischen Vergleich nicht scheuen muss, wie die Preziosen in der Schatzkammer in der Münchner Residenz belegen.

Herzog Franz ist ein kenntnisreicher Sammler zeitgenössischer Kunst. Den Großteil seiner Sammlung moderner Kunst übergab er 1984 an die Stiftung Wittelsbacher Ausgleichsfonds. Die Gemälde und Grafiken werden heute in der Pinakothek der Moderne und in der Staatlichen Graphischen Sammlung in München der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seine umfangreiche Privatbibliothek zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts übergab er 2009 dem Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte.

Herzog Franz ist Mitglied des International Council of the Museum of Modern Art in New York. Weiterhin gehört er zu den Gründern des Galerie-Vereins München (heute "PIN - Freunde der Pinakothek"), dessen Wirken 2002 durch die Eröffnung der Pinakothek der Moderne gekrönt wurde. In nahezu 200 überwiegend sozial und kulturell ausgerichteten Organisationen engagiert sich Herzog Franz zudem als Schirmherr, Kuratoriumsmitglied und Förderer. Seine vielfältigen Repräsentationsaufgaben nutzt er, um besonderen Anliegen Gewicht zu verleihen.

Als eine juristisch herausragende Angelegenheit erwies sich das Verhältnis zwischen dem neuen Freistaat Bayern und den abgesetzten Wittelsbachern nach der Revolution von 1918. Letztere haben ja nach der (nicht vollzogenen) Abdankung nicht auf ihre historischen Rechte verzichtet, Ludwig III. entband lediglich die Beamten und Soldaten ihres Treueeids. Kompliziert wurde es auch deshalb, weil vor 1918 das Privateigentum des Hauses Wittelsbach und der Besitz des Staates nicht voneinander getrennt waren. Dass die Regierung unter Kurt Eisner alle Zahlungen an die Dynastie einstellte und die von den Wittelsbachern genutzten Schlösser sowie die Kunstsammlungen als Staatseigentum betrachtete, ließ sich nicht lange halten.

Eine Familie, die Europas Geschichte bis heute gestaltet

Da das Haus Wittelsbach nach der Revolution Entschädigungsansprüche gegenüber dem Staat erhob, richtete dieser schließlich im Jahr 1923 als Kompromiss die Stiftung Wittelsbacher Ausgleichsfonds ein. Ausgestattet vor allem mit Immobilien und Geld, dient dieser seitdem zur Versorgung der vielen Mitglieder des Hauses Wittelsbach und zur Erhaltung der dem Fonds zugewiesenen Kunstobjekte. Es war lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis, wovon das Haus Wittelsbach heute lebt. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung erhält es jedes Jahr knapp 14 Millionen Euro aus den Erträgen des Wittelsbacher Ausgleichsfonds.

In einem Prachtband von 2015 über die tausendjährige Geschichte der Wittelsbacher ist nachzulesen, wie die Familie ihre Rolle interpretiert. Demnach sieht sie sich als Familie, die Europas Geschichte mitbestimmt und bis heute gestaltet. Wäre Bayern noch eine Monarchie, wie sie von 1806 bis 1918 bestand, dann wäre Herzog Franz wohl der aktuelle König. Er aber sagt: "Als Verfechter der parlamentarischen Demokratie bin nicht traurig darüber, dass ich es nicht bin. Denn die hat unser Land über Jahrzehnte in einer Weise geformt, für die wir nur dankbar sein können."

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: