Volvo V70:Zum Schleppen zu schade

Der neue Lastenträger basiert auf der Plattform des S80, ist aber ein eigenständiges Auto

(SZ vom 16.02.2000) Es war nur eine Frage der Zeit, bis Volvo einen Kombi nachreichen würde, der auf der Plattform des Flaggschiffs S80 steht - Anfang März ist es nun so weit: Der V70 kommt seinem schon im Firmennamen festgelegten Auftrag nach (lateinisch volvo = ich rolle) und bewegt sich in die Schauräume der Händler. Dort steht doch schon seit Jahren ein großer Kombi, der diese Bezeichnung trägt, werden sich nun vielleicht die Skandinavien-kundigen Automobilfans fragen. Ist der auf der Detroit Auto Show Anfang des Jahres groß als Weltneuheit angekündigte V70 eine Mogelpackung, an dessen Karosserie man ein paar Retuschen vorgenommen hat?

Die Volvo-Fans können beruhigt sein: Der V70 ist tatsächlich ein komplett neues Auto, und dass er sich in der Nomenklatur nicht weiter entwickelt hat, dahinter steckt wohl eine Marketingüberlegung. Denn seitdem sich Ford Volvo einverleibt hat, haben die Schweden den Auftrag, in die automobile Oberklasse vorzudringen, in die Welt der Benze und BMWs. Und die Luxusklasse wird von klassischen Limousinen beherrscht, Kombis haftet in dieser dünnen Höhenluft immer noch der Ruch der Lastenträger an. Also soll sich der Kombi schon durch die Typenbezeichnung vom Topmodell mit dem Stufenheck abheben.

Doch unter dem Blech gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten: Der V70 basiert wie gesagt auf der Plattform des S80, hat also Chassis und Fahrwerk mit ihm gemeinsam. Auch bei der Sicherheitsausstattung, auf die die Schweden mit Recht besonders stolz sind, gibt es keine Unterschiede. Die fangen erst bei der Optik an. Nur vier Teile an der Außenhaut sind mit der Limousine identisch: die Außenspiegel, ein Scheibenwischer und der Rahmen des Schiebedachs. Auf den ersten Blick fallen die im Vergleich zum Vorgänger kräftiger wirkende Motorhaube in V-Form, die schmaleren Frontscheinwerfer und die Sicke, die sich seitlich unter den Fenstern über die gesamte Karosserie hinzieht, auf. Auch am Heck haben die Designer gefeilt: Die Leuchteneinheit ist größer geworden.

Im Innenraum herrscht die für Volvo typische Sachlichkeit vor: Auf Modetrends haben sich die Schweden niemals eingelassen und sind ihrer Linie vom klaren, manchmal kantigen Design treu geblieben. Die Instrumente kann man auch ohne Lesebrille klar erkennen, modische Gimmicks wie eine Vielzahl von Digitalanzeigen hat Volvo nicht nötig - schließlich wollte man ein solides Auto und kein Spielmobil auf die Räder stellen. Zur Solidität gehören serienmäßig Front-, Seiten- und Kopfairbags, ABS, Traktionskontrolle, ein System, das Schleudertrauma-Verletzungen vermeiden hilft sowie eine nochmals verbesserte Torsionssteifigkeit der Karosserie. Das freut die Kalifornier

Auf dem Stand der Technik sind auch die Motoren: Die Benziner-Varianten erfüllen die D4-Abgasnorm, ein erst im Sommer lieferbarer Saugmotor schafft sogar die kalifornische Norm für ein ULEV, ein Ultra Low Emission Vehicle. Von Anfang März an wird der V70 bei uns in zunächst drei Motorvarianten zu haben sein: Das Topmodell ist der T5, den ein 2,3-Liter-Fünfzylindermotor mit 184 kW (250 PS) antreibt. Das ergibt für die 1,6 Tonnen schwere Turbo-Fuhre fulminante Fahrwerte: Höchstgeschwindigkeit 250 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 7,1 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 9,3 Liter Super auf 100 Kilometer.

Wer sich, die Seinen oder sein Surfbrett etwas gemächlicher durch die Gegend fahren will, wird mit dem 2. 4T genau so zufrieden sein. Ihn treibt ein 2,4-Liter-Fünfzylindermotor mit moderater Turboaufladung an, was aber noch für eine Leistung von 147 kW (200 PS), eine Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h, einen Beschleunigungswert von 7,9 Sekunden und einen Verbrauch von 9,2 Litern reicht. Der Sparsamste im Bunde ist der 2,5D, dessen Fünfzylinder-Turbodiesel 103 kW (140 PS) bringt. Damit ist eine Vmax von 200 km/h möglich, der durchschnittliche Verbrauch beträgt 6,5 Liter. Wer mit weniger Leistung auskommt, muss bis Juni warten. Dann haben zwei 2,4-Liter-Benziner-Varianten mit 103 kW (140 PS) und 125 kW (170 PS) Verkaufsstart.

Die Preise hat Volvo um 1500 bis 2500 Mark angehoben: Das Basismodell kostet nun 54 372 Mark, die 170-PS-Variante 57 501 Mark, der 2. 4T 62 977 Mark, der T5 70 214 Mark und der Diesel 59 457 Mark. Die Modellpalette ergänzen später im Jahr eine 2. 4T mit Allradantrieb und die höhergelegte Variante für Jäger und Fischer namens Cross Country, die im September folgen wird.

Ach ja, Volvo heißt ja ich rolle. Wie rollt es sich nun im neuen V70? Äußerst kommod, wie sich bei ersten kurzen Fahrten herausstellte. Das Fahrwerk bietet den Komfort eine Limousine, und die beiden von uns gefahrenen Modelle 2. 4T und T5 bieten mehr als ausreichend Leistung. Die Motoren sind willig und setzen jeden Fahrerwunsch souverän in Fortbewegung um. An Bremsen und Schaltung gibt es nichts auszusetzen - nur manchmal haben die Schweden sogar etwas des Guten zu viel getan: etwa beim Einkaufstaschenbefestigungssystem im Kofferraum. Ein Teil der Bodenverkleidung muss hochgeklappt werden, an deren Unterseite dann vier massive Haken sichtbar werden. Hier können Plastiktüten umkippsicher eingehängt werden - das System wirkt aber eher aufwändig als pfiffig. Und für die zulässige Anhängelast von 1,8 Tonnen gibt es ja noch die Anhängerkupplung. Aber zum Schleppen ist der V70 eh viel zu schade.

Von Otto Fritscher

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