Süddeutsche Zeitung

Volkswagen in den USA:Charmeoffensive in Chattanooga

Volkswagen will die USA erobern - und geriert sich dazu als Teil der amerikanischen Popkultur.

Thomas Fromm und Kristina Läsker

Bei Volkswagen müssen sie ein Faible für mittelgroße Städte haben. Für abgelegene Nester wie Chattanooga. Eine Stadt, über die Glenn Miller Anfang der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mal einen Hit geschrieben hat. "Chattanooga Choo Choo", ein Swing über eine Dampflok, die vom großen New York aus ins kleine Chattanooga fuhr. Aber sonst?

Eine Stadt in Tennessee, etwas größer als Wolfsburg, jener Stadt, in der die VW-Oberen residieren. Chattanooga, das wird ab diesem Dienstag das VW-Werk Nummer 62 sein. Und doch ist es mehr als eine Nummer. Wenn VW mit großem Aufwand sein neues Werk einweiht, dann wird die Stadt in den Südstaaten vor allem für eines stehen: die Rückkehr von Volkswagen in die USA.

"2011 wird für VW in den USA das wichtigste Jahr überhaupt", sagte VW-Amerika-Chef Jonathan Browning vor ein paar Monaten. Da saß der Brite in einem Hotel in Washington, sprach mit Journalisten über seine Pläne, und darüber, dass manche Strecken länger seien als andere. Diese hier ist eine lange Strecke, aber Browning will sie schnell hinter sich bringen.

Es ist der Versuch einer Versöhnung - und ob er funktioniert, ist noch längst nicht ausgemacht. Für die Deutschen geht es um mehr als Chattanooga, sogar um mehr als die USA. Ausgerechnet im stärksten Autoland der Welt hat der Konzern zuletzt nur 360.000 Wagen ausgeliefert - zu wenig, will man das Ziel erreichen, bis 2018 größter Autohersteller der Welt zu werden.

Der Weg an die Spitze verläuft über Amerika. Chattanooga soll helfen, in den USA in den nächsten sieben Jahren eine Million Fahrzeuge loszuschlagen. Bis zu 150.000 Autos pro Jahr sollen aus dem neuen Werk stammen. Denn, das wissen sie in Wolfsburg: Ohne eigene Fabrik geht nichts am US-Markt.

Das war schon mal anders. In den 60er und 70er Jahren waren VW-Autos auf dem US-Markt gern gesehen, dank Käfer und VW-Bus kam der Autohersteller auf Marktanteile von bis zu sieben Prozent. Dann kamen die Modelle aus der Mode, Ende der 80er schloss der Konzern seine Fabrik in Pennsylvania. Seither sind sich VW und die USA fremd geworden.

Eine Milliarde Dollar hat der Konzern investiert, um das Werk hochzuziehen. Der erste Schritt, um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten anzukommen. Der zweite wird schwieriger: Dann muss verkauft werden. VW setzt auf günstige Preise, auf billige Jettas und Discount-Passats mit wenig Elektronik und noch weniger Ausstattung.

Ein US-Passat, der fast fünf Meter lang und zwei Meter breit ist - und den Amerikanern allein schon deshalb gefallen dürfte. Kritiker sagen, VW würde seine Autos in den USA fast verschenken. Würde qualitativ schlechtere Autos anbieten, um die Preise zu senken und so den Absatz anzukurbeln. Und das alles, um 2018 der größte Autokonzern der Welt zu sein.

Es sind Einwände, die die Manager in Wolfsburg nicht gelten lassen. Sie haben nur wenige Jahre, um den großen US-Herstellern General Motors, Ford und Chrysler Kunden abzujagen. Denn da warten auch die Japaner Toyota, Honda und Nissan, und Hyundai und Kia aus Korea.

Und natürlich gibt es auch deutsche Konkurrenz: Der Münchner Autobauer BMW produziert seit 1992 in dem 40.000-Einwohner-Nest Spartanburg im US-Bundesstaat South Carolina; nur wenige Jahre später trat Daimler mit einem Werk in Tuscaloosa/Alabama an. Es sind Gegenden, in denen die Leute selten BMW oder Mercedes fahren. Wer hier einen Wagen kauft, wählt große Pick-ups und Geländewagen made in USA.

Und doch sind die Deutschen hier, im Süden. In South Carolina, Alabama, Tennessee. Es fällt auf, dass die deutschen Hersteller einen riesigen Bogen um das Herz der amerikanischen Autoindustrie machen. Detroit, das ist die alte Motorstadt im Norden, die Heimat von General Motors, Ford und Chrysler. Die Deutschen gehen dahin, wo man eher Baumwollplantagen erwartet als moderne Produktionsbänder.

"Wir glauben an Amerika als Produktionsstandort", sagte BMW-Chef Norbert Reithofer im vergangenen Jahr. Da stand er mitten im Werk von Spartanburg, das er gerade für Millionen Dollar ausgebaut hatte, und sagte den Satz, den hier alle hören wollten: "Die USA und besonders Spartanburg sind zu unserem zweiten Zuhause geworden."

Die Gäste - Honoratioren, Lokalpolitiker und Hunderte Arbeiter - klatschten Beifall. Keine Frage: Die USA sind ein wichtiger Teil des Geschäfts der Bayern. Nicht zufällig hatte man hier zuletzt die Geländewagen X5 und X6 und die Roadster Z3 und Z4 gebaut. Autos, die sich in Übersee gut verkaufen.

Im benachbarten Tuscaloosa sitzen knapp 3000 Daimler-Beschäftigte und produzieren die Geländewagen-Reihen M und GL und die R-Klasse. Ab 2014 soll hier auch die C-Klasse vom Band gehen. Eine Entscheidung, die zu Hause in Sindelfingen heftige Kritik erntete.

Und nun VW. Die Nachricht vom deutschen-amerikanischen Werk mit Montage, Karosseriebau und Lackiererei schaffte es 2009 bis auf die Seite 1 der Lokalzeitung Chattanooga Times und blieb lange das wichtigste Gesprächsthema der Stadt. Immerhin: Es geht um 2000 neue Jobs, bis zu 10.000 Stellen sollen bei Zulieferern entstehen.

Grund genug für den Gouverneur von Tennessee, Phil Bredesen, großzügige Beihilfen anzubieten. Nur zu gern versprach der Demokrat, auf Staatskosten neue Straßen zu bauen. Auch von 500 Millionen Dollar Steuernachlässen ist die Rede. Schließlich war Chattanooga mehrfach leer ausgegangen: Zweimal schon waren mit Mercedes und Toyota große Autobauer auf der Suche nach einem Standort abgesprungen.

Fragt man die Konzerne, warum sie vor Ort produzieren, hört man, man wolle sich von Währungsschwankungen unabhängig machen. Ist man mit seinen Zulieferern vor Ort und kauft und verkauft in heimischer Währung, ist es egal, wie der Dollar zum Euro steht und umgekehrt.

Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Im wirtschaftlich schwachen Süden freuen sich die Politiker über Investitionen aus Europa und locken mit Steuererleichterungen und Subventionen.

Dazu kommt, dass die traditionell starken Autogewerkschaften aus dem Norden hier im Süden kaum eine Chance haben. Die Lohnkosten sind, auch wegen der niedrigeren Sozialbeiträge, deutlich geringer als in Deutschland.

Nach BMW und Daimler dürfte auch die VW-Tochter Audi demnächst in den USA produzieren. Ab einem Jahresabsatz von 150.000 Autos würde sich für die Ingolstädter eine Produktion vor Ort lohnen, sagte Audi-Chef Rupert Stadler kürzlich der SZ. Allerdings wohl ohne eigenes Werk, sondern bei der Mutter VW in Chattanooga.

Die gibt sich bereits so, als wäre sie schon immer Teil der amerikanischen Popkultur gewesen. Immer da, wo etwas passiert, immer mittendrin: Marketingaktionen mit Superstar Katy Perry auf dem Times Square in Manhattan oder in den Werbepausen des Medien-Großereignisses Super Bowl.

VW will nicht nur in Chattanooga bauen. Der Autokonzern will als amerikanische Marke wahrgenommen werden. Deutsche Autos, made in Chattanooga.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2011/gf
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