Sagt der eine: "Dieser Jet ist der Wahnsinn." Sagt der andere: "Du hast das Auto noch nicht gesehen." Wenn man überlegt, wann man zum letzten Mal ein Auto gesehen hat, das nicht wie eine unglückliche Liaison aus Saurier und gepanzertem Kita-Shuttle daherdieselt, sondern wie eine futuristische Verheißung elegant nach Utopia surrt, dann landet man in der Vergangenheit. In der Fiktion.
Nämlich beim vierten Teil der "Mission-Impossible"-Reihe mit Tom Cruise. Aus diesem Film stammt der Jet-Auto-Dialog. Zu sehen ist in "Phantom Protokoll" der i8 von BMW, damals noch Concept Car, später Plug-in-Hybrid, der in den Gassen von Mumbai mit smarter Technologie und betörend skulpturaler Ästhetik dabei hilft, die Welt zu retten. Und zu hören ist genau das - der aufregende Ssssssssst-Sound eines Jets von morgen. Der Jet ist cool? "Du hast", sagt Agent Hunt alias Cruise, "das Auto noch nicht gesehen." Nie zeigte sich die Elektromobilität so fortschrittsherrlich wie in diesem Mumbai-Moment. Fortschritt und Zukunft als gesellschaftliche Sehnsuchtsversprechen in einem sagenhaften Blechkleid auf vier Rädern - das ist jetzt allerdings auch schon wieder ein Jahrzehnt her. Man fragt sich: Was ist aus diesem Utopismus geworden?
Elektroauto im Alltagstest:Wer nicht wagt, der nicht lädt
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Die Branche hat keine Lust mehr auf Erkundungen, die Kundschaft allerdings auch nicht
Wenn demnächst der schon lange versprochene ID.3 (von Volkswagen, nicht von BMW) ausgeliefert wird, endlich, also nach Pannen und Verzögerungen, und zwar in einer Simpelversion wegen peinlicher Software-Ungereimtheiten, dann muss man angesichts der sich hier materialisierenden Zukunft bitter enttäuscht zur Kenntnis nehmen: Selten zuvor sah die Zukunft so wenig nach Zukunft aus. Was einem da entgegenfährt ist so futuristisch wie ein schon lange vergessenes Mayonnaiseglas im Kühlschrank. Der Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum erschüttert.
Da sollen stromgetriebene Autos dank staatlicher Anschubfinanzierung in den Markt gepresst werden. Doch ist es fraglich, ob Autos in Form elektrifizierter Erwartbarkeit auch das Potenzial haben, jenseits der an sich schon befremdlichen Marktlenkung zu euphorisieren. Autos wurden einmal ihrer Technik und Ästhetik wegen (von Roland Barthes) mit gotischen Kathedralen verglichen. Der ID.3 erinnert woran? An den Golf. Das Auto ist äußerlich ein Fanal der Banalität. Der ID.3 - über den technisch auch viel Gutes zu sagen ist - sieht also verblüffenderweise genau so aus, wie sich das Paolo Tumminelli vor ebenfalls fast einem Jahrzehnt auf dem Kongress "Stadt der Zukunft" in zutiefst pessimistischer Weise vorgestellt hat.
Damals, 2012 in Wien, das Phantomprotokoll hatte das europäische Kino erreicht, präsentierte der Architekt Tumminelli, der früher auch für Alfa Romeo arbeitete und inzwischen an der International School of Design in Köln lehrt, in seiner Keynote zum Thema "Ist das Auto der Zukunft noch ein Auto?" ein Bild von einem Golf. Eigentlich: ein Bild von sieben Golf-Generationen, die sich immer nur graduell unterscheiden und dabei im Grunde nur größer werden. Dann sagte er, die Stimme zu einem Raunen dimmend, er könne nun "mit Gewissheit" vorhersagen, wie das "Auto der Zukunft" aussehen werde.
Nächstes Bild: Darauf ist exakt der gleiche Golf zu sehen, der allerdings so aussieht, als hätten ihn die Walzen einer Waschstraße in die Mangel genommen. Länger, breiter, muskulöser - und ausgestattet "mit 20 Airbags, 30-Zoll-Reifen und 21 Gängen". Was der Experte für Autodesign nicht nur Volkswagen, sondern der Automobilbranche insgesamt auf sarkastische Weise an fahrlässiger Geistesträgheit vorwarf, konnte in das Publikumsgelächter hinein kaum ätzender geraten. Und kaum berechtigter. Wenn der ID.3 nun auf absonderliche Weise nicht aus der Zukunft, sondern aus der Golf-Historie stammt, wenn er also nicht euphorisiert durch seine Anmutung, sondern im Gegenteil langweilt durch seinen ostentativ ausgestellten Mangel an formaler Ambition und Gestaltkraft, dann muss man sagen: Paolo Tumminellis Ahnung ist wahr geworden. Gerade jetzt, da über den Schub der Elektrifizierung die Automobilität von der Freude auf die Zukunft erzählen müsste, um dazu einzuladen, um einen Sog zu entfalten, sind die Vehikel visionsloser als je zuvor. Dagegen war der Käfer ein Spektakel an experimenteller Kühnheit.
Man sollte die Show nicht dem Kino und den Oldtimern überlassen
Paolo Tumminelli weist auf die große Gestaltungsfreiheit hin, von der die Branche, wenn es nicht um Gewicht und Größe der Autos geht, rätselhafterweise kaum mehr Gebrauch macht. "Fahrzeuge müssen" laut Zulassungsordnung "so gebaut und ausgerüstet sein, dass ihr verkehrsüblicher Betrieb niemanden schädigt (...)" Das ist alles. Vor allem: Eine neue Technologie, wie sie in den Stromern verbaut wird, es ist eine ganz andere Motoren- und Komponentenarchitektur, müsste ja auch die Form radikal erneuern. Doch "betrachtet man Tesla & Co. von heute, befinden wir uns noch ganz am Anfang der Entwicklung". Es ist, sagt Paolo Tumminelli, "als ob man das Handy in Form eines normalen Telefongeräts gestalten würde". Nur ohne Schnur. Man erinnert sich: Das iPhone hat nicht nur Technologie-, sondern auch Design- und Kulturgeschichte geschrieben.
Wenn man vom keineswegs massentauglichen i8 absieht, ist es eigentlich nur der alte i3 von BMW, der ansatzweise erkennen lässt, dass er seine neue Technologie auch in einem neuen Gehäuse wohnen lässt. Aber auch hier sind die Absatzzahlen - nicht allein natürlich aus ästhetischen, sondern strukturellen Gründen - so ernüchternd, dass man die Verzagtheit der Branche begreifen kann als Reaktion auf das Kundenverhalten. Der A 2 von Audi, ein genial unkonventioneller Minivan in Leichtbauweise (1999), floppte. Ähnlich erging es der raumerfinderischen ersten A-Klasse von Mercedes oder auch dem Smart. Das Verhalten der Branche, die jetzt keine Lust mehr auf Erkundungen hat, hängt mit dem retrospektiven Kundenverhalten davor zusammen. Etliche Milliarden Euro wurden bei den Versuchen verbrannt, die Mobilität von morgen nicht wie das Fahren von gestern aussehen zu lassen.
Das alles erinnert fatal an Otto Julius Bierbaum, der schon 1903 schrieb: "Die Ästhetik des Automobils steckt noch im Anfangsstadium. Man kann sagen: Seine Schönheit leidet augenblicklich darunter, dass seine Konstrukteure noch nicht völlig das Pferd vergessen haben - nämlich das Pferd vor dem Wagen." Tatsächlich waren die ersten Autos den Pferdekutschen nachempfunden. Eine eigenständigere Ästhetik hätte das Publikum überfordert. So ist es auch heute mit dem E-Design. Obwohl die Gestalter durch die technologischen Neuerungen enorme Möglichkeiten haben, werden diese kaum genutzt. Auch abseits von Deutschland gilt: Die Stromer sehen meist aus wie Verbrenner. Und die Verbrenner sehen sich allesamt ähnlich.
Nicht viel Platz für Revolution
In der Designgeschichte des Automobils, das eine grandiose Erfindung bleibt, waren neue Techniken immer Katalysatoren für neue Formen. Hans-Ulrich von Mende, Architekt und Autodesign-Historiker, erklärt: "Aus Lenkhebeln wurden Lenkräder, aus Kutschenrädern luftbereifte Räder, aus Karbidlampen elektrische Scheinwerfer." Anders als Paolo Tumminelli sieht er den Mangel an Differenz zwischen Verbrennern und Stromern gelassen. "Der Mensch zwischen vier Reifen ist der Maßstab - da ist nicht viel Platz für eine Revolution. Ich wäre schon froh, wenn die Designer aufhörten mit ihren modischen Blechfaltereien. Die neuen Stromer sollten schlichter werden." Da trifft er sich mit Paolo Tumminelli, der privat einen alten Fiat Panda fährt und von einer Zukunft träumt, da Autos nicht mehr wie Autos aussehen. Sondern wie dienstbare Technik, die uns elegant in ein besseres Leben chauffiert.
Der deutschen Autobranche drückt man übrigens in der gewaltigen Krise die Daumen. Aber vielleicht sollte sie das, was Gestalter und Konstrukteure längst können, auch auf die Straße schicken. "Du hast das Auto noch nicht gesehen" - diesen wunderbaren Satz darf man nicht dem Kino und den Oldtimern überlassen. Gerade elektrifizierte Autos sollten uns auch ihrer Gestalt nach elektrisieren.