Es ist ein Unfallszenario, das eigentlich - trotz aller Tragik - kaum Aufregung verursacht, einfach weil es alltäglich ist: Ein Fußgänger wird beim Überqueren einer Straße von einem Auto erfasst und stirbt an den Folgen des Unfalls. Obwohl sich jener Unfall in Tempe im US-Bundesstaat Arizona genau so zugetragen hat, ist er keineswegs alltäglich. Denn bei dem Auto handelt es sich um ein selbstfahrendes, das der Fahrdienstvermittler Uber zu Testzwecken einsetzte. Es ist der erste Unfall eines Roboterautos, bei dem ein Mensch stirbt - entsprechend groß ist das weltweite Echo.
Was ist genau passiert?
Das untersucht derzeit die örtliche Polizei zusammen mit den US-Verkehrssicherheitsbehörden NHTSA und NTSB. Nach ersten Erkenntnissen ist das Fahrzeug mit 61 statt der erlaubten 56 Kilometer pro Stunde unterwegs gewesen. Obwohl ein Zebrastreifen nur etwa 100 Meter entfernt war, ging eine Frau Polizeiangaben zufolge mit ihrem Fahrrad an einer ungesicherten Stelle auf die Straße. Es gebe keine Hinweise, dass das Auto abbremste. Polizeichefin Sylvia Moir zufolge zeigen dessen Kamerabilder, dass die Frau direkt aus dem Schatten auf die Fahrbahn getreten sei: "Es ist klar, dass dieser Zusammenstoß in jedem Modus, ob autonom oder manuell, schwer zu verhindern gewesen wäre", sagte Moir der Zeitung San Francisco Chronicle. Ersten Erkenntnissen zufolge treffe Uber keine Schuld an dem Unglück.
Welche Formen des automatisierten Fahrens gibt es?
Fünf Stufen sind definiert: Level-2-Autos, die selbst die Spur halten können, auf Fahrerbefehl die Spur wechseln und die Geschwindigkeit an die Verkehrsregeln anpassen können, sind heute schon regulär auf den Straßen unterwegs. Dabei handelt es sich meist um Oberklassemodelle, die für wenige Sekunden weitgehend selbst fahren, bevor der Mensch hinter dem Steuer wieder die Hände ans Lenkrad nehmen muss. Der von Uber genutzte Volvo ist der zweithöchsten Stufe (Level 4) zuzuordnen, die gerade in mehreren Regionen überall auf der Welt erprobt wird. Während sich das Auto die meiste Zeit selbstständig fortbewegt und dabei mit anderen Autos und der intelligenten Infrastruktur kommuniziert, kann sich der Fahrer bereits anderen Dingen als dem Verkehrsgeschehen widmen. Er muss im Notfall und nach Warnung des Autos aber noch eingreifen können.
Was kommt noch? Wo geht es hin?
Der nächste und schwerste Schritt wäre Level 5. Solche Autos fahren komplett autonom, sie haben kein Lenkrad und keine Pedale mehr - der Fahrer kann nicht mehr eingreifen. Wann es soweit ist, ist unter Experten allerdings umstritten. Optimisten gehen von 2025 aus, andere halten den Beginn erster Testphasen von frühestens 2030 an für realistisch.
Wie sicher ist automatisiertes Fahren bislang?
Der Unfall in Arizona war der erste mit tödlichem Ausgang eines Level-3- oder Level-4-Autos, während es im autonomen Modus fuhr. ( Der Unfall 2016, als ein Tesla-Fahrer bei einem Crash mit einem Lastwagen starb, zählt nicht; er hätte das Unglück mit seinem Level-2-Auto durch sein Eingreifen verhindern können.) Zum Vergleich: Weltweit sterben im Jahr fast 1,3 Millionen Menschen im Straßenverkehr, in den USA sind es mehr als 37 000, in Deutschland etwa 3300. Auch andere Zahlen deuten darauf hin, dass die Maschinen grundsätzlich sicher agieren. Die Autos der Google-Tochter Waymo haben 2016 mehr als eine Million Kilometer abgespult und waren dabei in 13 Unfälle verwickelt - ein Unfall alle 79 000 Kilometer. In den meisten Fällen wurden die Unfälle von anderen Verkehrsteilnehmern verschuldet.
Psychologie-Professor Peter Hancock von der University of Central Florida weist aber auf statistische Unschärfen hin: Autonome Autos sind vorwiegend in den westlichen US-Staaten bei hervorragendem Wetter unterwegs; alle anderen Fahrten herkömmlicher Autos in Verkehrsstatistiken finden aber bei allen möglichen Bedingungen statt, wie zum Beispiel Rush-Hour-Stadtverkehr. Dort sind die meisten Roboterautos derzeit noch völlig überfordert. "Sie fahren meist von Moment zu Moment und sind nicht in der Lage zu antizipieren, was weiter vorn auf der Straße passiert", sagt Hancock. Hier sei der Mensch deutlich besser, obwohl er im Gegensatz zur Maschine müde, verärgert, frustriert oder betrunken sein könne.
Die Technik autonomer Fahrzeuge ist breitgefächert: Videokameras, Ultraschall, Radar- und Laserscanner sowie jede Menge Sensoren. Sie erfassen permanent das Verkehrsgeschehen und tasten alle paar Millisekunden die Umgebung rund um das Auto ab. Im bordeigenen Computer werden alle Informationen der einzelnen Technologiebausteine zu einem Gesamtbild verarbeitet und mit unzähligen dort gespeicherten Szenarien abgeglichen. Das System reagiert entsprechend dieses Gesamtbildes auf die jeweilige Situation. Probleme bereiten bisher noch Extremsituationen wie Abendlicht, schwerer Regen- oder Schneefall und unvorhersehbares Verhalten von Verkehrsteilnehmern. In Zukunft sollen sich die Autos auch noch untereinander vernetzen und Daten austauschen.
Was ist in Deutschland bereits erlaubt?
Deutschland bewegt sich gerade auf Level-3-Niveau. Am 12. Mai 2017 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das Mensch und Computer am Steuer rechtlich gleichstellt. Demnach dürfen vollautomatisierte Systeme die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen und der Fahrer sich vom Verkehr abwenden. Das heißt, er darf zum Beispiel im Internet surfen oder E-Mails lesen. Voraussetzung ist aber, dass der Fahrer jederzeit eingreifen und das System deaktivieren kann. Außerdem muss das System rechtzeitig warnen, wenn es menschliche Unterstützung braucht. Bisher gibt es allerdings kein autonomes Serienfahrzeug, das so weit fortgeschritten ist. Auch beim fälschlicherweise als "Autopilot" bezeichneten System von Tesla handelt es sich nur um ein Assistenzsystem, welches autonome Funktionen wie selbstständiges Überholen und Lenken übernehmen kann.
Wo sind in Deutschland bereits automatisierte Autos unterwegs?
Schon jetzt testen die deutschen Hersteller und andere Unternehmen autonome Fahrzeuge auf deutschen Straßen. Die bekannteste Teststrecke ist der Abschnitt auf der A9 zwischen Nürnberg und München, wo vor allem Audi und BMW aktiv sind. In Bad Birnbach in Bayern ist seit Oktober ein autonom fahrender Bus der Deutschen Bahn unterwegs. In Bremen testet das Zentrum für Technomathematik der Universität sein "AO-Car". Und in Wuppertal fährt rund um das Firmengelände von Delphi das Testfahrzeug des Automobilzulieferers. Dabei soll es aber nicht bleiben. Elf weitere Teststrecken sind in Planung.
Wer führt beim autonomen Fahren? Die USA oder Deutschland? Die Tech- oder die Autokonzerne?
Jedes Jahr erstellen die Unternehmensberatung Roland Berger und die Forschungsgesellschaft fka den "Index automatisiertes Fahren". Dort lagen Ende 2017 die USA und Deutschland fast gleichauf, im Bereich "Industrie" führt die Bundesrepublik das Ranking sogar an. Das liegt vor allem daran, dass Mercedes, BMW und der Volkswagen-Konzern in allen Fahrzeugklassen automatisierte Fahrfunktionen anbieten und diese stetig ausbauen. Diese Autos können bereits jetzt selbstständig im Stau fahren, alleine Einparken oder bei Gefahr bremsen. Damit verdienen die deutschen Hersteller schon jetzt gutes Geld. Amerikanische Autos bieten diese Systeme nur in der Oberklasse an.
Trotzdem droht Deutschland den Anschluss zu verlieren. Nicht nur, weil laut Statistik der kalifornischen Straßenverkehrsbehörde amerikanische Firmen in der Statistik "menschliche Eingriffe pro Fahrleistung" deutlich vorne liegen. Das liegt außerdem daran, dass sich die hiesigen Hersteller auf immer besser funktionierende Assistenzsysteme konzentrieren, während die Amerikaner versuchen, diesen Schritt zu überspringen und direkt zum autonomen Fahren überzugehen. Die Google-Tochter Waymo testet in Arizona bereits Roboterautos ohne Fahrer. In den nächsten Jahren sollen es insgesamt 600 sein. General Motors will bereits 2019 im Stadtverkehr autonome Autos testen. Bis 2021 soll die Flotte auf 500 Fahrzeuge ansteigen. Die Pläne der deutschen Hersteller sind hingegen überschaubar: BMW testet das vollautonome Fahren in 40 Limousinen, Daimler in drei. Volkswagen plant erst ab 2021 größere Tests.
Wie ist die gesetzliche Lage in den USA?
Die USA haben das Verkehrsrecht im Vergleich zu Deutschland bereits stärker liberalisiert. Im September 2017 verabschiedete der US-Kongress den "Self Drive Act". Er erlaubt es jedem Hersteller, jährlich bis zu 100 000 selbstfahrende Autos auf die Straße zu bringen. Die einzige Voraussetzung: Sie müssen genau so sicher sein wie herkömmliche Fahrzeuge. Für Betreiber selbstfahrender Autoflotten wie Lyft, Uber, Google und GM bedeutet dies, dass sie ihre Fahrzeuge für den Massenmarkt testen und wesentlich mehr Daten sammeln können, als dies in Deutschland der Fall ist.
Lassen sich automatisierte Autos hacken?
"Selbstfahrende Autos sind die Krönung aller Worst-Case-Szenarien", sagte Charlie Miller dem Magazin Wired. Ihm war 2015 etwas gelungen, was die Autohersteller weltweit in Angst und Schrecken versetzte. Über die Internet-Verbindung eines Jeep Cherokee stoppte er das Auto von außen in voller Fahrt. Danach stellte ihn Uber als Sicherheitsexperten ein. Laut seiner Meinung vergrößern die vielen Sensoren und Computer in autonomen Fahrzeugen noch das Risiko einer Fremdeinwirkung. Auch eine Studie der TU Dresden prognostiziert, dass das das Unfallrisiko nach der Einführung von autonomen Fahrzeugen zwar erheblich sinken, aber durch ein Datenrisiko abgelöst würde. Denkbar sind sowohl Angriffe auf einzelne Autos als auch das komplette System. Um dies zu verhindern, ist laut Miller eine fundamentale Neuerung der Sicherheits-Architektur von Autos nötig.