Süddeutsche Zeitung

Volkswagen zeigt ID3:Im Büßergewand und mit neuem Auto

VW-Chef Herbert Diess verteidigt seine Elektro-Strategie gegen die Feigenblatt-Kritik von Aktivisten. Jetzt muss sein ID3 zeigen, ob er zum "Volksstromer" taugt.

Von Christina Kunkel

VW-Chef Herbert Diess muss weiter. Seinen "Volksstromer" vorstellen, das erste Mal ohne Tarnanzug. Er wird dabei sagen: "Das Auto hat eine große Zukunft. Auch wenn einige das mit ihrer Weltsicht nicht wahrhaben wollen." Wen er damit meint, ist kein Geheimnis: Zwei Stunden zuvor hatte der Autoboss mit Tina Velo diskutiert, Sprecherin der Bewegung "Sand im Getriebe". Die Aktivisten wollen am nächsten Sonntag die Messeeingänge zur IAA blockieren. Initiiert hatte das Streitgespräch die taz, Umweltredakteur Malte Kreutzfeldt moderierte.

Doch jetzt geht es erst einmal um das Auto, das laut Diess "die Elektromobilität aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft" bringen soll. Der ID3 hat das Format eines Golf, aber ein futuristisches Design, ist innen geräumig wie ein Passat und beschleunigt wie ein GTI. Ab 30 000 Euro, mit Förderung günstiger, damit sei man auf dem Niveau eines konventionellen Verbrenners, sagt VW.

Ab Herbst wird im Werk Zwickau produziert, ab dem Frühjahr ausgeliefert, alle 30 000 Fahrzeuge der "First Edition" sind schon reserviert. Wer jetzt bestellt, kommt erstmal auf die Warteliste. Es ist der erste große Aufschlag von VW im E-Auto-Segment. Und mit Reichweiten bis zu 550 Kilometern bei einer kompakten Größe könnte der ID vielleicht tatsächlich das erste Fahrzeug werden, das Teslas Model 3 weh tut. Geladen werden kann mit bis zu 100 kW - keine Revolution, vor allem im Vergleich zu Tesla, aber für viele Kunden wohl dennoch ausreichend.

Und weil das Image so wichtig ist in diesen Tagen, vor allem beim vom Dieselskandal gebeutelten VW-Konzern, zeigen die Wolfsburger auch gleich einen neuen Markenauftritt. Was dem normalen Kunden wahrscheinlich kaum auffällt, ist das neue VW-Logo. Ein bisschen schnörkelloser kommt es daher, nur noch zweidimensional. Für VW ein Statement: Künftig soll der "Mensch in den Vordergrund rücken", heißt es. Ein Soundlogo gibt es jetzt auch - gesprochen von einer Frauenstimme. Auch das ist neu: Volkswagen soll weiblicher werden.

Am späten Nachmittag dauert es ein bisschen, bis Herbert Diess sich in der Diskussion mit Aktivisten-Sprecherin Tina Velo warmgeredet hat. Immer wieder schaut der VW-Chef nach unten, knetet die Hände, mustert seine Gesprächspartnerin nur sporadisch. Er nickt verständnisvoll, als Velo von Greenwashing, Profitgier und Betrug spricht. Und dass VW weiter Klimakiller verkaufen will. Erst als es darum geht, ob das Elektroauto mehr ist als nur ein Feigenblatt, kommt Diess in Fahrt. "Da haben Sie Unrecht. Wir haben die Zeichen der Zeit verstanden", kontert der VW-Mann.

Zwei Visionen, die nicht ganz zusammenpassen

Aber er gibt auch zu, dass man bisher von den konventionellen Antrieben lebe. Die ganzen Konzepte, die es schon einmal gegeben habe: Drei-Liter-Lupo, Ein-Liter-Auto? Wollten die Kunden leider nicht. Dass es keinen Konsens geben würde zwischen der Sand-im-Getriebe-Sprecherin, die Autos so weit wie möglich zurückdrängen möchte und dem Konzern-Chef, der weiter Autos verkaufen will, ist nicht überraschend. Deshalb ist die Veranstaltung auch eher ein paralleles Schaulaufen. Die Aktivisten haben ihren offiziellen Auftritt, und der VW-Manager kann sich geläutert geben im Dieselskandal.

Dabei rückt Diess erwartungsgemäß nicht von seinen bekannten Positionen ab. Weniger Autos? "In Deutschland vielleicht ja, weltweit nein." Wie VDA-Präsident Bernd Mattes sieht er das Auto als Zeichen von "Wohlstand und Freiheit". Und wenn Tina Velo mehrfach betont, dass es jetzt aufgrund der Klimakrise und vielen Verkehrstoten doch nur darum gehen kann, Menschen weg vom Auto und hin zu öffentlichem Nahverkehr und Fahrrad zu bringen, kontert Diess, dass die Zahl der Verkehrstoten vor 30 Jahren noch um ein Vielfaches höher war - trotz viel weniger Autos.

Sind die Zukunft also Menschen in selbstfahrenden, sicheren Elektroautos? Oder autofreie Städte mit ein paar Elektrobussen, vielen Fahrrädern und mit Parks statt Parkplätzen? Diese zwei Visionen passen auch nach der Diskussion zwischen dem Autoboss und der Klimaaktivistin nicht zusammen. Aber zumindest spricht man miteinander.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2019/dit
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