Verkehrssicherheit:Gestatten, der neue Crashtest-Kollege!

Neuer Crashtest-Dummy

Letzte Handgriffe: Testingenieur Volker Sandner bereitet den neuen Dummy für einen Einsatz in der Crashtest-Anlage vor.

(Foto: Marco Völklein)

Vollgestopft mit Sensoren und Technologie, und vor allem eindeutig "wabbliger" als ihre Vorgänger: Wie die neuen Dummys der Unfallforschung helfen.

Von Marco Völklein

Was nun neu und anders ist an seinem neuen Mitarbeiter? Reinhard Kolke, der Chef des ADAC Test- und Technikzentrums in Landsberg am Lech, muss da nicht lange überlegen. Eine ganze Menge neue Technik und Sensorik stecke drin im neuen Crashtest-Dummy. Belastungen, die beispielsweise bei einer Vollbremsung auf den Oberkörper wirken, könne er besser, kleinteiliger, ja deutlich sensibler als sein Vorgänger aufzeichnen. Vor allem aber sei er eindeutig "wabbliger" als der alte, wie Kolke sagt. Wie ein Ohnmächtiger lässt der Dummy Beine und Arme hängen, er knickt auch stark im Rückgrat ein, sobald Kolke ihn anheben möchte. "Insofern ist der neue Dummy nun dem Menschen deutlich ähnlicher als sein Vorgänger."

Der stammt in seiner Grundform noch aus den Siebzigerjahren. Und erinnerte zumindest in der Anfangszeit eigentlich mehr an eine Schaufensterpuppe als an ein Hightech-Gerät. Bei den ersten Crashtests, als Autohersteller, Sachverständige und Automobilklubs die ersten Fahrzeuge gegen die Wand fuhren, um zu sehen, wie ein Fahrzeug seine Insassen bei einem Unfall besser schützen könnte - bei diesen ersten Crashtests also wurden die Puppen unter anderem noch mit Perücken ausstaffiert. "Äußerlich sollte alles wirken wie bei einem echten Passagier in einem Fahrzeug", erzählt Kolke. In ihrem Inneren aber waren die ersten Crashtest-Dummys noch weit davon entfernt, den Auto-Insassen exakt abzubilden.

Nach und nach wurde der Ur-Dummy weiterentwickelt, mit zusätzlichen Sensoren ausgestattet, immer weiter verbessert - und immer und immer wieder in zahlreichen Versuchen gegen die Wand gefahren. In den vergangenen 30, 40 Jahren wurden so die Autos immer besser und sicherer. Die Hersteller reagierten auf Tests der Automobilklubs, auch auf gesetzgeberische Vorschriften. Über die Zeit wurden die Fahrgastzellen steifer, die Crash-Elemente ausgefeilter, sodass sie auch starke Stöße besser abfedern und die Auto-Insassen umfassend schützen.

Beim Insassenschutz sind moderne Autos nahezu ausgereift

Im April des vergangenen Jahres crashten Kolkes Leute in ihrer Anlage in Landsberg einen Golf II, Baujahr 1988. Die Fahrgastzelle war danach deutlich eingedrückt, die Pedale weit in den Fußraum geschoben, die A-Säule hatte sich quasi senkrecht aufgestellt. Die Fahrertür ließ sich nur noch mit schwerem Gerät öffnen. "Vermutlich hätten die Insassen schwere Kopfverletzungen davongetragen", sagte ein Tester damals. Der Crash sollte zeigen: Beim Insassenschutz sind moderne Autos nahezu ausgereift. Die Fahrgastzellen sind stabil, technische Systeme sorgen dafür, dass zum Beispiel die Pedale bei einem Crash nicht mehr Füße und Schienbeine zertrümmern. Aus einem aktuellen Golf wären die Insassen vermutlich unverletzt ausgestiegen. Und dennoch geht die Entwicklung weiter. "Was nun ansteht", sagt Kolke, "sind Verbesserungen bei den Rückhaltesystemen im Auto."

Verkehrssicherheit: ADAC-Technikchef Reinhard Kolke.

ADAC-Technikchef Reinhard Kolke.

(Foto: Marco Völklein)

Und dazu setzen er und seine Kollegen insbesondere auf den neuen Mitarbeiter, den Crashtest-Dummy der Zukunft, wenn man so will. Der wurde in den vergangenen zehn, 15 Jahren entwickelt - erste Crashtests laufen schon damit. Und vom Jahr 2020 an soll er vom ADAC und den europäischen Partnerklubs bei allen Tests eingesetzt werden. Deren Crashtest-Programm nennt sich "Euro NCAP", das steht für "European New Car Assessment Programme". Die Klubs unterziehen fast jedes Auto, das neu auf den europäischen Markt kommt, diesen Tests, fahren es unter anderem mit 64 Stundenkilometern gegen einen seitlich versetzten Aluminiumblock. Wer da nicht gut abschneidet, der kann den Wagen eigentlich gleich wieder aus den Verkaufsräumen zurückziehen. Eine schlechte Bewertung beim Euro NCAP, sagt Welf Stankowitz vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), könne sich kaum ein Hersteller leisten.

Metallstreben, die wie menschliche Rippen geformt sind

Mit dem neuen Dummy nun wollen Kolke und die anderen Tester den Druck auf die Automobilbauer erhöhen. In der Brust des neuen Kollegen sitzen zum Beispiel gleich mehrere Metallstreben, die wie menschliche Rippen geformt sind. Vier Messpunkte erfassen nicht nur den Druck, der direkt von vorne auf den Brustkorb wirkt. "Das konnte der alte Dummy auch schon", sagt Kolke.

Die neue Messpuppe indes registriert auch, ob der Brustkorb bei einem Aufprall zusätzlich von der Seite belastet wird. Um das zu verdeutlichen, federt Kolke dabei mit den Fingern seiner beiden Hände: Kracht ein Auto auf ein Hindernis und spannt sich dabei der Gurt um den Oberkörper, federn die Rippen nicht nur nach hinten weg. Mitunter kann es sein, dass sie sich auch zur Seite oder schräg, etwa nach links unten oder nach rechts oben, verschieben. "Und je mehr verschiedene Kräfte auf einen Knochen wirken", sagt Technikchef Kolke, "desto wahrscheinlicher ist es, dass er einen Schaden, vielleicht sogar einen schweren Schaden davonträgt."

Doppelgurtstraffer können textile Lebensretter sein

Aber der neue Dummy kann noch mehr: Sein Vorgänger bestand in der Gegend rund um die Hüfte eigentlich nur aus einem massiven Gelenk, das den schweren Oberkörper und die Oberschenkel miteinander verband. Mehr aber auch nicht. Der neue Dummy dagegen hat auch im Bereich um das Becken herum zusätzliche Sensoren. Die sollen den Auto-Crashern künftig zeigen, ob der Dummy bei einem Unfall mit dem Becken unter dem Hüftgurt quasi durchrutscht. Denn auch ein solches Durchrutschen kann mitunter schwere Verletzungen nach sich ziehen. Kolke sagt: "Wir werden versuchen, die Hersteller hier zu Verbesserungen zu bewegen."

So gebe es bei den Rückhaltesystemen noch eine Menge weiterzuentwickeln. Zwar verbauen viele Hersteller bereits diverse Systeme wie Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer - auch weil Crashtests mit den alten Dummys gezeigt hatten, dass diese die Insassen bei einem schweren Unfall besser schützen. "Doch nun müssen die Systeme smarter werden", fordert Kolke. Doppelgurtstraffer zum Beispiel könnten den textilen Lebensretter nicht nur an einem, sondern gleichzeitig an mehreren Punkten näher an die Autoinsassen drücken. Eine abgestufte Rückhaltung könnte zum Beispiel ältere Menschen davor bewahren, bei einem Crash Rippenbrüche davonzutragen.

Auch bei den Airbag-Systemen sei noch lange nicht alles ausgereizt. Aktuell arbeiten Entwickler zum Beispiel an Airbags für die Mitfahrer im Fond, auch an Konzepten für eine "Habachtstellung" werde getüftelt, sagt Kolke. Durch entsprechende Sensoren könnten Autos bereits vor einem Crash die Schutzsysteme quasi vorwarnen, damit diese im Ernstfall ein paar Millisekunden früher auslösen.

900 000 Euro hat Kolkes neuer Kollege gekostet, bei den Vorgängern lag der Stückpreis lediglich bei 130 000 Euro. Ziemlich viel Geld, oder? Ja, sagt Kolke. Aber erstens ermögliche der neue Dummy nun auch deutlich bessere Testverfahren. Und zum anderen sei ein weiterer, noch besserer Dummy aktuell nicht in der Entwicklung. "Für die nächsten 20 oder 30 Jahre war's das erst mal", sagt Kolke und schaut rüber zu seinem neuen Mitarbeiter. "Auf eine gute Zusammenarbeit."

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