Man sieht die Bilder und denkt sich: Oh je, wieder nur so ein abgehobenes Show-Car ohne Bezug zur Realität. Viele werden sich das empfunden haben, als Volkswagen den I.D. im Oktober 2016 vorstellte. Doch inzwischen steht fest, dass der Konzern dieses Ding bauen wird, und zwar fast genauso, wie es die Studie vorwegnimmt.
Warum plötzlich so mutig? "Weil Elektromobilität gesetzt ist, und weil wir mit einem Volumenmodell von Anfang an mitmischen wollen", antwortet VW-Markenchef Herbert Diess. "Die Anlaufkosten sind über Stückzahlen und Skalierbarkeit in den Griff zu bekommen", verspricht zudem Christian Senger, Leiter der E-Baureihe. Und Entwicklungsvorstand Frank Welsch ergänzt: "Der I.D. beweist, dass ein Elektroauto kein Verzichtauto sein muss."
Genfer Autosalon 2017:Der VW Arteon ist ein Vertreterauto mit Hüftschwung
Auf der Automesse in Genf zeigt Volkswagen ein schickes Coupé, das offiziell keines sein darf. Der Arteon löst wohldosierte Neidgefühle aus - und bietet erstaunlich viel Nutzwert.
Die Probe aufs Exempel, eine kurze Testrunde in Portugal - fällt durchaus beeindruckend aus. Vorne viel Beinfreiheit im komplett barrierefreien Fußraum, hinten trotzdem genug Platz für eine entspannte Langstreckenfahrt. Man sitzt etwas höher auf einem formatfüllenden Akkupaket, ganz ohne störenden Getriebetunnel und den typischen Armaturentafel-Monolith. Das Interieur ist geräumig, minimalistisch und hell, die weichen Oberflächen fühlen sich gut an, die vier bequemen Sitze sind elektrisch verstellbar, und Schulter- sowie Kopffreiheit stellen selbst Großgewachsene vor keinerlei Probleme.
Erst auf den zweiten Blick offenbart sich die Innovation im Detail: Die Mittelkonsole mit dem später integrierten Touchpad lässt sich zentimetergenau der Armlänge des Fahrers anpassen, das Head-up-Display holt per "Augmented Reality" den Co-Piloten ins Cockpit, die vier ins Dach integrierten Laserscanner schaffen gemeinsam mit diversen Kameras und Sensoren den Grundstein für autonomes Fahren, das freilich frühestens im Jahr 2025 verfügbar sein dürfte. Blaue Lichtakzente tun kund, dass sich der I.D. im Selbstfahrmodus vorwärts bewegt.
Kommuniziert wird per Spracheingabe
Die äußere Form soll sich nur in Details von der Studie unterscheiden. Die mit großer Geste gegenläufig öffnenden Türen sind in der Golf-Klasse allerdings nicht bezahlbar, die fehlenden Ablagemöglichkeiten werden nachgereicht. Das versenkbare Lenkrad ist einer späteren Ausbaustufe vorbehalten, auch die beiden Bildschirme werden immer wieder dem Stand der Technik angepasst. Von oberster Instanz abgesegnet wurden die großen Räder, das markante LED-Licht vorne und hinten, die updatefähige Bordelektronik, die Null-Knopf-Bedienphilosophie sowie das Antriebsmodul des Elektro-Baukastens mit Unterflur-Batteriepaket und Heckmotor.
Wer hinter dem weißen Zweispeichen-Lenkrad Platz nimmt hat die einzige Kommandozentrale vor sich, wenn man einmal von der Klimaregulierung in den Türtafeln absieht. Kommuniziert wird primär per Spracheingabe und nur zur Not über die sechs Cursortasten in den Lenkradspeichen. Es gibt keine Knöpfe, Regler, Schalter. Um das autonome Fahrprogramm aufzurufen, wird später einmal ein kurzes Antippen des VW-Logos genügen. Selbst das Getriebe wird mit dem Zeigefinger über die Buchstabenkette P R N D im Lenkradkranz befehligt.
Einmal D drücken, aber bitte nicht zu viel Gas geben, denn das Drehmoment kommt ohne Verzug zur Sache, summend und surrend und flüsterleise. Im Rückwärtsgang ist das Tempo auf 25 Stundenkilometer beschränkt, doch in die andere Richtung steuert der VW der Zukunft zügig. Der für 2021 angedachte E-GTi mit zwei Motoren und einer Systemleistung von 275 Kilowatt soll in fünf Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer sprinten und mit vollem Akku etwa 450 Kilometer weit kommen. Das Allrad-Topmodell wird freilich genauso bei Tempo 160 eingebremst wie das Grundmodell mit der 125 oder 150 Kilowatt starken E-Maschine sowie 83 Kilowattstunden Batterieleistung und 500 Kilometer Reichweite.
Auf den Hochschalt-Kick kann man lange warten, denn zunächst kommt ausschließlich eine stufenlose Automatik zum Einsatz. Keine Chance auf einen Serieneinsatz haben die aus heutiger Sicht nicht zulassungsfähigen Außenspiegel-Kameras; hinter den beleuchteten VW-Logos steht ein Fragezeichen. Zu Lenkung und Bremse (mit Rekuperationseffekt) lassen sich noch keine verbindlichen Aussagen treffen.
Der I.D. versteht auch Schwaben und Stotterer
"Licht ist das neue Chrom", meint die I.D.-Produktreferentin Christine Leuderalbert. "Es setzt Design-Akzente und sendet Botschaften." So soll der I.D. zum Beispiel über eine grüne LED-Sequenz im Scheinwerfer signalisieren, dass Fußgänger gefahrlos die Fahrbahn queren können. Die dazu notwendige künstliche Intelligenz will VW drahtlos regelmäßig auf den neuesten Stand bringen. System-Updates gibt es unentgeltlich, Zusatzfunktionen wie innovative Assistenzsysteme (unter anderem Einpark-Automatik inklusive Stellplatzsuche, nächsthöhere Stufe des autonomen Fahrens, Ampelassistent, Karte mit höherer Auflösung, erweiterte Situationserkennung) kosten extra.
Der Stromer beherrscht als erster Volkswagen die naht- und drahtlose Vernetzung von Auto, Nutzer und Umfeld. Statt als Geste oder per Touch-Eingabe werden Befehle in Umgangssprache übermittelt. Nach einer kurzen Lernphase versteht das Fahrzeug den Fahrer (selbst wenn er schwäbelt oder stottert) und kann ihn zuverlässig warnen oder seine Wünsche erfüllen. So wie unser weißer Null-Emissions-Gleiter mit den blauen Haute-Couture-Reifen das tut, als er nach einem halben Tag Hin-und-Her-Fahren plötzlich Heißhunger auf Strom verspürt. "Bitte Reichweite beachten! 30 Minuten Nachladen erhöhen die Batteriekapazität auf 80 Prozent. Die Suche nach der nächsten freien Ladesäule läuft." Und läuft. Und läuft. Weil die Infrastruktur leider nicht nur in Portugal noch in den Kinderschuhen steckt.