Die Signale aus Wolfsburg erinnern an den letzten Funkspruch der Titanic: "Sinken - brauchen sofort Hilfe." VW hat mächtig Schlagseite, drohende Strafzahlungen in Milliardenhöhe machen den Konzern manövrierunfähig. Trotzdem will Markenchef Herbert Diess das Steuer auch technologisch herumreißen. Auf der diesjährigen IAA verbreitete er die Idee eines elektrischen Flaggschiffs. Martin Winterkorn winkte ab: "Lohnt sich nicht, machen wir nicht." Wenig später trat der mächtige Konzernchef zurück.
Mitten im schlimmsten Sturm der Firmengeschichte will sich VW neu erfinden: Statt eines Verbrennungsmotors soll die zweiten Phaeton-Generation einen Elektroantrieb bekommen. "Auch die künftige Phaeton-Generation wird als Leitstern für das Profil der Marke in der nächsten Dekade stehen", verkündet Herbert Diess. Doch die Neuausrichtung ist ein Taschenspielertrick. Den beschworenen Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) gibt es für Modelle größer als Passat oder Tiguan in Wolfsburg noch gar nicht. Der geplante Serienstart 2018 erscheint illusorisch. Da hilft nur ein kühner Kunstgriff: Der VW Phaeton beruhte schon bisher auf dem Modularen Längsbaukasten (MLB). Auch für den neuen MLB evo trägt Audi die Entwicklungsverantwortung. Ohne Starkstrom-Starthilfe aus Ingolstadt geht gar nichts.
Tesla macht den Türöffner
Vor Kurzem hat die Marke mit den vier Ringen eine Hochboden-Plattform für den reinen Elektroantrieb beschlossen - und Siegfried Pint von BMW abgeworben. Der 42-Jährige war Leiter elektrischer Antrieb und Hochvoltspeicher des BMW Project i: "Die Münchner haben das Batterieauto mit eher kleiner Hochvoltbatterie nach dem Bottom-up-Prinzip, also vom Kleinwagen i3 aus, eingeführt", so Pint.
Seit Anfang 2015 arbeitet er rund hundert Kilometer nördlich in Ingolstadt. Als Leiter Entwicklung Elektrifizierung Antrieb ist er für die Technik des Audi Q6 e-tron verantwortlich: "Anfangs dachte ich: Ein Batterieauto im C-Segment, das ist mutig. Aber jetzt weiß ich: Das ist genau richtig, weil dort das weltweit wachsende Volumensegment liegt. Und ja: Der Erfolg von Tesla hat wie ein Schneepflug gearbeitet. Das macht uns auch bei der Bereitschaft der Kunden, so ein Fahrzeug zu fahren, den Weg frei."
Audi will wieder Technik-Vorreiter sein
Von wegen Vorsprung durch Technik: Audi musste Tesla und BMW bei der E-Mobilität vorbeiziehen lassen. Das Hin und Her um die Einführung des R8 e-tron und der ständige Austausch von Entwicklungsvorständen war für das Vorreiter-Image nicht gerade förderlich. Böse Zungen behaupten: Seit dem Allradantrieb Quattro hat Audi höchstens noch in der Lichttechnologie und beim Virtual Cockpit Innovationen zustande gebracht.
Doch die Ingolstädter wollen zurück auf die Überholspur: Nächstes Jahr wird Audi als erster das 48-Volt-Teilbordnetz einführen. Beim SQ7 wird die zweite Spannungslage dem V8-Benziner gehörig Druck machen: Ein elektrisch angetriebener Verdichter unterstützt den konventionellen Abgasturbolader in den ersten zwei bis drei Sekunden nach dem Ampelstart. Klingt wenig, doch der Zusatz-Boost aus der Batterie zaubert ein breites Grinsen auf die Gesichter der Testfahrer (SZ berichtete).
Wirklich billig ist das 48-Volt-Teilbordnetz allerdings nicht. Mit Komfortfunktionen wie einer elektrischen Wankstabilisierung und der elektrischen Standklimatisierung führt Audi das System mit riemengetrieben Starter-Generator von oben ein, also zuerst bei teuren und leistungsstarken Modellen. "In etwa zehn Jahren wird die Marke außerhalb der e-tron-Palette kein neues Modell mehr ohne diese Technologie anbieten", so das Audi-Ziel. Nach 2020 soll es auch eine getriebeintegrierte Variante mit rund 18 kW Leistung geben. Dann kann das 48-Volt-Teilbordnetz selbst Quattro-Modelle in der Tempo-30-Zone rein elektrisch antreiben. Und die Rekuperationsrate steigt ohne das Schleppmoment des Motors erheblich.