Verkehrspolitik:Mobil machen

Autobauer stellen Einhaltung ihres Klimaziels in Frage

Nur wenn sich an der Verkehrspolitik radikal etwas ändert, werden auch die Staus wie hier auf dem mittleren Ring in München seltener werden.

(Foto: dpa)

Autofahrer im Stau entnervt, Bahnfahrer von Verspätungen zermürbt - die Bürger in Deutschland sind zu Recht über die Verkehrspolitik erbost. Die Lage ist so verfahren, dass jetzt radikale Lösungen notwendig sind.

Kommentar von Josef Kelnberger

In vielen Neujahrsansprachen wird nun wieder zu hören sein, die Deutschen sollten ihren Hang zur Nörgelei bändigen und sich auf das Wesentliche besinnen. Deutschland sei eines der wohlhabendsten Länder der Welt, nirgendwo funktioniere das Gemeinwesen besser. Man solle, bei aller Kritik, froh sein, in diesem Land leben zu können. Solche Appelle wirken nachvollziehbar in Zeiten, in denen die Populisten Ängste schüren. Jedoch hat sich gerade im Umgang mit der Migration gezeigt, dass es nichts bringt, Probleme, die der Staat seit Jahren nicht in den Griff bekommt, in wohlfeile Worte zu hüllen. Weniger Wut, Bürger, mehr Maß und Mitte bitte: Auf deutschen Bahnsteigen und Straßen jedenfalls wird die Durchsage eher das Gegenteil bewirken.

Wenn in der Mangelwirtschaft der Bundeswehr kaum noch Flugzeuge fliegen und Panzer rollen, ist das ein bedenkliches Zeichen für das Gemeinwesen, betrifft aber nicht den Alltag der Menschen. Den maroden Zustand vieler Schulen, den Mangel an Ärztinnen, Pflegern, Lehrern mag man mit Fatalismus hinnehmen. Die jahrelangen Versäumnisse der Verkehrspolitik aber treiben mittlerweile Millionen Menschen jeden Tag buchstäblich an den Rand der Verzweiflung.

Die Deutsche Bahn ist im Nah- wie im Fernverkehr wegen ihrer Pannen und Verspätungen oft nur noch mit Sarkasmus zu ertragen. Immer mehr Fahrgäste werden, wie Statistiken zeigen, handgreiflich gegen das Personal. Die Staus auf den Straßen werden immer länger, doch viele Berufspendler ziehen den Stress im Stau immer noch dem S-Bahn-Chaos vor. Und nun bricht das Jahr der Dieselfahrverbote an, eine historische Zäsur: Die Politik verliert die Kontrolle über die Straßen.

Beginnend am 1. Januar in Stuttgart, werden nach und nach in deutschen Städten Dieselautos ausgesperrt. Die Gerichte geben den Takt der Verbote vor, weil die Regierungen jahrelang die Luftverschmutzung durch Dieselautos ignoriert haben, aus Rücksicht auf Autoindustrie und Autofahrer. Wann welcher Diesel wo noch fahren darf und wo nicht mehr, weiß niemand so genau, ebenso wenig, wie die Verbote zu kontrollieren wären. Regierung und Industrie wollen die Verbote ohnehin auf die Schnelle überflüssig machen, und manchmal hat man den Eindruck: Sie wollen sie unterlaufen.

Niemandem wehtun löst keine Probleme

Im Jahr 2018 wurde ausgiebig darüber debattiert, warum die Volksparteien so massiv an Zustimmung verlieren. Jenseits der Flüchtlingsfrage finden sich exemplarische Antworten auch in einer Verkehrspolitik, die niemandem wehtun will, kein Problem löst, damit die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet und die Bürger frustriert. Weder nimmt der Staat die Autokonzerne konsequent in Haftung für die Dieseldreckschleudern, die sie unters Volk gebracht haben, noch nimmt er den Anspruch der Stadtbewohner auf saubere Luft ernst. So untergräbt die Politik das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Es sei Zeit für "radikale Antworten" auf die Probleme in Deutschland, sagt Grünen-Chef Robert Habeck immer wieder. Er scheint damit einen Nerv zu treffen, seine Partei liegt in den Umfragen bei 20 Prozent. In der Verkehrspolitik trifft seine Analyse zweifellos zu. Es geht um die Lebensqualität in den Städten, den Schutz des Klimas, um Zehntausende Arbeitsplätze und auch um den Zusammenhalt in Deutschland.

Der Streit um den Diesel spaltet die Gesellschaft. Die Kluft verläuft zwischen Arm und Reich, denn nur Menschen mit hohem Einkommen können sich nun einen sauberen Diesel leisten. Und sie verläuft zwischen Stadt und Land. Multimobile Städter mögen sich lustig machen über die Liebe vermeintlicher Provinzler zu ihrer Blechbüchse. Aber auf dem Land bedeutet das Auto immer noch Freiheit, und die individuelle Mobilität trägt viel bei zum Wohlstand in Deutschland. Fast eine Million Menschen sind direkt in der Branche beschäftigt. Umso wichtiger ist es, einen Konsens herzustellen über die Mobilität der Zukunft.

Keine alternativen Antriebe, sondern weniger Autos

Wenn nun manche Städte, um Fahrverbote zu vermeiden, schnell E-Autos anschaffen, dafür aber keine geeigneten deutschen Modelle finden - dann fasst das zusammen, was schiefgelaufen ist in den vergangenen Jahren. Auf Zukunftskongressen reden Automanager gern von vernetzter E-Mobilität, vor den eigenen Aktionären rühmen sie nach wie vor die SUVs, der Rendite wegen. Die Politik darf ihnen das nicht mehr durchgehen lassen.

Und von einigen Lebenslügen der Verkehrspolitik sollte man sich schleunigst verabschieden. Zum Beispiel von dem Glauben, der Diesel könne wegen seines geringeren Verbrauchs das Klima retten. Dem Klima helfen nur elektrisch betriebene Fahrzeuge. Den Verkehrskollaps in den Städten wiederum werden auch E-Autos nicht lösen, ebenso wenig Carsharing, autonomes Fahren oder intelligente Verkehrsleitsysteme. In den Ballungsräumen sind schlicht zu viele Autos unterwegs. Deshalb muss die Politik mehr Menschen dazu bewegen, von der Straße auf die Schiene umzusteigen.

Die aktuelle Krise der Deutschen Bahn mag deshalb sogar hilfreich sein, denn offensichtlich wird: Das Unternehmen braucht angesichts seiner veralteten Infrastruktur ein Investitionsprogramm historischen Ausmaßes. Um den Ausbau von U- und S-Bahn zu finanzieren, hat Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn gerade wieder eine Nahverkehrsabgabe ins Gespräch gebracht: Wer in den Kessel fährt, soll zwangsweise ein Ticket für den ÖPNV erwerben. Wie zu erwarten, schlägt Kuhn ein Sturm der Entrüstung entgegen. Aber wer möchte darauf wetten, dass die Abgabe nicht doch irgendwann kommt? In Stuttgart, dem Geburtsort des Automobils, nach dem Krieg autogerecht gebaut wie keine andere deutsche Stadt, hat sich lange Zeit auch niemand vorstellen können, dass ausgerechnet dort die ersten großflächigen Dieselfahrverbote in Kraft treten könnten.

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