Süddeutsche Zeitung

Zukunft des Autos:Und der Diesel lebt doch

Viele erklären den Diesel für tot. Doch woher diese Gewissheit? Wer eine saubere technologische Zukunft möchte, muss Lösungswege öffnen, nicht verschließen.

Essay von Karl-Heinz Büschemann

Selten hat Autofahren in Deutschland so viel Spaß gemacht. Vor allem, wenn man ein Auto mit Benzinmotor fährt. Als Fahrer eines Autos, das mit Super- oder Normalbenzin fährt, kann man leicht das Gefühl bekommen, der Umwelt geradezu Gutes zu tun. Denn diese Dinger verpesten die Luft ja nicht mit Stickoxiden, so wie es die bösen Dieselautos tun.

Letztere sind so schlimm, dass deren Eigentümer sich nur noch mit schlechtem Gewissen aus der Garage trauen dürfen. Das Verwaltungsgericht in Leipzig hat neulich sogar Fahrverbote für Diesel in Innenstädten zugelassen. Das Urteil wurde unter anderem damit begründet, das Recht auf den Schutz der Gesundheit sei höher zu gewichten als die Rechte der vom Verbot betroffenen Kraftfahrzeugeigentümer. Seit diesem Richterspruch fühlen sich Diesel-Besitzer in die Nähe von Schurken gerückt, denen die Gesundheit der Menschen egal ist.

Drei Thesen

Tatsache ist:

Das Ende des Diesels ist technologisch nicht zu begründen.

Das wird vergessen:

Es geht nicht nur um die Bedürfnisse wohlhabender Städter.

Wichtig bleibt:

Die Technologie für die Mobilität von morgen darf nicht politisch eingeengt werden.

Die Diesel-Debatte in diesem Land begann im Herbst 2015, als die kaum fassbaren Betrugsaktion des VW-Konzerns bekannt wurde. Inzwischen hat sie ein Ausmaß angenommen, das eine kühle Betrachtung der Dinge kaum noch möglich macht. Die Manager von VW und möglicherweise von anderen Konzernen haben den Dieselmotor so in Verruf gebracht, dass er scheinbar keine Zukunft mehr hat. Die Gebrauchtwagenpreise purzeln und die Dieselzulassungen in Deutschland gehen deutlich zurück. Die Händler müssen hohe Rabatte für ihre Diesel bieten. Wer will schon ein Auto kaufen, das für den Tod von 6000 Menschen im Jahr verantwortlich ist, wie das Umweltbundesamt mit einer reichlich wackeligen Statistik behauptet?

"Der Diesel ist tot, mausetot", erklärt Jürgen Resch, Geschäftsführer der privaten Umweltorganisation Deutsche Umwelthilfe, die auch den Prozess vor dem Verwaltungsgericht angestrengt hat. Ähnlich sieht es der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg Essen. Auch die Umweltschützer von Greenpeace prognostizieren: "Der Diesel hat keine Zukunft mehr". Das sind klare Worte, man fragt sich nur: Woher kommt auf einmal diese Gewissheit? Es ist längst bewiesen, dass auch Dieselmotoren so sauber sein können, wie das Gesetz es verlangt. Das bestätigt sogar die dieselkritische Deutsche Umwelthilfe. Saubere Diesel sind zwar teurer als die bisherigen Lösungen, aber technisch machbar. Schlimmstenfalls wenden sich Kunden vom Diesel ab, weil er ihnen zu teuer wird. Aber die These, der Diesel sei tot, ist nicht belegbar.

Unstrittig ist, dass Stickoxide gesundheitsgefährdend sind

Ebenso rätselhaft ist, warum in Deutschland nur noch der Diesel im Vordergrund der Debatten steht. Und warum wird über den Otto-Motor nicht debattiert, der ebenfalls ein Umweltsünder ist? Allein den Diesel wegen seiner Stickoxide zu verteufeln, ist ungefähr so sinnvoll wie nur Zucker dafür verantwortlich zu machen, dass die Menschheit verfettet. Es gibt viele Dickmacher wie auch zahlreiche schädliche Emissionen von Autos.

Unstrittig ist, dass Stickoxide gesundheitsgefährdend sind. Der Kampf dagegen ist daher richtig. Aber die Fokussierung auf einen Einzelfaktor rechtfertigt noch lange nicht den Generalangriff auf den Diesel. Das Problem der Umwelt ist der fossil angetriebene Verbrennungsmotor. Diesel- wie Ottomotor emittieren klimaschädliches CO₂ und tragen wesentlich zum Treibhauseffekt auf der Erde bei. Auch das gefährdet Menschenleben. In dieser zentralen Frage war die deutsche Umweltbewegung schon mal weiter.

Die Diesel-Hysterie wird wohl noch für einige Zeit den Blick auf das Wesentliche verstellen. Erst einmal nimmt die Autofahrernation fürchterliche Rache an ihren Autokonzernen, indem sie die Manager für Dummköpfe und Rosstäuscher erklärt, die keine Ahnung von der automobilen Zukunft hätten. Der kaum begreifliche Betrug von VW hat bei den Bürgern eine gewaltige Welle der Wut ausgelöst. Die Sache wird dadurch noch verschlimmert, dass die Bundesregierung und Behörden manchem betrügerischen Treiben der Industrie lange tatenlos zugesehen und nicht geprüft haben, ob deren Autos den gesetzlichen Vorschriften genügen. Damit trägt die Bundesregierung eine gehörige Mitverantwortung am jetzigen Diesel-Desaster.

Betrogen wurden nicht nur Millionen von Dieselkäufern von Volkswagen oder Audi, sondern auch Hundertausende von Mitarbeitern, die glaubten, für einen Vorzeigekonzern zu arbeiten. Sie müssen jetzt mit dem Verdacht leben, im Dienste einer Betrügerfirma zu stehen, die keine Verantwortung für ihre Taten übernimmt. Der Wolfsburger Vorstandschef Mattias Müller vermittelt in uneinsichtigen Interviews zudem mit Eifer den Eindruck, dass ihm die Interessen der Kunden in Europa und die Sorgen der Gesellschaft egal sind.

Es fällt leicht, arrogante Manager an den Pranger zu stellen. Dabei spielt keine Rolle mehr, dass das Auto seit einem Jahrhundert einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstand Deutschlands geleistet hat. Der Kredit dieser Schlüsselindustrie ist für lange Zeit verspielt.

Die aufgeregte Diesel-Diskussion legt aber auch eine Schwäche der deutschen Umwelt- und Mobilitätsdebatte offen: Sie ist zwar innovativ, aber zugleich provinziell. Fortschrittlich ist sie, weil sie sich mit den künftigen Mobilitätstrends moderner Städte befasst. Gleichzeitig schaut sie zu wenig über den Tellerrand des eigenen Lebensbiotops hinaus, weil sie die Bedürfnisse von Milliarden Menschen auf der Welt übersieht. Es ist notwendig, neue Systeme für den Verkehr in der Stadt zu ersinnen und selbstfahrende Fahrzeuge zu entwickeln. Das ist für die Industrieländer ein Muss, deren Städte am Autoverkehr zu ersticken drohen. Das ist auch für die Industrienation Deutschland von Bedeutung, wenn sie in Zukunft noch mit einer zukunftsfähigen Autoindustrie gegen internationale Konkurrenz bestehen will.

Die Autodebatte geht an den meisten Menschen vorbei

Aber das reicht nicht. Die Mobilitätsdebatte ist zu stark zentriert auf die Bedürfnisse der Städter, für die das Auto immer weniger ein taugliches Fortbewegungsmittel ist. Städte in Industrieländern haben öffentliche Verkehrssysteme. Für sie ist es deshalb sinnvoll, über Fahrverbote oder Mautsysteme für Innenstädte nachzudenken, über Carsharing-Modelle und Uber-Taxis, die den Verkehr verringern sollen. Doch diese Debatte geht an den meisten der acht Milliarden Menschen auf der Welt vorbei. Mag der individuelle Autoverkehr in der Stadt ein Konzept von gestern sein. Auf dem Land gilt das nicht. Die Automobilität der Menschen ist nicht am Ende, wie es manchem Städter erscheinen mag, sie steht erst am Anfang.

Es gibt heute auf der Welt etwas über eine Milliarde Pkw, und die meisten Erdbewohner warten noch auf ihr erstes Auto. Dem Bauern in der Mongolei, in Indonesien oder in Afrika, der nicht weiß, wie er seine Früchte zum nächsten Markt transportieren soll, hilft kein selbstfahrender Elektro-Smart von Daimler, auch kein Fancy-Tesla aus dem Silicon Valley, weil er sich das nicht leisten kann und für solche Gefährte die komplizierte Infrastruktur fehlt. Dem aufstrebenden Familienvater in Indien, der endlich sein Moped gegen das erste Auto eintauschen will, fehlt ebenfalls das Geld für aufwendige Technik.

Asiatische Hersteller, die Kleinautos für ein paar Tausend Dollar anbieten, werden noch lange einen attraktiven Markt vorfinden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diese Autos noch für lange Zeit einen Verbrennungsmotor haben werden.

Die Autoindustrie muss viele Antriebe bieten, wenn sie eine Zukunft haben will. Sie muss sich daher möglichst vielfältige technologische Wege offenhalten, auch wenn so vieles für das Stromauto zu sprechen scheint. Aber gibt es vielleicht andere Optionen? Was ist mit Antrieben, die mit Wasserstoff laufen? Wie steht es um Treibstoffe, die synthetisch aus erneuerbarer Energie gewonnen werden können und klimaneutral sind? Sie könnten die heutigen Kolbenmotoren noch lange in Bewegung halten und trotzdem der Umwelt dienen.

Das endgültige Urteil über den Antrieb von morgen ist noch nicht gesprochen, wie man gerade auch am Beispiel Daimler sehen kann. Warum beteiligt sich der chinesische Autohersteller Geely an dem deutschen Autohersteller, der auf die Erfinder des Autos zurückgeht und geradezu ein Symbol ist für die Autotechnik des 19. Jahrhunderts? Möglicherweise können die Chinesen in Stuttgart etwas lernen.

Das Elektroauto kann heute noch nicht den Anspruch erheben, umweltneutral zu sein, auch wenn die Regierung in Peking das Stromauto offenbar für die perfekte Lösung hält. Noch ist die Realität eine andere. Den Strom für die Autos von morgen klimaneutral zu erzeugen, ist theoretisch möglich. Aber das wird dauern. Selbst in der reichen Industrienation Deutschland wird immer noch etwa die Hälfte des elektrischen Stroms aus Steinkohle, Braunkohle und Erdgas erzeugt, also fossil und klimaschädlich. Und weil die Batterietechnologie noch in den Anfängen steckt, hat auch das Stromauto keine gute Ökobilanz.

Die Wege zur technologischen Zukunft müssen offen sein

Wegen dieser Unsicherheiten sei den Politikern empfohlen, sich aus der Bestimmung der Mobilität der Zukunft herauszuhalten. Die Entwicklung neuer Technologien muss bei denen liegen, die etwas davon verstehen, also bei der Industrie und den Forschern. Die Wege zur technologischen Zukunft aber müssen offen sein, sie dürfen nicht politisch so determiniert und eingeengt sein, dass mögliche Lösungswege von vornherein ausgeschlossen werden, nur weil sie heute noch unerforscht sind.

Die Regierungen sollten sich darauf beschränken, der Industrie die Vorgaben zu machen, die den Bedürfnissen der Menschen, ihren Städten und der Umwelt dienen. Dafür sind sie zuständig, dafür haben sie einen politischen Auftrag. Die Vorgaben müssen streng sein, wenn sie dem Klima helfen sollen. Das hat sich in der Vergangenheit auch in Deutschland bewährt, zum Beispiel als es in den Achtzigerjahren um die Bekämpfung des sauren Regens ging, und der Einbau von Abgaskatalysatoren zur Pflicht wurde. Die Industrie hat von den Vorgaben am Ende sogar profitiert.

Ob aber die gesetzlich erlaubten Emissionen der Autos mit einem Verbrennungsmotor erreicht werden, vielleicht sogar mit einem Diesel oder einem Elektromotor, können Politiker nicht sachgerecht entscheiden. Sie wissen es schlicht nicht, weder in Peking noch in Berlin.

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Quelle:
SZ vom 07.04.2018/harl
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