Walter de'Silva, VW-Chefdesigner:"Design ist wichtiger als Werbung"

Walter de'Silva, Chefdesigner der Volkswagen AG, erklärt, wie er es schafft, zehn Automarken auseinander- und zusammenzuhalten.

Rolf Schröter

Neben diversen Modellen von Autos aus dem VW-Konzern steht im Büro von Walter de'Silva auch ein Alfa Romeo 8C Competizione - ein Geschenk von Walter Egger, dem Chefdesigner der Audi-Gruppe. Die beiden Freunde arbeiteten bereits gemeinsam bei der Marke Alfa Romeo, deren Designzentrum Walter de'Silva von 1986 bis Ende der neunziger Jahre leitete. Seine berufliche Laufbahn begann de'Silva 1972 beim Fiat Designzentrum in Turin. 1999 wurde der in Lecco geborene Italiener Leiter des Seat Designzentrums. Ab März 2002 war de'Silva für das Design der Markengruppe Audi verantwortlich, zu der die Marken Audi, Lamborghini und Seat gehören. Seit Februar 2007 leitet der 58-jährige Walter Maria de'Silva das Konzern-Design der Volkswagen AG. Er übernimmt damit die Design-Verantwortung für alle Marken des Konzerns. Walter de'Silva sprach mit der Fachzeitschrift "Werben & Verkaufen".

Walter de'Silva, VW-Chefdesigner: Walter de'Silva, verantwortlich für das Konzern-Design der VW AG:  "Letztendlich erfolgt die Entscheidung dann nicht demokratisch, sondern ich treffe sie. Das ist nie leicht."

Walter de'Silva, verantwortlich für das Konzern-Design der VW AG: "Letztendlich erfolgt die Entscheidung dann nicht demokratisch, sondern ich treffe sie. Das ist nie leicht."

(Foto: Foto: oh)

W&V: Zunächst einmal Glückwunsch, Herr de'Silva - der Audi A5 hat den Designpreis von Deutschland in Gold erhalten. Sie haben den A5 als Ihr gelungenstes Modell bezeichnet. Was ist an diesem Auto besser als an anderen?

Walter de'Silva: Dieser Preis hat mich wirklich berührt, denn als ich gesagt habe, dass der A5 das schönste Auto ist, das ich je gestaltet habe, dachten vielleicht einige, ich sei überheblich. Aber das war keine Überheblichkeit. Der A5 ist wahrscheinlich einer der schönsten Granturismo, die es je gegeben hat. Darauf bin ich stolz.

W&V: Unter dem Dach von Volkswagen befinden sich mittlerweile zehn Automarken. Gibt es eine typische Formensprache, die in allen Fahrzeugen der VW-Marken steckt?

de'Silva: Ganz klar. Jede Marke hat eine eigene DNA und typische Design-Kriterien. Der rote Faden, der alles miteinander verbindet, ist Einfachheit und Eleganz.

W&V: Heißt das, Autos anderer Marken sind zu kompliziert und unelegant gestaltet?

de'Silva: Ich sehe noch zu viele Autos, die over-designed sind, wo man möglichst viele Linien setzt, um sich zu unterscheiden. Tatsache ist: Die Unterscheidung ergibt sich durch guten Geschmack, die Kultur und die jeweilige Geschichte einer Marke. Unsere Fahrzeuge sollen zeitlos sein und nicht wie ein Paar Jeans, das sich ziemlich schnell verbraucht und dann einfach weggeworfen und ersetzt wird.

W&V: Wo befinden sich die gestalterischen Charakteristika, die die einzelnen VW-Marken eindeutig definieren?

de'Silva: Für jede Marke gibt es ein Handbuch mit dem, was wir Brand Design Criteria nennen. Es basiert jeweils auf Architektur, Design-Merkmalen und Geschichte der einzelnen Marke. Diese Dokumente aktualisieren wir ständig. Sie stellen jeweils den Leitfaden, die Bibel für unsere Designer dar.

W&V: Und was unterscheidet die Marken im Produkt, das heißt als Fahrzeuge auf der Straße?

de'Silva: An erster Stelle steht die Vorderansicht eines Fahrzeugs. Dort ist die Unterscheidung eindeutig: Audi zum Beispiel mit seinem Single Frame (dem tiefgezogenen Kühlergrill, d. Red.) bietet eine klare Produktdifferenzierung. Die Einfachheit, die horizontale Linie und die nicht vorhandene Komplexität wiederum sind typisch für Volkswagen. So wie es typische Frontansichten gibt, existieren auch typische Seiten- und Heckansichten. Dabei gibt es aber keine starren Gesetze, diese Designs entwickeln sich jeweils weiter.

W&V: Bei welchen Marken im Konzern müssen Sie mehr tun als bei anderen?

de'Silva: Ganz klar: Die Marken, an denen wir am meisten arbeiten müssen, sind Škoda und Seat - auch wenn sie gut positioniert sind. Die Beziehung zwischen Marken-Image und Design muss besser definiert werden. Audi ist die Benchmark im Design. Aber das bedeutet, dass man mehr arbeiten muss, um in dieser Position zu bleiben.

"Bei Porsche sehe ich keinerlei Probleme"

W&V: Die Marke Porsche wird in den Konzern integriert. Damit wächst die Volkswagen-Familie weiter ...

de'Silva: Es gefällt mir nicht, wenn man uns im Design als große Familie sieht. Natürlich sind wir eine Familie, weil wir uns gegenseitig helfen. Aber jedes Familienmitglied, jede Marke sollte eine eigene Identität behalten.

W&V: Gibt es bei Porsche Handlungsbedarf?

de'Silva: Ich kenne den Porsche-Design-Chef Michael Mauer und ich habe den Eindruck, dass er professionell arbeitet. Porsche hat eine sehr starke Design-DNA und eine phantastische Geschichte und Tradition. Ich sehe keinerlei Probleme.

W&V: Haben Sie bereits mit Herrn Mauer über die Positionierung und künftige Projekte gesprochen?

de'Silva: Sagen wir mal so: Wir haben angefangen, miteinander zu reden. Mehr möchte ich im Moment nicht sagen.

W&V: Sie entscheiden letztendlich über die Arbeit der Design-Abteilungen der einzelnen Marken unter dem VW-Dach. Sind Sie eher Dirigent oder Dompteur?

de'Silva: Ich bin kein Dompteur und ich befehlige auch keine Ausführungsmannschaften. Ich versuche, meinen Designern Selbstachtung zu geben und Vertrauen in das, was sie tun. Ich versuche, ihre Kreativität anzustacheln. In meinem Team sind Menschen, die aus der ganzen Welt kommen. Zeichnen ist die Sprache, die uns verbindet. Natürlich geht es auch darum, den Wettbewerb untereinander zu stimulieren. Ich diskutiere auch Ideen, die ich nicht teile. Ich lerne dabei sehr viel. Aber letztendlich erfolgt die Entscheidung dann nicht demokratisch, sondern ich treffe sie. Das ist nie leicht.

W&V: Der Elektroantrieb ist das zurzeit beherrschende Thema. Haben Elektroautos eine eigene Ästhetik - müssen sie anders aussehen als benzingetriebene Autos?

de'Silva: Das ist eine große Fehlinterpretation. Elektroautos werden dann ein anderes Aussehen haben, wenn bestimmte technische Komponenten wie Antrieb, Aufhängung und Position der Batterien die Möglichkeit geben werden, die Architektur eines Fahrzeugs zu verändern.

W&V: Aber Elektroautos machen zum Beispiel das Schalten überflüssig - das sind grundlegend andere Produkte.

de'Silva: Es wäre falsch zu vergessen, dass ein Automobil Gefühle und Freude weckt; es ist etwas, was man liebt. Das Auto ist eine Ikone des Industrieprodukts. Menschen wollen diese Gefühle im Auto wiederfinden. Wir arbeiten bereits an sportlichen Fahrzeugen mit Elektroantrieb. Natürlich werden auch sie die ikonographischen Eigenschaften haben wie ein Fahrzeug mit traditionellem Antrieb. Einen Schalthebel aus einem Auto rauszunehmen ist, als ob ich Ihnen einen Füllhalter gebe und sage: Nimm und schreib, aber Tinte bekommst du nicht.

"Design entsteht ohne Marketing"

W&V: Welche Rolle spielt dabei künftig das Akustik-Design? Schließlich machen Elektromotoren kaum Geräusche, sie jaulen nicht, sie dröhnen nicht, sie röhren nicht.

de'Silva: Wir werden entsprechende Akustik-Elemente einführen müssen. Auch beim Computer oder am Telefon wollen wir immer ein Akustik-Feedback von der Tastatur haben. Das gehört zu unseren fünf Sinnen, zur Ergonomie. Dieses physikalische Feedback muss ein Produkt geben.

W&V: Werden die Formen eines Autos mit Elektroantrieb weicher, freundlicher aussehen müssen, um zu zeigen, dass es umweltfreundlicher ist - damit es sich besser verkauft?

de'Silva: Ich arbeite seit 38 Jahren im Design. Mindestens 25 Jahre davon arbeite ich mit dem Marketing zusammen. Das Marketing macht seine Arbeit, ich mache meine Arbeit. Aber das Design eines Fahrzeugs entsteht ohne das Marketing.

W&V: Aber Design muss auch verkaufen. Gibt es keinen Austausch zwischen Marketing und Design?

de'Silva: Doch, natürlich. Jeden Tag sogar. Wir stehen nicht in Opposition zueinander.

W&V: Also ist Design auch wichtiger als Werbung, weil es die Voraussetzung dafür bietet?

de'Silva: Natürlich! Wenn das Produkt ein Design-Produkt ist, also wenn Funktionalität, Qualität und Ästhetik richtig vereint sind, ist Werbung ein Zusatz. Aber Werbung kann den Erfolg eines guten Designs durch kreative Kommunikation steigern. Wenn ich hingegen eine Dienstleistung bewerbe, dann ist die Werbung wichtiger als das Produkt. Aber ich kann Werbung machen, so viel ich will für eine - sagen wir - Armbanduhr. Wenn das Produkt nicht entsprechend stimmt, verkauft sie sich nicht. Rolex ist nicht deshalb erfolgreich, weil die Werbung gut ist.

W&V: Es gibt demnach keinerlei Spannungen zwischen dem Design und dem Marketing?

de'Silva: Wir sind ein Team. Das Design wird respektiert, denn es gehört zu den Gewinner-Faktoren für das gesamte Unternehmen. Der Audi A5 wurde nicht vom Marketing, sondern von Walter de'Silva und seinem Team designt. Ich musste einen Granturismo schaffen. Das war der Ausgangspunkt. Mehr brauche ich nicht.

W&V: Neue Modelle entstehen aus Plattformen heraus. Sind Plattformen aus der Sicht des Designers hilfreich oder lästig?

de'Silva: Wir arbeiten nicht mehr einfach nur mit Plattformen. Unsere Ingenieure haben ein modulares System möglich gemacht. Das ist sehr hilfreich. Wir können damit verschiedene Komponenten zusammenfügen, als würden wir mit einem Lego-Baukasten arbeiten. Das erlaubt es uns, sehr viel mehr Modelle als bisher zu formulieren und zu analysieren.

Mit der Liebe zur Klarheit und zum Detail

W&V: Zum Beispiel?

de'Silva: Bislang gab es den Audi A4 als Limousine, Avant und Cabrio. Für den neuen A4 nach dem Baukastensystem haben wir eine Limousine, ein Coupé, den A5, das A5 Cabrio, den A5 Sportback und den Q5 realisiert.

W&V: Die Lebenszyklen der Modelle werden kürzer?

de'Silva: Um ein Fahrzeug zu entwickeln, braucht man nach wie vor vier Jahre. Aber aufgrund der modularen Plattform können wir jeden Monat ein neues Modell lancieren. Im Schnitt bringen wir alle 40 Tage ein neues Modell heraus.

W&V: Gorden Wagener, Chefdesigner von Mercedes-Benz, sagt: "Du musst eine Menge Leute überzeugen, wenn Du Dein Design verkaufen willst." Das klingt so, als gehe es nicht um die Umsetzung von Strategien, sondern um persönliche Geschmäcker.

de'Silva: Damit bin ich nicht einverstanden. Ich nehme ein Modell, stelle es in einen Präsentationsraum und sage nichts. Wenn es den Leuten gefällt, dann brauche ich niemanden mehr zu überzeugen. Das Problem stellt sich genau andersherum: Manchmal glaubt man, das reife Ergebnis zu haben, und das Problem besteht darin, zu sagen: Lieber Herr Vorstandsvorsitzender, ich brauche noch ein paar Wochen, um das zu verbessern - es ist noch nicht gut genug.

W&V: Sie haben nur ein einziges, riesiges Bild in Ihrem Büro hängen -den Unterboden eines Autos. Warum diese außergewöhnliche Perspektive?

de'Silva: Das ist Design! Es ist die Unterseite eines Audi R8. Man kann darin die Liebe zum Detail und die Klarheit des Designs erkennen. Und auch die Intention und die Kultur der Ingenieure, der Technik. Es ist fantastisch, dieses Bild!

W&V: Aber die Leistung guten Designs erkennt man doch auch an der Karosserie.

de'Silva: Design ist auch das, was man nicht sieht. Es ist fester Bestandteil der Gesamtheit eines Organismus, den man Automobil nennt.

W&V: Welches Auto verkörpert das am besten?

de'Silva: Der Citroën DS 19 ist das Fahrzeug, das ich am meisten liebe. Es ist eines der wenigen Fahrzeuge, die genau das darstellen. Dieses Auto ist für mich eine große Ikone.

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