Verkehrssicherheit:Wüterich am Steuer

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"Wer nur schimpft, fährt besser", sagt Verkehrspsychologe Mark Vollrath. Den Kontrahenten auszubremsen oder zu bedrohen sei dagegen gar keine gute Idee. (Foto: Photographer: Slo)

Nimmt die Aggression im Straßenverkehr zu? Sicher ist, dass die Hauptrisikogruppe jung und männlich ist - und dass aggressives Fahren für etwa ein Drittel der Unfälle mit Todesopfern verantwortlich ist.

Von Steve Przybilla

Rasen, Spaß haben, den ultimativen Kick suchen: In der Fernsehserie "Alarm für Cobra 11" vergeht kaum eine Minute, in der nicht irgendetwas auf der Autobahn in die Luft fliegt. Bei Männern zwischen 18 und 24 Jahren kommen solche Verfolgungsjagden in der Regel gut an. Zu viel PS und zu viel Testosteron gehen in dieser Hochrisikogruppe im Straßenverkehr häufig eine verhängnisvolle Allianz ein. Und nicht nur dort. Eine Umfrage der Imas-Marktforschung aus dem vergangenen Jahr legt nahe, dass aggressives Fahren insgesamt zugenommen hat. Demnach versuchen heute fast doppelt so viele Autofahrer, sich auf überfüllten Straßen "durchzuschlängeln" als noch vor 20 Jahren (17 statt neun Prozent). Verantwortlich dafür könnten große Geschwindigkeitsunterschiede sein: So legte der Anteil derer, die ihren Wagen gerne "voll ausfahren" ebenso zu wie die Gruppe der "gemächlichen Fahrer".

Im Januar dieses Jahres nahm sich der Verkehrsgerichtstag in Goslar der Thematik an. Auch dort berichteten Automobilklubs und Unfallforscher von zunehmenden Aggressionen. Das Kraftfahrt-Bundesamt sieht allerdings keine akute Zuspitzung des Problems. "Die Gefährdung, Behinderung und Belästigung bewegt sich auf einem unverändert hohen Niveau", betont KBA-Referent Dirk Hillebrandt. Von einem "uneingeschränkt rauen Klima" möchte er aber nichts wissen. Zwar hätten sich von 1990 bis 2012 die in Flensburg gemeldeten Verstöße von 2,8 Millionen auf 4,9 Millionen erhöht. Doch das lasse noch lange nicht auf mehr Wüteriche am Steuer schließen. "Auch eine zu geringe Profiltiefe oder das Fahren ohne Führerschein sind registerpflichtig", erklärt Hillebrand. "Diese Punkte haben aber nur bedingt Einfluss auf das Verkehrsklima." So seien in dem genannten Zeitraum die Verstöße mit abstrakten Gefahren (etwa Rasen) leicht angestiegen. Einen Rückgang vermeldet das Kraftfahrt-Bundesamt dagegen bei schweren Verstößen wie Unfallflucht.

Im Alltag leichter gesagt als getan

Eine weitere gute Nachricht: Auch vor Wut kochende Fahrer steuern ihr Auto nicht zwangsläufig ins Verderben. "Wer nur schimpft, fährt besser", sagt Verkehrspsychologe Mark Vollrath. Den Kontrahenten auszubremsen, zu bedrohen oder durch obszöne Gesten einzuschüchtern, sei dagegen gar keine gute Idee. "Wer seine Aggressionen auslebt, hat ein erhöhtes Unfallrisiko", so Vollrath. Der Wissenschaftler an der TU Braunschweig rät im Umgang mit den Gefühlen zu Gelassenheit. Emotionen entstünden immer dann, wenn eigene Ziele entweder durchkreuzt (Ärger) oder befördert (Zufriedenheit) würden. Meist helfe es daher schon, sich in andere Verkehrsteilnehmer hineinzuversetzen - im Alltag leichter gesagt als getan.

Nicht nur emotionaler Überschwang, sondern auch das Gefühl der Unterforderung stellt ein größeres Unfallrisiko dar, als es den meisten Autofahrern bewusst ist. "Wenn uns langweilig wird, lenken wir uns selbst ab", sagt Mark Vollrath. Der Wissenschaftler hat seine Theorie mit einer Umfrage überprüft: 37 Prozent der Autofahrer gaben an, in den letzten 30 Minuten mindestens zwei "fahrfremde Dinge" getan zu haben. Konkrete Fahrversuche brachten ein noch interessanteres Ergebnis zutage. "Beim Flirten fahren die Leute schlechter als im Streit", so Vollrath. Das könne damit zusammenhängen, dass beim Anbandeln der Augenkontakt mit dem Beifahrer gesucht wird - und die Straße schnell zur Nebensache verkommt. "Die flirtenden Fahrer konnten viel schlechter ihre Spur halten", so Verkehrspsychologe Vollrath. "Sie schwankten doppelt so stark wie im Normalfall."

Selbst die Straßenverkehrsordnung ist nicht vor Gefühlen sicher. "Sie gaukelt den Leuten vor, mit 250 km/h über die Autobahn zu rasen, sei sicher", schimpft Gerrit Manssen, Professor für öffentliches Recht an der Universität Regensburg. Aus seiner Sicht spiegelt die deutsche Sonderregelung beim Tempolimit eine typische irrationale Gefühlslage wider. "In den USA sind 80 Meilen normal, aber die Knarre liegt auf dem Beifahrersitz", sagt Manssen. "Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Irrationalitäten." Und doch glaubt Manssen, dass gerade eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen die Aggressionen verringern könnte. Die StVO sei auch deshalb renovierungsbedürftig, weil Drängeln - der Urtypus des aggressiven Fahrstils - darin überhaupt nicht vorkomme, mahnt der Jurist. Genau wie ein Überholverbot für Lkw, das Wutausbrüche über "Elefantenrennen" ebenfalls vermindern würde. "Diese Regelungen stammen aus den 1950er-Jahren", klagt Manssen. "Das ist, als ob die Leute heute noch mit dem Käfer durch die Gegend fahren würden."

Gesinnungswandel unter Rasern

Welches Verhalten hinter dem Steuer als Kavaliersdelikt gerade noch hinnehmbar erscheint, kann sich über die Jahrzehnte ändern: "Noch vor 40 Jahren sind die Leute nach zwei Bier und zwei Schnaps nach Hause gefahren", sagt Manssen. "Das war sozial akzeptiert." Ein vergleichbarer Gesinnungswandel unter Rasern könne zu einem friedlicheren Miteinander führen. Sogar für die Tempoüberwachung hat Gerrit Manssen eine deeskalierende Idee. Nach österreichischem Vorbild sollte man eine "Section Control" in Deutschland einführen. Bei diesem Verfahren wird die Geschwindigkeit eines Verkehrsteilnehmers per Videokameras und Computer über einen längeren Zeitraum gemessen. "Dann würde der Ärger bei einer Polizeikontrolle zurückgehen", glaubt der Wissenschaftler. "Man hätte nicht mehr das Gefühl, nur in einem einzigen Moment zu schnell gefahren zu sein."

Natürlich spielt auch die Verkehrserziehung mit Emotionen. So läuft bei der nordrhein-westfälischen Polizei seit zwei Jahren ein Projekt namens "Crashkurs NRW". Das Konzept setzt auf direkte Konfrontation: Polizisten, Rettungssanitäter, Notfallseelsorger und Angehörige von Verkehrstoten gehen in Schulen, Berufskollegs und Ausbildungsbetriebe. Dort berichten sie ungeschminkt von ihren persönlichen Erfahrungen und Schicksalen - in der Hoffnung, dass die Dramatik zu einem sicheren Fahrstil animiert. 220 000 junge Erwachsene seien auf diese Weise schon erreicht worden, betonen die Organisatoren. Mecklenburg-Vorpommern hat das Konzept inzwischen übernommen. Auch hier gehören Schockfotos zum Programm, zum Beispiel von einem völlig zerstörten Auto, das wegen einer SMS unter einen Lkw gerutscht ist. Bildunterschrift: "Tippen ging noch, senden nicht mehr."

Führen solche Schockeffekte wirklich zu einem langfristigen Umdenken? Helmut Simon, Leiter der Verkehrsdirektion bei der Kölner Polizei, verteidigt das Projekt: "Selbst wenn wir nur wenige damit retten, hat sich der Aufwand gelohnt." Auf Gefühle setzen auch diverse Plakate, die unter dem Motto "Runter vom Gas" am Rande der Autobahn stehen. Sie zeigen fiktive Todesanzeigen oder mit einem Herz versehene Notizzettel, die am Badezimmerspiegel kleben. Aufschrift: "Fahr nicht so schnell." Gerrit Manssen hält von derartigen "Soft-Maßnahmen" wenig: Es handele sich dabei um "Überlegungen von Schreibtischtätern", die mit der Realität wenig zu tun hätten.

Plakate helfen

Auch Christoph Klimmt dämpft allzu große Erwartungen: Wenn junge Männer sich tatsächlich über die Kampagne unterhielten, dann wohl eher, um im Freundeskreis darüber zu lachen, sagt der Professor für Kommunikationswissenschaft an der HMTM Hannover. Beispiel Notizzettel am Badspiegel: "Junge Männer, die noch keine Verantwortung für eine langjährige Partnerin tragen, können mit den Motiven wenig anfangen", sagt Klimmt. Auch gebe es keine stichhaltigen Beweise, mit denen sich die Wirksamkeit der Plakate belegen ließe. "Der Rückgang der Verkehrstoten", so Klimmt, "liegt wohl eher an Fortschritten der Autotechnik und der Medizin."

Sicherheitskampagne Runter vom Gas!
:Langsam gewinnt

Die Kampagne für langsameres Fahren hat irritiert und aufgerüttelt. Jetzt gibt es neue drastische Motive - demnächst als Plakat an Ihrer Autobahn.

Trotzdem sei es möglich, der Bevölkerung bestimmte Botschaften einzuimpfen, betont der Wissenschaftler. "Kampagnen wie ,Runter vom Gas' setzen ein wichtiges Signal, dass Rasen und Drängeln gesellschaftlich eben nicht akzeptabel sind." Im Rahmen einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach hätten 70 Prozent der Befragten angegeben, die betreffenden Plakate zu kennen. Zumindest im Unterbewusstsein werden die Slogans also wahrgenommen - kaum verwunderlich, dass man solche Plakate in "Alarm für Cobra 11" bisher vergeblich sucht.

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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