Süddeutsche Zeitung

Volkswagen-Strategie:VW bricht mit den Traditionen der Autoindustrie

  • Bei der CES in Las Vegas geben Volkswagen und der Chiphersteller Nvidia eine Partnerschaft für hoch automatisiertes Fahren bekannt.
  • Zusammen wollen beide Firmen mit künstlicher Intelligenz einen selbständig handelnden Co-Piloten erschaffen.
  • Mit solchen Kooperationen will sich VW gegen die Joint Ventures anderer großer Autokonzerne wappnen - und gegen die Macht von Google und Co.

Von Joachim Becker, Las Vegas

Die Consumer Electronics Show wirkt wie ein Gegenentwurf zu den traditionellen Automessen. Keine aufgeblasenen Gelände- und Pritschenwagen, keine Männerspielzeuge mit V8 und hoher Motorhaube. Stattdessen Elektroautos, Digitalcockpits und virtuelle Welten. Wenn jemand in Las Vegas von Power redet, meint er nicht PS, sondern Rechenleistung. "Wir wollen die Art revolutionieren, wie die Leute Auto fahren", sagt Jensen Huang, Chef von Nvidia, einem der führenden Halbleiterhersteller für Computerspiele. Das klingt wie ein Hirngespinst aus der Gaming-Branche - doch dann tritt Herbert Diess auf die Bühne. Dem Chef der Marke VW kann man vieles nachsagen. Nur nicht, dass er ein verspielter Träumer ist.

In Las Vegas treffen zwei Welten aufeinander: Hier die Hundertjährigen der Autobranche und dort die ewig Jungen der Unterhaltungselektronik. Huangs Markenzeichen sind die lässige, schwarze Lederjacke und Motivationsreden wie in der Gospel Church. Schon lange predigt er, dass Künstliche Intelligenz die Welt verändern wird - mit Rechenleistung von Nvidia natürlich. Damit hat er auf der Bosch Connected World 2017 in Berlin ein Auditorium voller Automanager mitgerissen. Halleluja!

Seit dem vergangenen Jahr gehört Bosch zu den Partnern von Nvidia. In diesem Januar folgt Volkswagen. Herbert Diess geht zwar nach der obligatorischen Umarmung durch Jensen Huang vier Schritte auf Distanz. Und er schafft es sogar, dass ihn der Kalifornier immer wieder als "Dr. Diess" anspricht. Doch das ist eher ein Relikt aus alten Zeiten. Damals, als Diess noch BMW-Einkaufsvorstand war. Knapp zehn Jahren ist das her. Nvidia war ein kleiner Zulieferer von Infotainment-Chips, der beim ersten Probelauf mit der künstlichen Intelligenz prompt patzte.

Damals konnte seine lernende Maschine einen deutschen Schäferhund noch nicht erkennen. Seitdem hat sich die Rechenleistung fast verhundertfacht. Deshalb können Diess und Huang über diesen Fehlstart lachen. In Las Vegas geben sie eine Partnerschaft für hoch automatisiertes Fahren bekannt. VW und Nvidia wollen mit künstlicher Intelligenz einen selbständig handelnden Copiloten erschaffen. Eine Maschine, die den Fahrer per Gesicht und Stimme erkennt, mit ihm plaudert und ihn bei Gefahr warnt. Noch in diesem Quartal will Nvidia die ersten Xavier-Chips ausliefern. Sie sind nur so groß wie eine Briefmarke und verbrauchen so wenig Strom wie eine Nachttischlampe. Doch beim maschinellen Lernen hängen sie selbst leistungsstarke Großrechner ab.

Künstliche Intelligenz macht den Copiloten zur lernenden Maschine

Deshalb steht Herbert Diess nun mit Jensen Huang auf die Bühne. Der VW-Chef will die Position der Technologiezulieferer stärken. Statt ihre Chips bei Systemintegratoren wie Bosch oder Continental abzuliefern, sollen sie auch direkt mit den Autoherstellern zusammenarbeiten. Es ist ein Bruch mit der angestammten Zulieferer-Hierarchie. Doch Volkswagen ist auf das Know-how der IT-Spezialisten angewiesen, um sich gegen die wachsende Konkurrenz von Digitalkonzernen wie Apple oder Alphabet (Google) mit ihren schnellen Innovationszyklen zu behaupten.

"Wir werden einen großen Umbruch in den nächsten beiden Lebenszyklen unserer Autos sehen", kündigt Diess auf der CES an. Wie die Modelle des E-Auto- und Digital-Pioniers Tesla sollen sich auch die Fahrzeuge von VW demnächst über die gesamte Lebenszeit hinweg updaten lassen. Auch das ist ein Bruch mit Traditionen. Statt den Fortschritt erst einmal den Premiummarken im Konzern - Audi und Porsche - zu überlassen, will VW die neue Generation von Elektrofahrzeugen gleich zum Start mit der innovativen Elektronik-Architektur ausrüsten.

Alte Zöpfe abzuschneiden, ist ein Lieblingsspiel auf der CES. Die Leistungsexplosion bei den Halbleitern befeuert große Visionen - etwa zu Robotertaxis. "Bis 2050 soll es eine Milliarde Menschen zusätzlich geben. Der weltweite Straßenverkehr wird sich auf über 40 Trillionen Kilometer pro Jahr verdreifachen. Das ist ohne alternative Mobilitätslösungen mit autonomen Fahrzeugen nicht mehr möglich", erwartet Huang.

Er ist nicht der einzige neue Technologie-Partner von VW. Die Wolfsburger haben sich auch mit Chris Urmson verbündet. Bei fahrerlosen Autos kennt sich kaum jemand besser aus als er. Schon 2009 schickte der Robotik-Experte autonome Testfahrzeuge auf öffentliche Straßen. Unter seiner Leitung haben die Google-Erprobungsfahrzeuge 1,8 Millionen Kilometer zurückgelegt. Dann verließ Urmson den IT-Konzern, gründete seine eigene Entwicklungsfirma Aurora - und kam mit den Wolfsburgern ins Geschäft.

Etwa 400 Unternehmen arbeiten am autonomen Fahren

Die eiförmigen Google-Autos haben die traditionellen Hersteller genauso aufgeschreckt wie später der Diesel-Abgas-Skandal. Kurz nach dessen Enthüllung kam Johann Jungwirth zu VW - als führender Digitalstratege. Zuvor hatte er unter anderem bei Apple das Programm für selbstfahrende Autos geleitet. Jungwirth kennt Chris Urmson schon lange. Jetzt hat er ihm und Sterling Andersen, Teslas ehemaligem Chefentwickler für den berühmt-berüchtigten Autopiloten, die Entwicklung des selbstfahrenden Supercomputers übertragen. Auf der CES gaben die Aurora-Gründer auch Partnerschaften mit Nvidia und Uber bekannt. Damit gelingt dem Start-up in kurzer Zeit der Sprung in die erste Liga.

Der Wettlauf bei der Entwicklung der selbstfahrenden Autos ist groß. Etwa 400 Firmen arbeiten heute am autonomen Fahren. Volvo lässt bereits durchblicken, dass man die Komplexität der Aufgabe unterschätzt habe. Doch die wichtigsten Konkurrenten der Partner VW, Aurora und Nvidia sitzen in Deutschland. Einerseits die Kooperationspartner Bosch und Mercedes, andererseits die Gruppe um BMW, Intel und Mobileye. Alle investieren Milliardenbeträge, um bei den selbstfahrenden Autos führend zu sein.

Auch Google arbeitet weiter mit Hochdruck an einer solchen Software-Plattform. Der IT-Gigant hat zwar keinen Stand auf der CES. Doch am Las Vegas Strip künden haushohe digitale Plakatwände von Googles neuem Sprachassistenten. Sie wirken wie der Albtraum der Autokonzerne: irgendwann nur noch bloße Hardware-Lieferanten für die Firmen aus dem Silicon Valley zu sein.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2018/harl
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