Süddeutsche Zeitung

Zum Abschied des Defenders:Neben ihm sind SUVs Modepüppchen

Lesezeit: 4 Min.

Nach 68 Jahren naht das Ende des Land Rovers. So schade das auch ist: Eine letzte Ausfahrt im berühmtesten Geländewagen der Welt zeigt, warum die Zeit längst reif ist.

Von Jörg Reichle

Nennen wir ihn der Einfachheit halber Landy. Eigentlich heißt er seit 1990 Defender, genauer: Landrover Defender, davor nur Land Rover. Aber Defender sagt sowieso kein Mensch. Er ist, um das vorwegzuschicken, ein guter Kumpel. Aber ein schreckliches Auto. Er ist laut, er ist eng und spartanisch ausgestattet, seine Lenkung ist schwammig und seine Leistung überschaubar, sein Getriebe braucht zum Schalten den ganzen Mann und seine Sitze sind mindestens so schlecht wie die Bremsen. Er schluckt Diesel wie ein schottischer Hafenarbeiter Whisky. Und man hockt in ihm, wenn man sich erst einmal hineingezwängt hat, wie auf einem Kutschbock, vor allem hinten. Dass er zwei starre Achsen hat, macht ihn im Gelände zum König. Auf der Autobahn ist er die Pest.

Hart im Nehmen: Der Landrover Defender...

...im Arbeitseinsatz rund um den Globus.

Jetzt machen ihm...

...moderne Sicherheitsstandards den Garaus.

Aber warum wird er dann in aller Welt so geliebt? Vielleicht, weil jeder meint, einen Landy schon ewig zu kennen. Ein Triumph des rechten Winkels und des festen Willens über die windig strömenden Linien des automobilen Rests, ein Fels in der amorphen Masse des glatt geschliffenen Mainstreams, die kommt und geht mit den Moden. Heute gefeiert, morgen vergessen. So war der Landy nie. Und denen, die ihn lieben in aller Welt mag das die Sicherheit vermitteln, die sie sonst im Leben vermissen. Immerhin existieren drei Viertel aller je gebauten Landys noch, das hält die Liebe am Leben und die Gebrauchtpreise hoch. Und es beweist einmal mehr, dass Autoleidenschaft mit Vernunft herzlich wenig zu tun hat.

In England gedeihen starke Charaktere

Viele von uns waren noch gar nicht geboren, als der Landy auf den Markt kam. Das war 1948 , Europa lag in Trümmern. Und der neue Geländewagen, der eigentlich für die Nutzung in der Landwirtschaft entwickelt worden war, sah aus, als warte er nur darauf, aufzuräumen. Auch, dass er aus England kam, war sicher kein Zufall. Dort, im Mutterland der Splendid Isolation, gedeihen starke Charaktere. Nie hat man sich auf der Insel um den Rest der Welt geschert, "continent cut off", das Festland ist abgeschnitten, hieß es traditionell, wenn wieder einmal Nebel den Fährbetrieb von der Insel boykottierte. So eine Weltsicht konnte nur hier gedeihen, auf dieser Insel mit dieser Geschichte. Eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln, das war der Landy und ist es im Grunde noch. Dabei hat man es ihm erstaunlicherweise nie verübelt, dass man ihn in Drittweltländer mal hier mit dem aufgemalten roten Kreuz fahren sah, und zeitgleich mal dort mit aufgepflanzten Maschinengewehren auf der Ladefläche.

Bis heute kann man ja keinen Landy sehen, ohne sich wilde Wasserfurten vorzustellen, Schlammdurchfahrten bis zur Scheibenunterkante. Man sieht verdreckte Gestalten vor sich, die ihm ein Stahlseil umbinden und ihn aus unergründlich tiefen Löchern ziehen, oder Männer in Sakko und Gummistiefeln, die ihm einen Pflug umschnallen und ihre Ländereien damit beackern. Pomp and Circumstances und Schweinemist.

Wieder anderswo sieht man den Landy mit Raupen, die man ihm in die Radläufe gezwängt hat oder mit wilden Aufbauten, wüstentauglich oder arktisfest und nicht einmal am beschissen einsamsten Ort der Welt kann man davor sicher sein, diesem Auto zu begegnen. Auch in Deutschland hat der Landy eine hart gesottene Fangemeinde, allein in den ersten sechs Monaten 2015 wurden hier 1468 Landys verkauft. In einer Lebestadt wie München hat sich längst eine Öko-Schickeria etabliert, die auf seinem Dach nicht selten Überlebensutensilien wie voluminöse Wasserkanister, Werkzeugkisten und Sandbleche spazieren fährt. Keine Ahnung, was das soll, sieht aber cool aus.

2015, in diesem letzten Jahr seines rauen Lebens, hat ihm Landrover jetzt noch schnell drei Sondermodelle gewidmet, die sich natürlich verkauften wie nicht gescheit. Heritage heißt eines davon, knapp 40 000 Euro teuer, kurzes Chassis, in lindgrünem Grasmere Green lackiert, der Original-Überschussfarbe der Royal Airforce nach dem Zweiten Weltkrieg übrigens. Hinter den dicken Stahlfelgen und "HUE 166" auf der Flanke, dem Originalkennzeichen des ersten Vorserienlandys, ahnt man schon den liebenswerten Anachronismus, den man vor sich hat.

Und der Eindruck trügt nicht: Alles röhrt, rappelt und rumort. Der Türrahmen lässt ab 110 km/h (145 sind maximal drin, aber wer will das schon?) ein unüberhörbares Zischen vernehmen. Die Unterhaltung im Wagen ist da aber sowieso schon längst erstorben, dafür sorgt der gnadenlose 2.2 Liter Diesel. Man muss, um ihn zu beschreiben, nicht einmal Zahlen nennen. Dass er 122 PS leistet und in einer halben Ewigkeit auf 100 km/h beschleunigt, zum Beispiel. Anderes ist da wichtiger: etwa, dass man mit dem Landy durch 50 Zentimeter tiefes Wasser fahren kann, ohne abzusaufen. Oder, dass man ohne aufzusitzen eine 49 Grad steile Böschung schafft.

Die Stollenreifen wollen immer woanders hin als der Fahrer

So stellt einen der Landy, schweres Eisen das er ist, permanent vor die Frage, gibst du zuerst auf oder ich? Meistens gewinnt er. Und hebt sich so gut wie von allem ab, was vier Räder hat. Das kann man wörtlich nehmen. Gut zwei Meter hoch ist er und wenn man sich von seinem Hochsitz hinterm Lenkrad aus umschaut, schrumpft so ziemlich jedes dieser modernen SUV auf das Format lächerlicher Modepüppchen. Klock, macht dann das Getriebe verächtlich bei jedem Gangwechsel. Klock, klock. Und die groben Stollenreifen, die immer woanders hinwollen als der Fahrer, sirren dazu in höchsten Tönen.

Mit dem technischen Fortschritt ist der Landy immer schon zurückhaltend umgegangen. Und allein die Aufpreisliste unterscheidet ihn vom verweichlichten Rest der Autowelt. Statt Assistenten und Connectivity und so Sachen findet man hier Innengitter für Seitenfenster, eine elektrische Seilwinde, einen Arbeitsscheinwerfer oder Kotflügelauflagen aus Riffelblech. Immerhin, so viel Fortschritt darf sein, sind ABS und ESP seit dem Modelljahr 2015 serienmäßig. Nur die Qualität, klagen selbst die, die ihn lieben, ist englisch geblieben. Was das genau heißt, kann man in den vielen Foren im Netz nachlesen.

"Ja", sagt Hans Schönberger, Arzt für Naturheilkunde im Oberbayerischen, und eigentlich schon rein optisch keiner, der die Gänge mit dem Hammer einlegt, "meine Familie hat schon etwas gelitten, vor allem die Kinder. Die haben sich geschämt für den Landy. Der ist ja verbeult, sagten sie, als sie ihn zum ersten Mal sahen. Dabei waren es nur die Nieten auf der Karosserie." Irgendwann will der Doktor trotzdem noch mal einen, jetzt, wo die Mädchen aus dem Haus sind. Aber die Zeit drängt ja, spätestens im Januar 2016 soll Schluss sein. Wie ein neuer Landy wird, weiß keiner, Schönberger auch nicht. Und er sieht nicht wirklich froh dabei aus.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2015
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