Süddeutsche Zeitung

Zeitmaschinen (9): Saab 92:Der Erste

1949: Der erste Serien-Saab der Geschichte konnte seine Herkunft aus dem Flugzeugbau nicht verleugnen. Eine der Folgen: ein cw-Wert wie der Ferrari F40.

Wolfgang Hofbauer

Es ist traurig, aber mathematisch gar nicht anders möglich und daher endgültig, dass es in der Redaktion der Autorevue keine direkte persönliche Beziehung zum Saab 92 gibt. Als die Zeitschrift gegründet wurde, war der 92 bereits ein ungefragter Youngtimer, seit zehn Jahren aus der Produktion.

Ein Redakteur, der im letzten Produktionsjahr des Autos, 1956, gerade den Führerschein gemacht hätte, wäre jetzt 71. Unser derzeit ältester Mitarbeiter liegt einiges darunter, und es ist auch niemand da, der für eine andere Zeitung einen Fahrbericht des Saab 92 geschrieben hätte und sich noch etwa an die ausgezeichnete Rundumsicht erinnern könnte.

Dazu kommt, dass der Saab 92 an der Grenze zum Aussterben gerade noch abgebogen ist und nur mehr in ein paar Exemplaren am Leben erhalten wird. In Österreich gibt es nicht ein einziges, seit unser Fotoauto im April 2009 nach Mainz verkauft wurde.

Gleichzeitig kam ein 92 aus Bochum nach Dänemark, es ist fast wie mit der Klimaverschiebung und den Wüsten: Eine Autospezies dringt langsam nach Norden vor. Bei einem großen Saab-Treffen vor einiger Zeit tauchten drei 92 auf, zwei davon gehörten dem Saab-Museum in Trollhättan.

Man sieht: Die Quellenlage ist bedenklich.

Dem steht entgegen die historische Bedeutung des Saab 92. Er war das erste Serienmodell von Saab, und er ging 1949, also vor 60 Jahren, in Produktion. Wenn man heutige Planungs- und Produktionszyklen zum Vergleich heranzieht, ist es doch erstaunlich, wie schnell alles ging - dass Saab nämlich nur vier Jahre zuvor zwar entschieden hatte, Autos zu bauen, aber noch nicht so genau wusste, welche.

Man erinnerte sich, dass sich eher kleine Autos aus kontinentaler Produktion vor dem Krieg in Schweden recht gut verkauft hatten. Hier wollte das 20-Mann-Team um Chefingenieur Gunnar Ljungström ansetzen. Zugute kam den Wackeren, dass sie nicht in überkommenen Bahnen dachten, ja dies gar nicht konnten: Denn sie alle hatten bislang mit Autos nichts zu tun gehabt.

1946 schon stand der erste Prototyp auf der Straße, 92001 genannt. Nur ein einziges Exemplar wurde gebaut, und für jeden war erkennbar, dass seine Konstrukteure aus der Flugzeugindustrie kamen.

Was keiner sah: Das Auto mit seinem kleinen, von irgendwo ausgeborgten Zweitaktmotor war mehr oder weniger aus Materialien vom Schrottplatz gebaut worden, weil so bald nach dem Krieg waren die Rohstoffe knapp und daher teuer. Die Karosserie wurde von Hand gedengelt auf einem Eichenholzklotz als Unterlage, der wegen der nötigen Abfederung im Pferdemist stand.

Die paar Ingenieure betätigten sich auch als Testfahrer und beutelten den 92001 hunderte von Kilometern über die schwedischen Schotterpisten. Der Prototyp bewährte sich ganz gut, brach also nicht zusammen. Allerdings gefiel er nicht sehr.

Nun schlug die Stunde von Sixten Sason, einem Designer, der gerade dabei war, für Saab ein Flugzeug zu entwerfen. Sason nahm dem Auto seine Klobigkeit und zeichnete jenen Prototypen, der als 92002 schon die Form des 92 und überhaupt aller Saabs der kommenden 30 Jahre vorwegnahm (tatsächlich war Sason dann Saab-Chefdesigner bis zu seinem Todesjahr 1967. Nebenbei entwarf er unter anderem auch die Hasselblad 1600, Kettensägen für Husqvarna und Kühlschränke für Electrolux).

Der 92002 wurde nach ausgiebiger Erprobung - drei Testfahrzeuge fuhren insgesamt fast 400.000 Kilometer - im Juni 1947 der internationalen Presse vorgestellt. Zweieinhalb Jahre später folgte die Enthüllung des Serienmodells Saab 92.

Davor war die Einrichtung eines richtigen Autowerks in Trollhättan, wo schon bisher die Prototypen gebaut wurden, notwendig gewesen: Auf 17.700 Quadratmetern drängten sich Karosseriebau, Motor- und Getriebekonstruktion, Polsterer und Lackiererei sowie die Endfertigung.

Am Anfang wurden drei Autos pro Tag gebaut, später dann sogar vier und im ersten Jahr insgesamt knapp über 1200. Das war zwar langsam, aber zumindest in der Produktion hatte der Saab 92 eine gute CO2-Bilanz: Fast das ganze Auto wurde sozusagen unter einem Dach gebaut. Nur 17 Prozent der Teile kamen aus dem Ausland. Wer Saab kaufte, kaufte schwedisch.

Der Mann, der Österreich seinen letzten Saab 92 genommen hat, heißt Nils. Er kann natürlich nichts dafür: Das Auto wurde im Internet angeboten. Es ist Baujahr 1955 und verfügt über einen durchzugskräftigen 28-PS-Zweitakter, der sogar meistens anspringt. Nur wenn der Motor kalt ist, bremst Nils mit der Handbremse, weil wenn er den Fuß vom Gaspedal nimmt, ist es aus.

Der Zustand des Autos ist gut naturbelassen, die Sitzbezüge sind neu, die kleinen Blinklichter natürlich auch (die Original-Winker funktionieren aber auch). Alles gerade so, dass das richtige Auto noch da ist und es einen trotzdem nicht graust.

Genial das Fensteröffnen: Zwei Kurbler nur, und die Scheibe kippt regelrecht nach hinten-unten weg. Dafür hat das Auto einen Wendekreis von elf Metern, aus dem Gartentor raus braucht Nils stets einen zweiten Anlauf.

Ein Saab 92 ist kein Oldtimer, den man behandelt wie den Verduner Altar, trotz des seltenen Vorkommens. Nils hat seinen für unseren Besuch mit Transportkennzeichen angemeldet und fährt unbekümmert aus der Garage, die hat er natürlich, und auch zwei 900er für den Alltag, aber ansonsten keine Preziosen. Nur eben diesen 92, der so ganz aus seinem früheren Zusammenhang einer größeren Sammlung gerissen wurde.

Der Vorbesitzer wollte ihn nicht mehr, da er ihn kaum fuhr. Nils wiederum hat ihn so irgendwie zufällig gekauft, wohl ist er Fluglotse (und Formel-Ford-Fahrer), eine Querverbindung zwischen Flugzeug und Saab ist ja aufgelegt. Daher die lockere Vorliebe für Saab, und jetzt ist da halt der 92. Saab-Menschen sind ein besonderer Schlag, als Oldtimersammler ebenso wie als Endverbraucher.

Ähnlich wie den Ford T konnte man auch den Saab 92 bis 1952 in allen möglichen Farben haben - solange es Grün war. Die Farbe war angeblich vom Flugzeugwerk übrig geblieben, wo man sie im Krieg als Tarnfarbe benutzt hatte. Als sie endlich aufgebraucht war, wurde die Palette erweitert, die Zeiten waren danach. Nicht nur die Farben kamen neu, das ganze Auto, jetzt Saab 92 B genannt, wurde überarbeitet.

Es war auch notwendig gewesen: Zuvor hatte der Kofferraum keine Heckklappe gehabt und war nur von innen zugänglich gewesen, die Motortemperatur war immer wieder zu hoch gestiegen, die Sicht nach hinten dürftig gewesen, und die Scheinwerfer hatten den Gegenverkehr geblendet.

Alle diese Probleme waren beim 92 B beseitigt, außerdem konnte jetzt sogar die hintere Sitzbank ausgebaut werden, um den Kofferraum zu vergrößern. Das Modelljahr 1954 sah weitere Verbesserungen wie eine synthetische Lackierung, einen von 25 auf 28 PS leistungsverstärkten Motor, bessere Heizung und vor allem Aschenbecher jetzt auch für die Fondpassagiere.

Am 6. März 1954 rollte der 10.000ste Saab 92 vom Fließband. Alle 27 Minuten entstand ein neues Auto. Innerhalb von nur vier Jahren war Saab zu einer populären Marke in Schweden geworden, und es kam, wie es immer kommt: Der Produktionsstandort wurde zu klein, die romantische Idee vom Konsumartikel, der an einem identitätsstiftenden Ort entsteht, zerfranste in Form der Auslagerung von Motoren- und Getriebeproduktion nach Göteborg.

Identitätsstiftung kam jedoch von anderer Seite, nämlich aus dem Motorsport. Trotz der zurückhaltenden Motorleistung war der Saab 92 für damalige Verhältnisse auf kurviger Straße gut unterwegs und konnte auch stärkere Autos nass machen. 1952 gewann die Norwegerin Greta Molander den Coupe des Dames der Rallye Monte Carlo mit einem auf 35 PS getunten Saab 92. Und 1955 holte Erik Carlsson mit einem 92 den Rikspokalen.

Das Ende nahte aber doch: Der Saab 93 stand auf der Schwelle. Er sah dem 92 sehr ähnlich, also er sah aus, wie ein Saab eben aussah. In vielen Teilen war er aber ein neues Auto. 1956 bauten sie noch 680 vom alten Modell, dann war nach insgesamt 20.128 Autos Schluss. 2008 listete General Motors die zehn besten Autos, die - nach Eigendefinition - mit dem Konzern was zu tun hatten. Platz drei ging an die Corvette von 1953, Platz zwei an den Pontiac GTO von 1964 und Platz eins an den Saab 92.

Wir danken Nils Leuber aus Mainz für die freundliche Zurverfügungstellung des Foto-Autos: Saab 92 B, Baujahr 1955.

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