Vom Kautschuk zum Gummi:Ein zähes Geschäft

Vor 150 Jahren starb Charles Nelson Goodyear, der das Vulkanisieren von Naturkautschuk entdeckte und so den Reifen von heute überhaupt erst möglich machte.

Klaus C. Koch

Zugegeben: Das Rad selbst wurde schon vor mehr als 6000 Jahren in Mesopotamien und später an diversen Orten nochmals von Neuem erfunden. Aber auch nach der revolutionären Entdeckung, die dem Menschen den Transport schwerer Lasten erlaubte, ging es noch lange hart zur Sache - die runden Räder waren entweder voll und ganz aus Metall oder aber aus hartem Holz.

Charles Goodyear

Koch-Studio: Charles Goodyear im Jahr 1839 bei seiner Entdeckung der Vulkanisation. Vier Jahre tüftelte Goodyear zuvor in seinem Laboratorium daran, Naturkautschuk elastisch und robust werden zu lassen.

Und letzteres wurde vielfach mit einem Eisenring beschlagen, um zu vermeiden, dass sich das Drehteil alsbald in seine Bestandteile auflöste. Spannung hielt den Radkranz zusammen, wie der Ring aus Eisen das Fass. Und so gehörte der Wagner, der das Holzrad auf die Nabe aufzog, so selbstverständlich zu Straßen und Wegen, wie der Hufschmied zum Pferd.

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts nahte - wie bei so vielen Erfindungen mal wieder auf Umwegen - das Ende der Rüttelei. Ein gewisser Charles Nelson Goodyear arbeitete wie ein Besessener daran, Naturkautschuk, den schon die Azteken und Maya kannten, durch chemische Zusätze haltbarer zu machen. Dabei ging es ihm nicht etwa um Reifen, sondern vor allem um regenfeste Gummistiefel, wasserdichte Bekleidung und Zelte für die Männer, die dem Goldrausch in Kalifornien erlegen waren.

Das Grundmaterial aber war eigenwillig. War es zu warm, klebte es, bei Minusgraden ging es rasch in die Brüche. Jahrelang stand der Autodidakt auf dem Schlauch, bis ihm 1839 der Zufall zu Hilfe kam: Eine Mischung aus Schwefel und Kautschuk fiel beim Hantieren auf eine Herdplatte und die Hitze veränderte das Material so, dass es plötzlich neue Eigenschaften aufwies.

Die Oberfläche war nicht mehr klebrig, sondern vulkanisiert. Denn beim Erhitzen werden die Molekülketten des Rohkautschuks durch Schwefelbrücken miteinander vernetzt; und je mehr Schwefel beigemengt wurde, desto härter der Gummi. Die Folge: Der Stoff kehrte auch bei mechanischer Belastung in seinen Ursprungszustand zurück. Zudem erwies er sich elastisch, robust und stabil gegenüber Witterungseinflüssen.

Im Jahr 1844 wird Goodyear das Patent unter der Nummer 3633 zuerkannt. Aber der Tüftler wurde durch seine Entdeckung des Vulkanisierens weder glücklich noch reich. Eine Zeitung mokiert sich über "den schlechtesten Kaufmann" der Welt: "Wenn ihr einen Mann seht, in Schuhen, mit Mantel und Hut aus Kautschuk, aber ohne einen Cent in der Tasche, dann habt ihr Mister Goodyear vor euch."

Goodyear im Pech: Das große Geschäft machten andere

Tatsächlich wird er unzählige Male in Haft genommen, weil er Materiallieferungen nicht bezahlen und Versprechungen nicht einhalten kann. Dennoch ist er 1851 der Star der Weltausstellung in London. Und in einen Ehrenpavillon in Paris, den Napoleon III. besucht, steckt er 50.000 Dollar und bekommt sogar eine Auszeichnung der französischen Ehrenlegion. Kurz darauf aber landet er wegen offener Rechnungen erneut hinter Gitter, seine Familie muss sich wieder einmal alleine durchschlagen.

In einem aufsehenerregenden Prozess, den er schließlich gegen seinen Kontrahenten Horace Day anstrengt, wird ihm 1852 eine Entschädigung zugesprochen. 1860, kurz vor seinem 60. Geburtstag, stirbt Charles Nelson Goodyear - vermutlich wegen des jahrelangen Umgangs mit giftigen Dämpfen. Er hinterlässt neuerliche 200.000 US-Dollar an Schulden.

38 Jahre nach seinem Tod schließlich gründen die deutschen Einwanderer Frank und Charles Seiberling eine Gummifabrik, die sie nach dem Erfinder Goodyear benennen. Feuerwehrschläuche, Pokerchips oder Reifen für Fahrräder und Droschken sind die meist hergestellten Produkte.

Aber erstmals einen richtigen Pneu, einen mit Luft gefüllten Reifen zu konstruieren, bleibt 1888 dem schottischen Tierarzt John Boyd Dunlop vorbehalten, der damit am Dreirad seines Sohnes die bis dahin üblichen Vollgummireifen ersetzt und das Patent für den ersten Fahrradluftreifen erhält. Im Jahr 1891 dann präsentiert Édouard Michelin die Idee eines separat austauschbaren Luftreifens.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Autoindustrie, allen voran Henry Ford, zum größten Abnehmer der Reifenhersteller, Flugzeugreifen und Zeppeline folgen. Ständig wird nach neuen Rezepturen gesucht. Grundstoff aber ist nach wie vor zu rund 40 Prozent natürlicher und künstlicher Kautschuk, der durch Füllstoffe wie Russ und Silica, Kreide, Öle, Harze, Beschleuniger, Verzögerer, Mischhilfen, Aktivatoren und Schwefel ergänzt wird.

Die Zusätze entscheiden über Haltbarkeit, Rollwiderstand, Abrieb und guten Grip. Und obwohl die modernen Reifen unserer Tage bis zu 300Komponenten enthalten, bleiben viele der Eigenschaften von Naturkautschuk bis heute unerreicht.

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