Radfahrer im Straßenverkehr:Gefährdeter als Fußgänger

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Crashtest mit besorgniserregendem Ergebnis: Forscher untersuchen Unfälle zwischen Autos und Radfahrern. (Foto: dpa)
  • Eine aktuelle Studie zeigt: Geht es um Kollisionen mit Autos, sind Radfahrer im Straßenverkehr gefährdeter als Fußgänger.
  • Sicherheitsexperten fordern deshalb strengere Vorschriften bei der Zulassung von Autos. Entsprechende Sicherheitssysteme müssten zum Standard werden.
  • Erste technische Ansätze gibt es bereits. Bis die jedoch flächendeckend verbreitet sind, hilft vor allem eine Sicherheitsausrüstung: der Fahrradhelm.

Eine Analyse von Steve Przybilla

Es geht alles so schnell. Ein Moment der Unaufmerksamkeit, ein kurzer Blick aufs Handy, der schnelle Griff zur Sonnenbrille - und schon knallt's. Der Aufprall ist hart, die Frontscheibe reißt. Mit 40 km/h kracht der Wagen gegen den Radfahrer, eine direkte Kollision mit der Front des Autos, so wie das in 84 Prozent aller Unfälle dieser Art geschieht. Der Radfahrer, in diesem Fall nur ein Dummy, liegt auf der Straße. Ein Bein ist so verdreht, dass es im rechten Winkel absteht. In echt käme es jetzt auf jede Sekunde an.

Hier aber, auf dem Crashtest-Gelände in Münster, ist das Geschehen Teil einer Inszenierung. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), will die Autoindustrie endlich zum Handeln bewegen. "Der Radfahrerschutz", sagt Brockmann, "ist in der Forschung bisher kaum beachtet worden." Er beugt sich zu dem Dummy hinab, bevor er weiterspricht. "Die passiven Maßnahmen zum Fußgängerschutz sind für Radfahrer nicht ausreichend. Da muss dringend etwas passieren."

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Radfahrer sind gefährdeter als Fußgänger

Wie dringend, zeigt eine neue Studie der UDV. Rund 1000 Computersimulationen haben die Unfallforscher durchgeführt, um den Verletzungen der Unfallopfer auf den Grund zu gehen. Demnach sind Radfahrer sogar gefährdeter als Fußgänger, wenn sie mit einem Pkw kollidieren. 2014 war jeder fünfte Tote im Straßenverkehr, also 20 Prozent, ein Radler. Zehn Jahre zuvor waren es noch acht Prozent, obwohl die zurückgelegten Rad-Kilometer von Jahr zu Jahr steigen. In absoluten Zahlen heißt das: 396 Radfahrer sind 2014 tödlich verunglückt - "also jeden Tag einer", mahnt Ludger Koopmann vom Radfahrverband ADFC.

Besonders kritisch wird es, wenn Radler nicht mit der (halbwegs flexiblen) Frontscheibe kollidieren, sondern gegen die Karosserie geschleudert werden. "Ohne Helm hat man da fast keine Chance", sagt Brockmann. Um die Überlebenschancen zu erhöhen, könnten Außenairbags an Autos helfen. Diese würden sich bei einem Unfall vor der Frontscheibe ausbreiten und so den Aufprall abfedern. Vereinzelt gibt es solche Systeme schon, wobei diese allerdings auf Fußgänger zugeschnitten sind. Ob sie sich flächendeckend durchsetzen, ist fraglich.

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Experten fordern schärfere Vorschriften

Für verschärfte Gesetze plädiert dagegen Carmen Hagemeister, Professorin für Diagnostik und Intervention an der TU Dresden. Hagemeister befasst sich seit Jahren mit Rad-Unfällen und ist der Ansicht, dass zu wenig für schwache Verkehrsteilnehmer getan wird. Durch schärfere Vorschriften wären Fahrzeughersteller gezwungen, Technik einzubauen, die sonst nur gegen Aufpreis erhältlich ist.

Dass sich sonst wenig tut, gibt etwa Toyota erstaunlich offen zu: "Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren seinen Fokus auf den Fußgängerschutz gelegt", antwortet ein Firmensprecher auf die Frage, wie er die UDV-Studie beurteile. Serienmäßig würden nur die Technologien verbaut, "die statistisch die höchste Relevanz haben." Walter Niewöhner, Unfallforscher bei der Dekra, äußert dagegen Verständnis für die Zurückhaltung der Industrie. "Man sollte die Entwicklung mit Augenmaß vorantreiben", sagt er. Schließlich wäre niemandem gedient, wenn unausgereifte Systeme auf den Markt kämen. "Sobald zu viele Fehlmeldungen ausgelöst werden, ist ein System verbrannt", sagt Niewöhner. "Deshalb sind die Hersteller sehr vorsichtig, was den Einbau neuer Technik angeht."

Tatsächlich existieren bereits einige technische Ansätze - unter anderem auch bei Toyota, wo man gegen Aufpreis ein Rückfahr-Assistenzsystem ordern kann, das Radfahrer beim Ausparken erkennt. Der Radverband ADFC zählt auf, wie die "fahrradspezifische Sicherheitstechnik" eines jeden Autos aussehen müsste: "Außenairbags über die gesamte Windschutzscheibe, Abbiege- und Bremsassistenten und Signale, die vor sich öffnenden Autotüren warnen."

So weit gehen die Unfallforscher des UDV nicht, schlussfolgern aber: "Der Notbremsassistent mit Radfahrer-Erkennung ist das Mittel der Wahl. Seine Weiterentwicklung und Serieneinführung müssen beschleunigt werden." Immerhin stellen sich schon heute einige Hersteller auf die verschärften Prüfbedingungen ein. So gibt BMW an, aktuell an einem Notbremsassistenten zu arbeiten, der nicht nur Fußgänger, sondern auch Radfahrer erkennt. Volvo bietet bereits seit 2013 ein solches System an, wenngleich gegen Aufpreis. Beim neuen Volvo XC90 ist es nun erstmals serienmäßig an Bord.

Bis solche Systeme auch gesetzlich vorgeschrieben werden, kann es aber noch dauern. Laut Bundesverkehrsministerium wird zurzeit auf EU-Ebene geprüft, ob Notbremsassistenten auch für andere Fahrzeugklassen als Lkw vorgeschrieben werden könnten. Das klingt nach einer langen Debatte. Auch die UDV hält sich mit derartigen Forderungen auffällig zurück. Ein innerstädtisches Tempolimit von 30 km/h, wie es etwa die Grünen fordern, lehnt Siegfried Brockmann ab: "Das würde in den meisten Fällen nicht helfen", sagt er, "denn die meisten tödlichen Unfälle passieren mit sehr niedrigem Tempo: beim Ausparken, Abbiegen und beim Rückwärtsfahren."

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VW hat den neuen Tiguan schon mal serienmäßig mit einer sogenannten aktiven Motorhaube ausgestattet. "Dabei hebt ein Mechanismus die Motorhaube an, falls ein Fußgänger oder Radfahrer bei einem Crash damit in Kontakt kommt", erklärt VW-Sprecher Peter Weisheit. "Dadurch wird der Abstand zwischen dem harten Motor und der vergleichsweise weichen Haube vergrößert und so die Schwere gefährlicher Kopfverletzungen reduziert." UDV-Experten sehen das allerdings kritisch: "In Einzelfällen sind diese Hauben sogar kontraproduktiv, denn je nach Flugbahn könnte das Unfallopfer die harte Kante der Motorhaube treffen - und sich dadurch noch schwerer verletzen."

Während Industrie und Verbände weiter über die Sicherheit debattieren, rät Siegfried Brockmann allen Radfahrern zum Selbstschutz: "Es gibt eine Maßnahme, die jeder selbst treffen kann: Tragen Sie einen Helm."

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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