Süddeutsche Zeitung

Volvo Ocean Race:Wind-Maschinen

Leiden am Kap der Guten Hoffnung, frieren vor Kap Hoorn, schwitzen auf dem Weg zur Straße von Hormus: Sechs hochgezüchtete Yachten und ihre Crews kämpfen auf fast 40.000 Seemeilen um den Sieg.

Oskar Weber

Die Kabinen schwarze Löcher. Nässe und Feuchtigkeit allgegenwärtig. Kein trockenes Plätzchen, nirgendwo. Die Klappkojen wie Sanitätstragen in ihren Sicherungen an den Bordwänden. Die Pantry vor der Schottwand zum Bug nichts als ein besserer Tauchsieder. Campingtoilette und Waschschüssel ein Witz für elf Mann Besatzung. Die Crew lebt nicht an Bord, sie kämpft. Und zwar rund um die Uhr.

Die Männer des Volvo Ocean Race fighten neun beinharte Etappen lang. Sie leiden am Kap der Guten Hoffnung, sie frieren vor Kap Hoorn, und sie schwitzen auf dem Weg zur Straße von Hormus die Küsten vor Ostafrika hinauf - immer eine Hand am Schiff und einen halben Blick zum Horizont, der Piraten wegen. Bis zu 20 Tage am Stück sind sie auf hoher See, die Crewmänner und ihre Segelmaschinen.

Keine Last, mehr Lust. Ein Profi-Job. "Ich habe am Anfang als Elektriker in den Minen malocht, um mir das Segeln leisten zu können", sagt Chris Nicholson, Skipper der mitfavorisierten Camper. Heute gehört der 42-jährige Australier zu den Topverdienern der Profiszene. Aus der Berufung Segeln ist harte Schicht geworden. Kämpfen, durchhalten, gewinnen. Geld verdienen.

Am vergangenen Samstag ist der Skipper des spanisch-neuseeländischen Teams mit seinen fünf Konkurrenten von der Azzam aus Abu Dhabi (die wegen eines gebrochenen Masts inzwischen zurück in Alicante ist), der Groupama 4 aus Frankreich, der Sanya aus China (ist inzwischen ausgestiegen), der Telefonica aus Spanien und der vom Sportkonzern Puma gesponserten Mar Mostro zum ersten Turn des Volvo Ocean Race 2011/12 in See gestochen.

Start in Alicante, Spanien, Etappenziel nach 6500 Seemeilen in Kapstadt, Südafrika. Voraussichtliche Fahrzeit 20 Tage, planmäßige Ankunft 25. November. Berechnet ist, auf die gesamte Etappenstrecke umgelegt, also ein Tagesschnitt von 325 Seemeilen - ein mörderisches Tempo, für die Rennapparate der Volvo-Open-70-Klasse allerdings ein vergleichsweise ziviler Mittelwert. Beim letzten Volvo Ocean Race 2008/09 stellte die schwedische Ericsson 4 mit 596,6 nautischen Meilen einen neuen 24-Stunden-Weltrekord für Einrumpfboote auf: Das sind, über den Tag gerechnet, durchschnittlich 24,9 Knoten.

Für den Vortrieb der 21,5 Meter langen und maximal 5,7 Meter breiten Karbonrümpfe sorgen bis zu 675 Quadratmeter große Segelflächen: Groß- und Vorsegel mit 175 und 139,9 Quadratmeter, der Spinnaker vor dem Mast hat 500 Quadratmeter. Das komplette Rigg kommt aus dem Windkanal, das stehende Gut ist ebenfalls aus den leichten und extrem stabilen, dafür aber sündhaft teuren Kohlefasern gebacken. Für den 31,5 Meter hohen Mast rechnen die Konstrukteure mit 600.000 Euro.

Das aktuelle Rennen basiert auf der dritten Modifikation des Regelwerks. Das segelfertige Gesamtgewicht wurde auf 14,5 Tonnen erhöht. Wie bei der Vorversion zwei sind aus Sicherheitsgründen auch für die aktuellen Schiffe Kielaufhängungen aus Stahllegierungen zwingend vorgeschrieben.

Die erste Reglementversion der VOR-70-Klasse hatte für die Balancekonstruktionen noch Leichtbau zugelassen. Mit teilweise happigen Konsequenzen für die Segler. Die Movistar musste 2005/06 von ihrer Besatzung sogar aufgegeben werden, nachdem die Schwenkachse aus dem Rumpf gebrochen war. Kein Karbon, kein Titan - diese Ansage gilt auch für die beiden Kielfinnen achtern, die bei Krängung die Abdrift reduzieren. Der Kiel selbst ist per Hydraulik um bis zu 40 Grad nach Luv schwenkbar, in der Kielbombe lagern 5,5 Tonnen Blei.

Mit Ausnahme der chinesischen Sanya gehen alle Teams mit Neukonstruktionen an den Start. Welches Design warum die besten Chancen auf den Gesamtsieg hat, wird sich im Mai 2012 zeigen. Dann kehrt die Regatta nach ihrem sechsten Stopover in Miami und nach rund 80 absolvierten Prozent der Gesamtstrecke zu den letzten drei Etappen nach Europa zurück.

Bis dahin haben die sechs Rennteams 33.000 Regattameilen zu bewältigen, die die Crews nach Kapstadt, Abu Dhabi, Sanya/Südchina, Auckland, Itajai/Brasilien und Miami führen. Danach geht es über den Nordatlantik nach Lissabon, nach Lorient in Frankreich und schließlich in den irischen Zielhafen Galway, wo das Siegerboot am 3. Juli 2012 erwartet wird.

Veranstalter des Volvo Ocean Race ist eine gleichnamige Tochter des schwedischen Volvo-Konzerns mit Sitz in Alicante. Die Volvo Ocean Race S.L.U. beschäftigt rund 100 Mitarbeiter, das Kontrollzentrum in Alicante begleitet und überwacht den kompletten Rennverlauf via Satelliten rund um die Uhr.

Und für den Fall des Falles ist gesorgt. "Wenn es Bruch oder sonstige Probleme gibt, haben wir hoffentlich stets ein anderes Schiff unseres Feldes in der Nähe oder aber Schiffe der Handelsmarine oder des Militärs", sagt Volvo-Ocean-Race-Chef Knut Frostad. Besonderen Respekt hat Frostad vor der zweiten Etappe, die das Feld vom 11. Dezember an für knapp drei Wochen die ostafrikanische Küste hinauf nach Abu Dhabi führt: "Die Piraten sind dort überall."

Wird die potentielle Gefährdung als zu groß eingeschätzt, steht ein Frachter bereit, der alle Schiffe aufnimmt - und am Ende der Gefahrenstrecke in der richtigen Reihenfolge und mit den zuvor eingefahrenen Zeitabständen wieder zu Wasser lässt.

Ein nur scheinbar aufwendiges Sicherheitsfeature, denn das Gesamtbudget ist stattlich: rund 250 Millionen Euro. Alleine die Teambudgets werden mit jeweils 20 bis 30 Millionen veranschlagt. Viel Geld für ein Seglerevent? Nicht zu viel für ein Rennen der Superlative, sagen die Veranstalter. Denn die Dynamik, die die Bilder signalisieren, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist gnadenlose Seglerarbeit. Regattachef Knut Frostad: "Das Volvo Ocean Race ist für die Teams eine Kette von nicht endenden Problemen."

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Quelle:
SZ vom 07.11.2011/gf
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