VW Karmann Ghia:Käfer im Sonntagskleid

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Der VW Karmann Ghia, hier ein Exemplar von 1959, wurde auf der IAA 1955 vorgestellt. (Foto: Volkswagen AG)

Karmann Ghia - der Name steht für solide deutsche Technik im aufregenden italienischen Design. Vor 60 Jahren ging der Schönling in Serie und wurde zum Welterfolg. Dabei hätte es ihn beinahe nicht gegeben.

Von Christof Vieweg

Jungunternehmer begegnet Industriekapitän. Ambition trifft auf Autorität, Ehrgeiz auf Beharrlichkeit: So könnte man das Meeting beschreiben, das Ende 1952 in Wolfsburg stattfindet. Der 38-jährige Wilhelm Karmann, der soeben die Leitung der gleichnamigen Karosseriebaufirma in Osnabrück übernommen hatte, wird von Heinrich Nordhoff, dem mächtigen VW-Generaldirektor, empfangen. Die beiden kennen sich, denn Karmann produziert bereits seit 1949 die Cabrio-Version des viersitzigen VW Käfer, die sich inzwischen recht gut verkauft.

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Doch diesmal geht es um etwas anderes. Karmann hat eine neue Idee: Einen "schnittigen Volkswagen" will er bauen - ein kleines aber feines Sportcabrio mit zwei Sitzplätzen, eigenständigem Design und solider Käfer-Technik - inklusive des 30-PS-Motors. Das Problem: Ein solches Auto kann Karmann alleine nicht auf die Räder stellen; er braucht die Unterstützung von Volkswagen. Von Nordhoff.

Der VW-Chef besinnt sich eines Besseren

Geduldig hört der VW-Chef seinem Gast zu und es dauert lange, bis er endlich das Wort ergreift: "Aha, einen VW im Sonntagskleid wollen sie uns anbieten. Wer soll den denn kaufen?" Nein, auf ein solches Abenteuer werde sich VW nicht einlassen. Für einen zweiten Sonntags-VW bestehe schlichtweg kein Bedarf, spricht der Generaldirektor und verabschiedet sich. Ende der Besprechung.

Die beiden Väter des Karmann Ghia: Der italienische Designer Luigi Segre (li.) und Firmenchef Wilhelm Karmann bei der Präsentation des Coupés am 14. Juli 1955. (Foto: Karmann)

Sonntags-VW? Mit einem derart niederschmetternden Kommentar hatte Wilhelm Karmann nicht gerechnet. Er ist enttäuscht. Soll er seine Pläne aufgeben? Wenige Wochen später, am Rande des Genfer Automobilsalons, vertraut er sich seinem Freund Luigi Segre an, erzählt ihm von dem Treffen mit Nordhoff und seinen Ideen für ein neues Cabriolet. Segre ist Designer und Inhaber der Turiner Firma Ghia Carozzeria, einer der besten Adressen für Autos der besonderen Art. Er versteht das Gespräch als Auftrag und verspricht, Karmann zu helfen.

Coupé im schicken Italo-Design

Ein halbes Jahr später trifft man sich wieder. Diesmal in Paris. In der Privatgarage des französischen VW-Importeurs enthüllt Luigi Segre das Karosseriemodell eines Autos, das er sich mit seinem Team als Sonntags-VW ausgedacht hatte. Karmann ist sprachlos: Vor ihm steht kein offener Zweisitzer, wie er ihn eigentlich gewünscht hatte, sondern ein Coupé im schicken Italo-Design. Ein Auto mit sinnlichen Formen, weichen Rundungen und ausgewogenen Proportionen. "Warum nicht", stimmt er dem Vorschlag seines italienischen Freundes schließlich zu.

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Nur: Segre und Karmann wissen, dass sie es ohne den mächtigen VW-Chef nicht schaffen werden. Deshalb will man jetzt anders vorgehen als im letzten Jahr und Nordhoff mit einer anderen Taktik überzeugen. Feuereissen heißt der Mann, den sie dafür brauchen: Karl Feuereissen. Er ist Vertriebschef des Volkswagenwerks und gilt als enger Vertrauter Nordhoffs. Wenn Feuereissen zustimmt, wird auch der große Boss mitmachen, so der Plan Wilhelm Karmanns.

Tatsächlich ist der VW-Verkaufsleiter spontan begeistert und spricht in den folgenden Wochen in Wolfsburg immer wieder von dem Ghia-Entwurf, sodass eines Tages auch Heinrich Nordhoff neugierig wird und sich nach Osnabrück chauffieren lässt. Man schreibt den 16. November 1953: Es ist der Tag, an dem das erste eigenständige Karmann-Modell grünes Licht bekommt. "Wunderschön, aber natürlich viel zu teuer", sagt Nordhoff nach der Präsentation des Designmodells. Doch Karmann widerspricht: "Wie wollen Sie das wissen? Ich habe ja noch gar keinen Preis genannt." Dann legt er die Kalkulationen für das Coupé offen und erlebt eine Überraschung: Nordhoff nickt. Endlich. "Wir bauen das Auto", beschließt der VW-Boss und gibt den Osnabrückern weitgehend freie Hand. Der Deal: Karmann montiert das Coupé, Volkswagen liefert das Fahrgestell samt Motor und vertreibt es über sein Händlernetz.

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Es sei "grundsätzlich entschieden worden, dass die Form des hier befindlichen Ghia-Modells unverändert bleibt", fasst Wilhelm Karmann tags drauf die Ergebnisse des Gesprächs in einem Brief an Karl Feuereissen zusammen und nennt bei dieser Gelegenheit auch bereits den Namen des neuen Modells: VW Karmann-Ghia.

Jetzt gilt es, das Auto auf Kurs zu bringen. Während sich Wilhelm Karmann vor allem um geschäftliche und organisatorische Dinge kümmert und die Produktionsabläufe zwischen seiner Firma und Volkswagen plant, übernimmt Segre den stilistischen Feinschliff des Designmodells. Die ursprünglich vorgesehenen Doppelscheinwerfer weichen normalen Frontleuchten und im Heck fasst man Blinker, Rück- und Bremslicht in einem Gehäuse zusammen. Sitze und Instrumententafel werden ebenfalls überarbeitet.

Karmann kann sich kaum retten vor Bestellungen

So entsteht ein erster Prototyp, dessen Linienführung nun wie aus einem Guss erscheint. Ein paar Details wie die verchromten Zierelemente (Nasenlöcher) an der Frontpartie muss Segre noch hinzufügen, dann ist das Coupé fit für seinen ersten öffentlichen Auftritt. 14. Juli 1955: Im großen Saal des Kasinohotels von Georgsmarienhütte im Teutoburger Wald präsentiert sich das neue Modell erstmals der Presse.

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Die Überraschung ist groß: Vor den Journalisten steht ein eleganter Zweitürer in Gazellenbeige mit rot lackierten Felgen und hellbrauner Innenausstattung - ein Auto, das italienische Eleganz mit deutscher Technik verbindet. Wilhelm Karmann erläutert das Konzept des Wagens und erlebt, was bei Pressekonferenzen sonst eher unüblich ist: lautstarken Applaus.

Lieferzeiten von bis zu einem Jahr

Wenige Wochen später steht der Karmann-Ghia im Rampenlicht der Internationalen Automobil-Ausstellung und löst einen regelrechten Ansturm aus. Obwohl das Coupé mit 7500 D-Mark Grundpreis rund 3000 D-Mark teurer als der VW Käfer ist, kann sich Karmann vor Bestellungen kaum retten. Zwar arbeitet man in der Osnabrücker Autofabrik Tag und Nacht, doch trotzdem lassen sich Lieferzeiten von bis zu einem Jahr nicht vermeiden. Mitte 1956 produziert das Werk über 1000 Wagen pro Monat - so viele wie nie zuvor.

Das von Beginn an geplante Karmann Ghia Cabriolet folgt im Jahr 1957. (Foto: Volkswagen AG)

So machen die Firma Karmann und ihr Zweitürer Karriere. Im Herbst 1957 folgt dem Coupé das von Anfang an geplante Cabriolet, im Oktober 1958 eröffnet Karmann ein zweites Werk in Osnabrück , und im Februar 1959 feiert man die Fertigstellung des 50 000sten Autos.

Der Karmann-Ghia wird zum Longseller: Er bleibt 19 Jahre lang im VW-Programm. Als 1974 in Osnabrück das letzte Exemplar vom Montageband fährt und dem Scirocco Platz macht, kann Karmann eine stolze Bilanz vorweisen: Seit 1955 hatte man insgesamt 362 585 Coupés und 80 881 Cabriolets hergestellt.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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