Verkehrsunfälle:"Das hängt mit der Ungeduld der Jüngeren zusammen"

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Verkehrspsychologe Egon Stephan über die aktuellen Unfallzahlen, bei denen nur die Zahl der Senioren unter den Opfern steigt.

Corinna Nohn

Alle 14 Sekunden geschieht in Deutschland ein Verkehrsunfall, täglich kommen durchschnittlich elf Menschen im Straßenverkehr ums Leben. Das geht aus dem aktuellen Bericht zur Unfallentwicklung hervor, den das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gerade veröffentlicht hat. Demnach ist die Zahl der Verkehrstoten in fast allen Altersgruppen gesunken - nur bei den über 65-Jährigen haben die Statistiker deutlich mehr Unfallopfer gezählt. Professor Egon Stephan, 66, Verkehrspsychologe von der Universität Köln, über junge und alte Verkehrsteilnehmer und das Modell eines "Regionalführerscheins".

Verkehrspsychologe Egon Stephan: "Senioren sind in komplexen Verkehrssituationen eher überfordert." (Foto: ddp)

Süddeutsche Zeitung: Herr Stephan, die Zahl der Toten im Straßenverkehr ist auf den niedrigsten Stand seit 1950 gesunken. Nur bei den über 65-Jährigen registrierten die Statistiker 2009 deutlich mehr Unfallopfer als im Vorjahr. Woran liegt das?

Egon Stephan: Zum einen gibt es mit jedem Jahr immer mehr ältere Menschen. Zum anderen sind die sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten unserer PS-starken Fahrzeuge gerade für sie ein Problem. Dazu kommt, dass die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge stetig zunimmt. Viele Senioren sind als Fußgänger oder Radfahrer in Unfälle verwickelt. Hier sind die Verletzungen meistens schwerer und führen bei älteren Menschen auch noch eher zum Tod als bei einem 25-Jährigen.

SZ: Laut Statistik tragen Autofahrer über 65 Jahre, wenn sie in einen Unfall verwickelt sind, in zwei von drei Fällen die Hauptschuld. Sind ältere Autofahrer gefährlicher als junge?

Stephan: Das sind sie sicher nicht. Die Unfälle, die sich mit älteren Fahrern ereignen, sind in der Regel weniger schwer, weil sie langsamer fahren. Grundsätzlich besteht das Risiko jüngerer Fahrer eher darin, dass sie sich überschätzen, zu schnell fahren und deshalb besonders schwere Unfälle verursachen.

SZ: Und Senioren?

Stephan: Sie sind in komplexeren Verkehrssituationen eher überfordert. Dann fahren sie zum Teil zu langsam und zögerlich und lösen dadurch Unfälle aus. Das hängt aber häufig auch mit der Ungeduld der Jüngeren und mit dem eher hektischen Fahrstil der Deutschen zusammen.

SZ: Manche ältere Autofahrer haben ihren Führerschein erst mit 40 oder 50 gemacht und vielleicht besondere Schwierigkeiten, sich an die Hektik zu gewöhnen. Wie kann man deren Risiko für den Straßenverkehr mindern?

Stephan: Ein generelles Geschwindigkeitslimit und strengere Kontrollen würden den Verkehr insgesamt langsamer und einheitlicher machen. Ein großes Problem ist, dass die verschiedenen Verkehrsteilnehmer mit so unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind. Das belastet die Älteren besonders. Das zeigt auch ein Vergleich mit den USA: Da ist Autofahren wie Zugfahren, man steigt ein, stellt seinen Kaffeebecher auf die Konsole und fährt im selben Tempo wie alle anderen von A nach B.

SZ: Was halten Sie von einem erneuten Führerscheintest für Senioren?

Stephan: Das würde keine politische Partei umsetzen, dazu gibt es auch keine Pläne im Bundestag. Außerdem gibt es keine Altersgrenze, an der man so etwas festmachen könnte. Ich habe zum Beispiel die Fahrtüchtigkeit von 300 Leuten im Alter von 60 bis 90 getestet und festgestellt, dass es 88-Jährige gibt, die genau so fit sind wie 60-Jährige.

SZ: Und wenn sie nicht so fit sind?

Stephan: Ich habe das Modell des Regional-Führerscheins entwickelt. Das kann so aussehen, dass der betreffende Fahrer nur im Umkreis von 20 Kilometern um seinen Wohnort fahren darf. Eine solche Beschränkung kommt für ältere Menschen in Frage, deren Reaktionsvermögen schon schlechter ist, die aber noch am eigenen Wohnort zurechtkommen. Sie können in fremden Städten oder auf der Autobahn überfordert sein, aber in ihrer gewohnten Umgebung wissen sie genau, wo sie mit Kindern rechnen müssen oder wo häufig Lieferwagen auf der Straße stehen. Da kommen sie dann auch noch mit einem schlechteren Reaktionsvermögen ganz gut durch.

© SZ vom 16.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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