Zum 70. Geburtstag:Jochen Mass, Träumer und Romantiker des Motorsports

Jochen Mass bei der Veranstaltung 100 Jahre GP Lyon

Leben im Schnelldurchlauf: Jochen Mass war einer der schnellsten Rennfahrer der Welt. Und er hat überlebt.

(Foto: Daimler AG)

Als Motorsport noch extrem gefährlich war, fuhr der Rennfahrer in der Formel 1. Nun wurde er 70 Jahre alt.

Von Eberhard Reuß

Jochen Mass war einer der schnellsten Rennfahrer der Welt. Er hat ein halbes Jahrhundert Motorsport aus nächster Nähe erlebt - und überlebt: "Der Geburtstag", sagt er, "nervt mich überhaupt nicht, auch wenn die Zeit nach vorn kürzer wird, aber dass du das erleben darfst, bei der Rennerei! Andere haben einen viel höheren Preis dafür gezahlt, deswegen bin ich eher dankbar als traurig, 70 zu werden."

Mass, Jahrgang 1946, ist aufgewachsen in Kriegstrümmern, zuerst in München, dann im pfälzischen Frankenthal bei Ludwigshafen, mit seiner Mutter und der älteren Schwester. Als der Vater stirbt, ist Jochen acht Jahre alt - und wird bald Stammkunde in der Frankenthaler Stadtbibliothek sein. Er verschlingt Abenteuerromane, Reisebeschreibungen, liest immer wieder Jack London. Fährt mit 14 den VW-Käfer seiner Mutter. Will raus aus der Enge der Nachkriegsjahre, schmeißt das Internat in Mannheim und wird Matrose bei der Handelsmarine: "Ich wollte einfach die Welt sehen, die Tropen, andere Kontinente." Er träumt von Segelschiffen, wäre gern zur Bundesmarine, doch die Warteliste für die Gorch Fock ist zu lang.

Seine damalige Freundin ist beim Bergrennen in Eberbach Streckenposten. Jochen kommt mit und ist begeistert: "Der Lärm, der Duft von Benzin, verbranntem Öl und Reifengummi. Irgendwann dachte ich: Fahr halt mal Rennen."

Er hat kein Geld, aber in Mannheim gibt es Helmut Hähn. Der besitzt damals nicht nur die älteste Alfa-Romeo-Niederlassung der Bundesrepublik, sondern setzt im eigenen Privatrennstall einen Alfa GTA ein: "Die Ausbildung als Kfz- Mechaniker hat mich nicht wirklich interessiert", sagt Mass und lächelt, "aber irgendwie musste ich ja schauen, wie du den Fuß reinkriegst in die Tür." Und das klappte dann auch. Mass ist enorm schnell, schon bald verpflichtet ihn Ford Deutschland als Werksfahrer, er fährt 1971 den Capri und startet in England in der Formel 3, wechselt in die Formel 2. Gewinnt 1972 im Werks-March das Eifelrennen. Wechselt im Jahr darauf zum Rennstall von John Surtees für die Formel-2-EM und erste Grand-Prix-Einsätze.

Sein Dreimaster endet auf der Sandbank

Über vier Jahrzehnte und 105 GP-Starts später bekennt Jochen Mass lächelnd: "Ich war ja ein Träumer, ein Romantiker. Manche wollten mich lieber als rücksichtslosen Teutonen sehen, aber das war ich halt nicht. Andererseits wussten die auch, dass der Träumer schnell und zuverlässig Auto fuhr. Sonst hätten sie mich nicht immer wieder engagiert. Ob bei Ford, bei Porsche und bei Mercedes-Benz. Und weil ich Romantiker bin, hab ich auch das Schiff gekauft."

"Das Schiff" war der Dreimaster Aquila Marina, ein 38 Meter langer Toppsegelschoner, für den Jochen Mass seit Mitte der 1970er-Jahre einen Großteil seines Vermögens investiert und an die Côte d'Azur umzieht, um so oft wie möglich an Bord sein zu können. Bis sein überforderter Bootsführer die Aquila Marina im Sommer 1990 auf eine Sandbank setzt. Totalverlust. "Das muss man erst mal verarbeiten. Aber andererseits: Es gibt viel Schlimmeres, Krankheit, Tod. Wie viele sind damals im Rennwagen gestorben."

Der erste Sieg, als fünf Menschen starben

Zwangsläufig gerät auch Jochen Mass selbst immer wieder in brenzlige Situationen. 1975 auf dem Nürburgring platzt an seinem McLaren bei Tempo 280 in der Fuchsröhre ein Reifen. Ein paar Rennen zuvor ist Mass in Barcelona zu seinem ersten - und am Ende einzigen - GP-Sieg gekommen. Nach vorzeitigem Rennabbruch. Fünf Streckenposten und Reporter starben, als der Rennwagen von Rolf Stommelen wegen eines abgebrochenen Heckflügels von der Strecke schleudert.

Acht Jahre später soll Mass in Riverside für ein privates Porsche-Team starten, sagt jedoch ab. Rolf Stommelen springt ein und verunglückt tödlich. "Wir haben das Risiko erfasst, aber eben gehofft, dass nichts passiert", blickt Jochen Mass auf viele gefährliche Jahre zurück. Er verliert dann seinen Platz bei McLaren, startet 1978 in der Formel 1 für ATS. Die Saison wird zum Desaster und endet in Silverstone erneut mit einem schweren Unfall. Die Konsequenz: Knochenbrüche und eine gerissene Lunge.

Villeneuve stirbt nach einem Unfall mit Mass

Trotzdem kehrt Mass zurück, fährt für Arrows und dann für March. 1982 beim Abschlusstraining zum GP von Belgien in Zolder ist Ferrari-Pilot Gilles Villeneuve auf einer schnellen Runde unterwegs, als ihm Mass auf seiner Auslaufrunde in die Quere kommt. Villeneuve stirbt bei der Kollision. Mass erinnert sich: "Es war furchtbar. Ich kannte seine Familie gut, auch die beiden Kinder, und sein Sohn Jacques hat mir Jahre später gesagt: Jochen, wir haben dir nie einen Vorwurf gemacht, das war ein Rennunfall."

Keine drei Monate später, nach einem weiteren Unfall im französischen Grand Prix, steigt Mass aus der Formel 1 aus, macht im Sportwagen weiter. Mit 38 Jahren ist er in der WM für Sauber-Mercedes unterwegs, gewinnt 1989 die 24 Stunden von Le Mans und die Marken-WM.

Heute lebt er mit seiner zweiten Frau Bettina in Le Bar sur Loup, einem Dorf nahe der französischen Riviera. Beide haben zwei Töchter. Sein Terminkalender ist über die Jahre nicht dünner geworden und Jochen Mass immer noch auf Achse - bei Oldtimer-Rennen, als Markenbotschafter auf Klassikertreffen und in eigener Sache. Ein Leben im Schnelldurchlauf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: