Walter de Silva:Die wichtigsten Entwürfe des Ex-VW-Chefdesigners

Einer der angesehensten Autodesigner hört auf: Walter de Silva geht in den Ruhestand. Was bleibt?

Von Thomas Harloff

1 / 11
(Foto: dpa)

Walter Maria de Silva ist Autodesigner, Italiener noch dazu. Die Kombination aus Beruf und Herkunft könnte dafür sprechen, dass diesen 64-jährigen, meist freundlich lächelnden Herren eine gewisse Extrovertiertheit auszeichnet. Doch im Gegensatz zu vielen Berufskollegen ist de Silva keiner, der große Gesten und noch größere Worte braucht, um das Design eines Autos zu erklären. Seine Entwürfe sprechen für sich, und sie sprechen für ihn. Sie sind Ausdruck seines bescheidenen Wesens. De Silva steht für Geradlinigkeit, Schlichtheit. Obwohl er selten auf Schnörkel setzte, auf Kitsch schon gar nicht, gelang es ihm meist, einer Autokarosserie den nötigen Schuss Emotionalität zu verabreichen. Und zwar Zeit seiner Karriere, die 1971 bei Fiat begann, 1986 bei Alfa Romeo Fahrt aufnahm und ihn 1999 ins große VW-Imperium führte. Nun ist für ihn dort Schluss, kürzlich gab er seinen Rücktritt als Designchef des Konzerns bekannt, dessen Probleme derzeit bekanntlich eher technischer Natur sind.

Alfa Romeo 156 Sportwagon (2000)

2 / 11
(Foto: FCA Germany AG)

So wie dem Paar, das hier den Alfa Romeo 156 anhimmelt, ging es bei dessen Markteinführung 1997 offenbar auch Ferdinand Piëch. Der damalige Vorstandsvorsitzende des Volkswagen-Konzerns war dem Vernehmen nach begeistert vom Design des italienischen Mittelklassewagens. Vor allem die Kombi-Version soll es dem VW-Patriarchen angetan haben. Also macht er dessen Schöpfer, dem damaligen Alfa-Chefdesigner de Silva, das Angebot, zum immer weiter wachsenden Mehrmarkenreich nach Wolfsburg zu wechseln. Tatsächlich steht der Alfa Romeo 156 Sportwagon exemplarisch für Vieles, was de Silvas Arbeit bis heute auszeichnet. Für die Eleganz des Fünftürers sorgt die Reinheit seiner Formgebung. Das Design ist so sauber geraten, dass der Zeichner hintere Türgriffe als störend empfand und sie an der C-Säule in die Fenstergrafik integrierte. Ein Kniff, den er bei der später erscheinenden fünftürigen Version des kompakten Alfa 147 wiederholte. Für die Emotionen im Alfa-156-Design sorgen die Details, etwa die schmalen Leuchtenbänder hinten und vorne oder der markentypisch schmale und nach unten spitz zulaufende, aber neu interpretierte Scudetto-Kühlergrill. Dass der Kofferraum des Kombis mit 360 Litern lächerlich klein ist, scheint Piëch nicht gestört zu haben.

Seat Salsa Konzeptstudie (2000)

3 / 11
(Foto: Seat)

Noch bevor der Alfa Romeo 156 Sportwagon auf den Markt kommt, wechselt de Silva nach Spanien. 1999 übernimmt er die Leitung des Seat-Designzentrums. Die Marke ist bis dahin eher für praktische als für schöne Autos bekannt, soll fortan aber in die dynamische Markenlinie innerhalb des VW-Konzerns integriert werden. Dafür muss sich am Aussehen der Seat-Modelle einiges ändern. Der Salsa, der 2000 auf dem Genfer Autosalon debütiert, bricht demnach auch mit allem, was man von der spanischen Marke zuvor kannte. Wie gut der Salsa die vorrangige Aufgabe einer Konzeptstudie, nämlich das Design zukünftiger Serienmodelle vorwegzunehmen, erfüllt, wird einige Jahre später deutlich.

Seat Ibiza (2002)

4 / 11
(Foto: Seat)

Noch nicht allerdings bei Seats erstem Serienauto, das unter Walter de Silvas Regie auf den Markt kommt. Beim Seat Ibiza von 2002 ist von den Künsten des Italieners noch nicht viel zu sehen. Viel Einfluss auf dessen Gestaltung konnte er nicht mehr nehmen, schließlich wurde die Entscheidung für das pummelige, fast schon klobige Aussehen des Kleinwagens lange vor seinem Engagement getroffen. Zudem erfährt de Silva, was es heißt, Designs für Autos zu entwerfen, die technisch anderen, sehr biederen Modellen fast eins zu eins gleichen. Dank Volkswagens konsequenter Plattformstrategie ist der Ibiza konstruktiv nämlich eng mit dem VW Polo und dem Škoda Fabia verwandt. Die größte Herausforderung lautet fortan, die gleiche technische Basis möglichst unterschiedlich zu verpacken.

Seat Leon (2005)

5 / 11
(Foto: STG)

Besonders ansehnlich gelingt de Silva das bei seinem letzten Seat-Entwurf. Die zweite Generation des Leon nutzt die gleiche Basis wie der Audi A3, der VW Golf V und der Škoda Octavia II, sieht aber völlig anders aus als die Konzernbrüder. Er trägt bemerkenswert viele Designelemente der Salsa-Studie und unverkennbar de Silvas Handschrift: Die Leuchten, vor allem die hinteren, sind schmal, und die hinteren Türgriffe sitzen nicht in den Türen, sondern im Dreiecksfenster hinter der C-Säule. Der Alfa 156 Sportwagon lässt grüßen. 2004 erscheinen mit dem Toledo III und dem Kompaktvan Altea zwei weitere Seat-Modelle, bei denen de Silva für die Gestaltung verantwortlich ist. Obwohl der Altea einige Designpreise gewinnt, kommt erstmals Kritik an seinen Entwürfen auf. Die Autos sehen sich zu ähnlich, lautet der meistgenannte Vorwurf. Der Designer kann locker darüber hinwegsehen - er ist im Konzern längst aufgestiegen.

Audi A6 (2004)

6 / 11
(Foto: DPA/DPAWEB)

Bereits 2002 übernimmt de Silva die Designleitung der Audi-Markengruppe, in die auch Seat eingegliedert ist. Eine seiner ersten Maßnahmen in neuer Funktion löst eine Kontroverse aus: Das Gesicht der Audi-Modelle bestimmt fortan nicht mehr ein schmaler, horizontal ausgerichteter Kühlergrill, sondern ein weitaus größerer, tief in den Stoßfänger hineingezogener. Eine Neuerung, die nicht bei jedem Audi-Kunden gut ankommt. Zu protzig sei dieser mächtige "Singleframe", ein Audi damit nicht elegant genug. Die erste Baureihe, deren Gesicht der neue Lufteinlass prägt, ist der Audi A6 von 2004. Dessen Erfolg zeigt schnell, dass die Singleframe-Skeptiker klar in der Minderheit sind. Die neue Front ist mitverantwortlich dafür, dass die Ingolstädter mit ihrem Modell der oberen Mittelklasse der Konkurrenz aus München und Stuttgart in immer größerem Ausmaß die Kunden streitig machen. Der Singleframe ziert bald jedes Audi-Modell (und tut das bis heute) und ist ein Grund dafür, dass es im VW-Imperium bald einen zweiten großen und einflussreichen Fan Walter de Silvas gibt: den damaligen Audi-Chef Martin Winterkorn.

Audi R8 (2007)

7 / 11
(Foto: Audi AG)

Doch Audi will nicht nur mit BMW und Mercedes, sondern auch mit Porsche auf Augenhöhe kämpfen. So reift die Idee, das Modellprogramm durch einen echten Sportwagen zu ergänzen. Wie der aussehen könnte, zeigt zuvor nicht nur die Studie Le Mans Quattro von 2003, sondern auch das Filmauto RSQ, mit dem sich ein Jahr später Will Smith in I, Robot spektakuläre Verfolgungsjagden liefert. Als Audi im Herbst 2006 die Serienversion des nun R8 genannten Zweisitzers präsentiert und ein halbes Jahr später auf den Markt bringt, ist die Verblüffung groß. Es wird offenbar, dass sich das endgültige Design sehr stark an den früheren Prototypen orientiert. Unter der Aufsicht von de Silva mischt Designer Julian Hönig einen grimmigen Blick samt Singleframe-Grill und schmalen Scheinwerfer-Schlitzen mit fließenden Linien zu einem Design-Cocktail, der fast alle Betrachter jubeln lässt. Besonders gut kommen die von oben nach unten verlaufenden, farblich abgesetzten Sideblades zwischen Tür und hinterem Radkasten an. Diese Elemente sollen das Mittelmotor-Konzept (das Triebwerk befindet sich zwischen Fahrgastzelle und Hinterachse und damit genau hinter den Sideblades) visualisieren.

Lamborghini Miura Concept (2006)

8 / 11
(Foto: Wikimedia Commons / smartvital)

Zur sportlichen Markengruppe des VW-Konzerns gehört auch Lamborghini. Die Sportwagenschmiede feiert 2006 den 40. Geburtstag seiner legendären V12-Mittelmotor-Rakete Miura. Für die Feier auf der Detroit Motor Show soll ein Showcar entstehen, das die ikonische Formensprache des historischen Vorbilds aufnimmt und neu interpretiert. De Silva lässt es sich nicht nehmen, die Formen der Studie selbst zu modellieren. Er schafft damit ein Auto, dass sich nicht nur Kunden und Anhänger der Edelmarke als Serienauto gewünscht hätten. Doch dazu kommt es nicht. Der Miura Concept bleibt ein Einzelstück, dass seine Zeit vorwiegend im Firmenmuseum in Sant'Agata Bolognese verbringt.

Audi A5 (2007)

9 / 11
(Foto: Audi AG)

Als das schönste je von ihm gezeichnete Auto adelt de Silva aber keinen Lamborghini, auch keinen Alfa Romeo, sondern einen Audi. "Der A5 ist wahrscheinlich einer der schönsten Gran Turismo, die es je gegeben hat. Darauf bin ich stolz", sagte der Italiener in einem Interview. De Silva ist sich bewusst, dass ihm ein solcher Satz als überheblich ausgelegt werden könnte, schließlich bauen auch für ihr herausragendes Design bekannte Marken wie Maserati oder Aston Martin solche schnellen und stark motorisierte Reiseautos. Aber die schlichte Eleganz des Audi A5 hatte vorher zumindest in der Mittelklasse kein anderes Coupé zu bieten. Insgeheim sehen das viele BMW- und Mercedes-Fans übrigens auch so.

VW Golf VI (2008)

10 / 11
(Foto: Volkswagen AG)

Mit seinem Highlight verabschiedet sich de Silva von Audi. Er folgt Martin Winterkorn nach Wolfsburg und wird dort im Februar 2007 Designchef des Gesamtkonzerns. In dieser Funktion füllt er eine besonders undankbare Aufgabe aus: Er muss mit seinen Entwürfen dafür sorgen, dass der VW Golf seinen Status als Nummer eins auf dem deutschen und dem europäischen Automarkt behält - und möglichst ausbaut. Schwieriger kann die Aufgabe für einen Designer kaum sein: Ein neuer Golf darf nicht zu stark mit der Formensprache des Vorgängers brechen, ihm aber auch nicht zu ähnlich und deshalb langweilig sein. Er muss den Massengeschmack treffen und dennoch gestalterische Elemente bieten, an denen sich ein Betrachter reiben kann. De Silvas Einfluss ist schon 2008 zu erkennen, als die sechste Golf-Generation auf den Markt kommt: Der Bestseller ist nicht mehr so pummelig wie sein Vorgänger, die Leuchten werden schmaler. Das Design zeigt etwas mehr Pfiff, das Auto sieht moderner und attraktiver aus. Noch besser, sagen Fachleute, gelingt ihm der Job fünf Jahre später mit dem Golf VII.

VW Passat Variant (2014)

11 / 11
(Foto: Volkswagen AG)

Welchen Einfluss ein Einzelner selbst in einem Großkonzern wir Volkswagen haben kann, zeigt der im vergangenen Jahr vorgestellte Passat - und da besonders die Kombiversion. Denn wer genau hinschaut, erkennt beim 2014er Variant gestalterische Details, die in ähnlicher Form schon den Alfa 156 Sportwagon auszeichneten. Die schmalen Leuchten etwa. Oder die schmalen Seitenscheiben, die sich nach hinten annähern. Dafür gibt es inzwischen mehr Sicken und Charakterlinien im Blech. Und die hinteren Türöffner sitzen da, wo sie die meisten Autos haben. Aber ein Kombi von VW muss eben ein ganzes Stück praktischer sein als einer von Alfa. Und das gelingt: Der Kofferraum des aktuellen Passat Variant ist fast doppelt so groß wie der des 156ers. Der letztjährige Passat ist eines der letzten Autos, das unter der Verantwortung von Walter Maria de Silva entstand. Nun hat der Italiener seinen Rückzug aus dem Unternehmen bekanntgegeben - er geht in den Ruhestand, wie es heißt. Der Zeitpunkt, auf dem vorläufigen Höhepunkt des Dieselskandals, überrascht, weshalb über die Gründe trefflich spekuliert werden kann. Fest steht: Das Erbe, das de Silva hinterlässt, ist ein schweres.

© SZ.de/harl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: