Verkehrssicherheit:Wenn Bruce Willis aus dem Mülllaster spricht

SUEZ-Mülllaster mit dem Lautsprecher, aus dem die Stimme von Bruce Willis erklingt.

Die Müllabfuhr im Enzkreis bei Stuttgart setzt sprechende Müllautos ein, um vor dem toten Winkel zu warnen.

(Foto: Steve Przybilla)

Per Lautsprecher warnt die Synchronstimme des Schauspielers Radler und Fußgänger vor dem toten Winkel. Eine gute Sache - wäre da nicht der deutsche Paragrafen-Dschungel.

Von Steve Przybilla

Ein Bruce Willis zögert nicht lange. Einfach mal machen. Fragen kann man immer noch stellen, wenn die Munition verschossen ist. Vielleicht war genau das der Gedanke, der ein neues Produkt auf den deutschen Markt katapultierte: einen blinkenden Lautsprecher, der an Müllfahrzeuge montiert wird. Beim Abbiegen warnt er Fußgänger und Radfahrer vor dem toten Winkel. Doch das ist nicht alles: Statt einer lahmen Computerstimme kommt Bruce Willis zu Wort, genauer gesagt: seine deutsche Synchronstimme. "Vorsicht, das Fahrzeug biegt rechts ab", raunt es aus dem Lautsprecher. "Bitte Abstand halten." Spätestens nach diesem Satz dürfte jeder Fahrradfahrer erschrocken zur Seite springen. Man weiß ja nie, ob Action-Held Bruce nicht gleich um sich schießt.

Was zunächst ziemlich lustig klingt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Allein im Jahr 2015 kamen in Deutschland 383 Fahrradfahrer bei Verkehrsunfällen ums Leben. Ein Szenario wiederholt sich besonders oft: Ein Lastwagen biegt rechts ab und übersieht dabei einen Radfahrer. Häufig ist der sogenannte tote Winkel dafür verantwortlich, jener Bereich rechts neben dem Fahrzeug, den der Fahrer von Innen über die Spiegel nicht einsehen kann. Nicht nur Fahrer von Lkws und Bussen kämpfen mit diesem Problem. Auch die Müllwerker in den sperrigen Entsorgungsfahrzeugen sind betroffen.

Der Stückpreis liegt bei 199 Euro

Bruce Willis sollte da nun Abhilfe schaffen. "Der Fahrer hat eben nur zwei Augen", sagt Martin Schulz, Prokurist bei der Paul Wiegand GmbH. Das hessische Unternehmen vertreibt Ersatzteile für Entsorgungsfahrzeuge in ganz Deutschland. So auch den blinkenden Lautsprecher, der von der britischen Firma Amber Valley produziert wird. "In England hat er mehrere Preise gewonnen", sagt Schulz. "Er ist dort an nahezu jedem Lkw verbaut."

Dass die Synchronstimme von Bruce Willis zum Einsatz kommt, ist allerdings eine deutsche Besonderheit. "Das erregt mehr Aufmerksamkeit", sagt Prokurist Schulz. Billig sei der Synchronsprecher nicht gewesen: "Wir haben eine mittlere vierstellige Summe investiert." Doch der kleine Zusatz habe sich gelohnt. Laut Schulz hat sein Unternehmen bereits 350 Geräte in Deutschland verkauft. Der Stückpreis liegt bei 199 Euro.

Die "endgültige Betriebserlaubnis" fehlt

Besonders stolz war die Stadt Hamm auf die Technik. Im Oktober 2016 präsentierte der kommunale Abfallbetrieb auf dem Recyclinghof zwei sprechende Müllautos. Der Abfuhrchef persönlich stellte sich vor die Fernsehkameras, um von dem "neuen akustischen und optischen Warnsignal" zu schwärmen. Die Rechnung ging auf - zunächst. Für einige Tage erregte Hamm bundesweite Aufmerksamkeit. Der WDR berichtete noch am selben Tag über die sprechenden Müllautos, ebenso die Nachrichtenagentur dpa.

Doch dann trat die Stadt die Kehrtwende an: Nach nur einem Monat baute der Abfallbetrieb die Lautsprecher wieder ab, diesmal ohne Pressekonferenz. Auf Rückfrage schreibt der Pressesprecher der Stadt Hamm eine E-Mail. Der Einsatz der beiden Geräte sei aus Sicht der Kommune ein Erfolg gewesen. Dem Hersteller sei jedoch die "endgültige Betriebserlaubnis" nicht erteilt worden. Von wem, bleibt zunächst unklar. Zu den Hintergründen wisse er nichts, sagt der Sprecher. Man müsse sich dazu an den Hersteller wenden. Ein Schaden sei der Kommune immerhin nicht entstanden: Die Paul Wiegand GmbH habe die beiden Geräte zurückgenommen und die Kosten erstattet.

"Wahnsinnig komplizierte Rechtslage"

Hat die Stadt Hamm also Technik angeschafft, die für den Straßenverkehr gar nicht zugelassen ist? Oder hat es der deutsche Vertriebspartner schlicht versäumt, diese unangenehme Tatsache zu erwähnen? Prokurist Schulz sagt dazu, es gebe in Deutschland eine "wahnsinnig komplizierte Rechtslage". Bis heute wisse er nicht genau, ob der blinkende Lautsprecher nun erlaubt sei oder nicht. "Manche TÜV-Stellen sagen Ja, andere sagen Nein. Und wenn ich da anrufe, ruft nie jemand zurück." Das alles sei sehr frustrierend.

Interessanterweise scheint es in anderen Regionen Deutschlands keine Beanstandungen zu geben. So hat beispielsweise das Entsorgungsunternehmen Suez im Enzkreis in Baden-Württemberg bereits acht sprechende Müllfahrzeuge im Einsatz. Schwierigkeiten bei der Zulassung? "Höre ich zum ersten Mal", sagt Teamleiter Gerd Schwedes. "Wir waren damit auch schon beim TÜV - alles kein Problem." Die Geräte brächten mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger. Langfristig wolle Suez die gesamte Flotte mit den markanten Lautsprechern ausstatten.

Bruce Willis ist nach §55 StVZO nicht erlaubt

Rechtlich könnte das allerdings schwierig werden. Auf Rückfrage bestätigt der TÜV Hessen, "dass für das Gerät derzeit keine attestierte Verwendbarkeit im Bereich der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung vorliegt". Mit anderen Worten: Es zu verwenden, ist illegal. Auch nach europäischen Richtlinien sei das Gerät nicht zulässig - "auch wenn es vielleicht sinnvoll erscheint", heißt es beim TÜV Hessen.

Der TÜV Süd, der angeblich die Genehmigung in Baden-Württemberg erteilt hat, sieht das ähnlich: Es dürften nur Signaleinrichtungen verbaut werden, die ausdrücklich als Schallzeichen im Paragraf 55 der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung erlaubt seien. Genau das sei bei der Bruce-Willis-Ansage aber nicht der Fall. Und auch das Kraftfahrt-Bundesamt erklärt, dass solche Systeme "nach anwendbaren Vorschriften" nicht genehmigungsfähig sind.

"Sonst herrscht Chaos"

Bleibt die Frage, warum eine offenkundig sinnvolle Erfindung in Deutschland nicht erlaubt ist. Welf Stankowitz vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) hat eine Erklärung parat: "Die Idee ist natürlich gut, aber was würde passieren, wenn es gar keine Regelungen mehr gibt?" Irgendwann würde eine Hupe vielleicht bellen. Oder sie miaut. "Und ein Porsche fährt durch die Straße und ruft: 'Macht Platz für mich, ich bin ein Porsche'", sagt DVR-Sprecher Stankowitz.

Ähnliche Diskussionen gebe es seit Langem im Bereich der Elektromobilität. Da die Stromer gerade bei niedrigen Geschwindigkeiten sehr leise unterwegs sind, sollen sie beim Langsamfahren ebenfalls Warngeräusche von sich geben. "Diese müssen jedoch einheitlich und genau definiert sein", sagt Stankowitz. "Sonst herrscht Chaos." Und das sorge eher für weniger als mehr Sicherheit.

Zumindest in einem Punkt sind sich nun alle Beteiligten einig. Damit Bruce Willis weiter Passanten und Radler warnen darf, braucht es eine Ausnahmegenehmigung. "Wir werden uns beim Bundesverkehrsministerium dafür einsetzen", sagt Prokurist Schulz. Die Entsorgungsfirma Suez will den gleichen Weg beschreiten. "Alles andere wäre ja auch absurd", meint ein Firmensprecher. "Zum Glück haben wir einen guten Draht zu Dobrindt."

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