Es begann mit gefälschten Zahlen bei einem Autopreis. Der ehemalige Kommunikationschef des ADAC, Michael Ramstetter, hat die Teilnehmerzahlen bei der Abstimmung zum "Lieblingsauto der Deutschen" geschönt - und noch einige andere Ergebnisse für die Verleihung des "Gelber Engel"-Preises manipuliert. Eigentlich eine Lappalie, aber doch Auslöser für die größte Krise des Autoclubs in seiner langen Geschichte.
In den folgenden Wochen und Monaten wurde die Liste der Verfehlungen immer länger: ADAC-Führungskräfte flogen im Rettungshubschrauber zu Terminen, es gab ein fragwürdiges Prämiensystem beim Verkauf von Autobatterien, die Methodik der Pannenstatistik warf Fragen auf, auch bei den Reifentests soll nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Schließlich stellte sich gar heraus, dass die eigenen Mitglieder offenbar auf einen Pannenhelfer warten mussten, wenn ein "Gelber Engel" gleichzeitig einen Assistance-Kunden wieder flottkriegen musste. Und als sei das alles noch nicht genug, stehen die undurchsichtigen Verflechtungen von Verein und profitorientierten Unternehmen auf dem Prüfstand.
Vor der ADAC-Hauptversammlung:Skandale kosten ADAC 290 000 Mitglieder
Der ADAC will seinen Vereinsstatus behalten und deshalb die Interessen seiner Mitglieder wieder in den Fokus rücken. Die sind dem Autoclub nach den Skandalen zwar in Scharen davongelaufen, dennoch bleibt die Mitgliederzahl überraschend hoch.
Nicht jeder will Reformen
Je länger die ADAC-Mängelliste wurde, umso kleinlauter wurden die ehemaligen Protagonisten Peter Meyer und Karl Obermair. Alsbald beschworen sie einen Reformprozess, dessen Leitung man ihnen jedoch nicht zutraute. Präsident und Geschäftsführer mussten gehen, und so fällt dem Interimspräsidenten August Markl die undankbare Aufgabe zu, den ADAC zu erneuern. Im Wissen um die Schwierigkeit dieser Aufgabe holte er sich externe Berater ins Boot. So sitzt die Antikorruptionsexpertin Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International Deutschland, nun im Beirat, einem im Zuge der Krise neugeschaffenen Gremium.
Die Schwierigkeit des Unterfangens liegt nicht nur in der schieren Größe des Autoclubs und seinen schwer zu durchschauenden Strukturen begründet, sondern auch an Personen in den Führungsgremien des ADAC. "Es gibt Kräfte im ADAC, die die notwendige Reform aufrichtig wollen", sagt Edda Müller im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Die brauchen Unterstützung, denn es gibt auch eine Gegenbewegung, zum Beispiel in den Regionalclubs. Da sagen manche: Der Sturm ist vorbei, die Medien werden weiterziehen, also lasst uns weitermachen wie bisher."
Weichenstellung in Saarbrücken
Wie groß der Reformwille innerhalb des ADAC tatsächlich ist, wird sich auf der am Wochenende in Saarbrücken stattfindenden Hauptversammlung zeigen. "Ich hoffe, dass die von den Verantwortlichen in der Zentrale formulierten Reformziele volle Unterstützung finden", sagt Edda Müller, die das bisher Erreichte jedoch kritisch sieht: "Ich bin noch nicht zufrieden damit, wie intransparent der ADAC mit seinen Vermögensverhältnissen umgeht."
Hier ist Interimspräsident August Markl gefragt. Der hat in einem Zeit-Interview Sätze gesagt, die den immer noch knapp 19 Millionen Mitgliedern gefallen dürften. "Künftig sollen Mitgliederinteressen wieder vor kommerziellen Interessen kommen", ist einer dieser Sätze, die nun mit Leben gefüllt werden müssen. Einige Geschäftsbereiche stehen aktuell infrage, zum Beispiel das Engagement im Fernbusmarkt. Zudem hofft Markl, am Vereinsstatus festhalten zu können: "Wir sind seit 111 Jahren ein Verein und möchten es bleiben."
Der Vereinsstatus ist in Gefahr
Das Registergericht München prüft derzeit, ob der ADAC weiterhin als Verein auftreten darf. Für den Autoclub ist diese Entscheidung existenziell, denn mit dem Vereinsstatus stehen Steuerprivilegien auf dem Spiel. Laut Edda Müller muss er sich aber in jedem Falle über seine Identität im Klaren sein: "Der ADAC muss klären, was er sein will. Will er ein profitorientierter Wirtschaftskonzern sein, oder will er in erster Linie ein Verein sein, der für seine Mitglieder da ist? Beides zur gleichen Zeit kann er nicht sein." Deshalb sei eine klare Trennung einiger Bereiche nötig "Der ADAC wird nicht in denselben Bereichen Geschäfte machen können, in denen er als Tester auftritt. Bereiche wie die Pannenhilfe und der Verbraucherschutz müssen von Wirtschaftsinteressen freigehalten werden."
Eine weitere mögliche Folge der Erneuerung könnte ein wesentlich leiserer ADAC sein, einer, der nicht bei jedem verkehrspolitischen Thema immer im Namen seiner 19 Millionen Mitglieder lauthals Forderungen stellt - die gar nicht unbedingt den Vorstellungen seiner Mitglieder entsprechen müssen. Edda Müller ist da jedenfalls skeptisch, die Idee, dass der ADAC für 19 Millionen Deutsche spreche, sei "natürlich Quatsch". Sie sagt: "Dieser Anspruch kann und konnte nie erfüllt werden, da muss man zurückschrauben. Was die öffentliche Interessenvertretung angeht, sollte der Verein sich eine wesentliche größere Zurückhaltung auferlegen, als das in der Vergangenheit der Fall war."
Präsident gesucht
Bleibt die Frage, wer den ADAC zukünftig führen soll. Ursprünglich sollte auf der Hauptversammlung ein neuer Präsident gewählt werden, doch dazu wird es nicht kommen. "Bisher konnten wir leider keinen geeigneten Kandidaten finden", sagt August Markl. Erst solle der von ihm begleitete Reformprozess abgeschlossen sein, bevor eine neue Spitze gewählt wird. Er selbst hege aber keine Ambitionen auf eine weitere Besetzung dieses Postens.
Edda Müller ist sich der Komplexität dieser Situation bewusst: "Das ist eine spannende Aufgabe, auch weil diese Reform extrem schwierig sein wird", sagt die ehemalige Umweltministerin von Schleswig-Holstein. Doch es gibt positive Anzeichen, dass der ADAC seine Probleme bewältigen wird. Jürgen Heraeus, Chef von Unicef Deutschland und Sprecher des ADAC-Beirats, sieht laut der Nachrichtenagentur dpa die klare Bereitschaft, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Zwar sei es ein gewaltiges Vorhaben, einen Verein mit fast 19 Millionen Mitgliedern und 8900 Beschäftigten neu auszurichten. Trotzdem hat der Krisenmanager Hoffnung, dass der Reformprozess Früchte trägt. "Wenn der ADAC die nächsten sieben Monate intensiv nutzt - und danach sieht es zurzeit aus -, dürften Ende des Jahres sichtbare Ergebnisse vorliegen", sagt Heraeus.