VW: Neustart in den USA:Eine lange und kurvige Strecke

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Mit einem Billig-Passat und einem neuen Werk will Volkswagen den US-Markt erobern. Anders ist das Ziel, größter Autohersteller der Welt zu werden, nicht zu schaffen.

Th. Fromm

Mit langen Strecken hat Jonathan Browning seine Erfahrungen. Als er im Sommer von Nordschottland nach Südengland radelte, war das für den 51-Jährigen ein wichtiger Test. Und als er vor einiger Zeit beim Marathon in Chicago mitlief, war das wohl eine Grenzerfahrung. Jedenfalls sagt der Engländer heute, er habe "es ans Ziel geschafft, noch bevor sie die Strecke wieder dicht gemacht" hätten.

Einst war Volkswagen für die Amerikaner eine vertraute Größe: Hollywood machte den Käfer sogar zum Hauptdarsteller. In der Komödie "Ein toller Käfer" verhilft der wundersame Wagen namens Herbie einem erfolglosen Rennfahrer zu einem Rendezvous und einigen sportlichen Siegen. Zu diesem alten Glanz soll US-Chef Jonathan Browning die Marke VW nun zurückführen. (Foto: Disney/Cinetext)

Humor hat er, der neue USA-Chef des Volkswagen-Konzerns. Und er wird in seinem neuen Job beides brauchen - ein bisschen Humor, vor allem aber Ausdauer. Denn die Strecke, die vor ihm liegt, ist lang.

Das, was ihm die Wolfsburger Konzernführung ins Fahrtenheft geschrieben hat, geht nicht von allein. Browning soll den Absatz der VW-Gruppe von heute 360.000 bis 2018 auf eine Million Fahrzeuge steigern - 800.000 Wagen der Marke VW und 200.000 Audis.

Von Washington aus muss er einen Markt aufrollen, auf dem die amerikanischen Konkurrenten General Motors, Ford und Chrysler, aber immer öfter auch Asiaten wie Toyota, Honda, Nissan und Hyundai den Ton angeben. Helfen sollen der neue Jetta, demnächst auch die eigens für den US-Markt entwickelte Mittelklasselimousine "New Midsize Sedan", ein abgespeckter Passat, der von diesem Jahr an im neuen Werk in Chattanooga im Süden des Landes gefertigt werden soll.

Das Kalkül der Konzernstrategen ist einfach: Wer der Konkurrenz aus Amerika und Asien das Leben schwer machen will, braucht größere, aber günstige Modelle.

Der Discount-Passat kommt ohne Schnickschnack aus - kaum Elektronik, eine ältere Technik, weniger Ausstattung. Aber: Er ist fast fünf Meter lang, zwei Meter breit - und dürfte schon aufgrund seiner Größe den Amerikanern gefallen. 150.000 davon will VW zunächst im Jahr verkaufen.

VW Jetta neu
:Bühne frei

Aufmerksamkeit muss sein: VW sperrte kurzerhand den Times Square in New York, ließ den US-Star Katy Perry auftreten - und präsentierte den neuen VW Jetta.

Der Billig-Passat gilt also schon jetzt als Schicksalsauto der Deutschen in den USA. Da er zu 90 Prozent mit Teilen aus dem Dollarraum gebaut und im Staat Tennessee zusammengeschraubt wird, muss der Konzern keine Währungsnachteile befürchten. Und: Er kostet mit 20.000 Dollar nur halb so viel wie der Passat.

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:Team America

Deutsche Autobauer atmen auf und feiern: Die mageren Jahre scheinen vorbei. Daimler präsentiert die stark geliftete C-Klasse, BMW den 6er. VW baut sogar ein eigenes US-Modell namens Passat - und das kostet soviel wie ein Golf in Deutschland.

"Volkswagen at home in America" ist der Slogan, mit dem die Deutschen die US-Kunden nun an sich binden wollen. Die Konzernstrategen haben eine Milliarde Dollar in die Hand genommen, um das neue Werk in Chattanooga hochzuziehen. Was Toyota in den vergangenen Jahren gelang, das wollen auch sie schaffen. "Wir wollen in den USA wieder als starke Marke wahrgenommen werden", so Browning.

Ein Selbstläufer wird das nicht. Ein amerikanischer Journalist stellt die Frage, auf die auch die VW-Manager gerne eine Antwort wüssten: "Warum werden Sie in Europa heute als Qualitäts-Ikone wahrgenommen; in den USA dagegen aber als - entschuldigen Sie meine Direktheit - Trash?" Browning sagt: "Die Dinge ändern sich." Er hätte auch sagen können: Sie müssen sich ändern.

VW braucht den Erfolg in Amerika. Dringend. Bis 2018 wollen die Wolfsburger Toyota als größten Autohersteller der Welt ablösen. Ein Ziel, das nur über den Umweg der USA zu erreichen ist. Denn auf allen wichtigen Weltmärkten ist der Konzern groß vertreten, nur in den USA ist der größte Hersteller Europas ein Nischenproduzent, der sich neuerdings sogar vor Hyundai fürchten muss. Erst in diesen Tagen musste VW-Chef Martin Winterkorn in einem internen Rundschreiben einräumen, dass man in einigen Teilen der Welt bereits vom Jäger zum Gejagten geworden ist.

"2011 wird für VW in den USA das wichtigste Jahr überhaupt", sagt Browning. Der Radfahrer aus England soll es von einem Vorort der Hauptstadt Washington aus richten. Sein modernes Büro liegt an einer kleinen Straße, die Ferdinand-Porsche-Drive heißt. Eine Gegend mit schmucken Villen, in der die obere Mittelschicht des Landes lebt.

Eine Gegend, die schon optisch weit entfernt ist von der alten, heruntergekommenen Auto- und Industriemetropole Detroit. Die Stadt, wo noch immer ganze Fabrikgelände seit Jahrzehnten brach liegen, wo die "Big Three" GM, Ford und Chrysler allmählich wieder auf die Beine kommen. Detroit, das ist das alte Autozentrum. VW aber zieht es vor, weit weg zu sein. Die Deutschen greifen lieber von der Hauptstadt aus an.

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:Ohne Risiko

Eine Überraschung sieht anders aus: Der neue Passat ist bis auf optische Retuschen ganz der alte. Technisch hat sich mehr getan: So öffnet sich beim Variant die Heckklappe auch nach einem gezielten Fußtritt.

Erste Bilder, erste Fakten.

Vor 80 Jahren dagegen musste es noch Detroit sein. Als der VW-Konstrukteur Ferdinand Porsche 1930 wissen wollte, wie moderne Autofabriken aussehen, fuhr er nach Detroit. Wohin sonst? Es war das Mekka des Autobaus.

VW und die USA, fortan war das eine wechselhafte Geschichte. Es fing gut an, damals im Juli 1950, als in New York die ersten VW-Käfer verkauft wurden. Im Laufe der Jahre wurden die "Beetles" zum Kult, und für einen kurzen Moment lang wurde der Hersteller aus Niedersachsen sogar Teil der amerikanischen Alternativkultur. Beatniks liebten Käfer; Hippies fuhren VW-Bus.

1970 verkaufte der Konzern etwa 570.000 Autos in den USA. Ein Rekord. Und ein Marktanteil von sieben Prozent. Zum Vergleich: Heute dümpelt man in Amerika bei einem Marktanteil von unter drei Prozent herum. Vom Erfolg angespornt, begann man in den siebziger Jahren, seine Autos in den USA zusammenzuschrauben.

Bis zum Sommer 1988, als der Absatz nicht einmal mehr reichte, um eine Schicht im damaligen Werk im US-Bundesstaat Pennsylvania auszulasten. Die Verluste stiegen - und VW zog sich nach zehn Jahren wieder mit seiner Produktion aus Amerika zurück. Bis jetzt.

"Die Unterstützung durch das Management ist heute anders als damals", sagt Jonathan Browning. Er will zurück, mindestens bis ins Jahr 1970. Und er weiß: Dieser Langstreckenlauf wird in Wolfsburg genau beobachtet.

© SZ vom 10.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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