Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Ist länger wirklich besser?

Fünf Jahre wurden Lang-Lkw getestet, seit Kurzem gilt der Regelbetrieb. Und prompt gibt es erneut Streit wegen der übergroßen Lastwagen.

Von Marco Völklein

Wenn Jürgen Bannasch einem Gast zeigen soll, wie sich ein Lang-Lkw so schlägt, dann dreht er eine kurze Runde um das Firmengelände in Biessenhofen bei Kaufbeuren. Bannasch steuert den 25 Meter langen Truck raus in den Kreisverkehr vor dem Firmengelände, fährt zurück auf das Areal der Spedition. Dort biegt er um einige 90-Grad-Kurven. Und dockt zum Abschluss rückwärts an die Verladerampe an. "Gar kein Problem", sagt der Trucker. "Der fährt sich leichter als jeder andere Lkw." Zuletzt musste Bannasch die Runde wieder und wieder absolvieren. Denn sein Chef Wolfgang Thoma, geschäftsführender Gesellschafter der Spedition Ansorge, bittet immer wieder Zweifler zu sich auf den Hof, um ihnen die Angst vor den Riesen zu nehmen. Polizisten waren da, Mitarbeiter aus Verkehrsämtern, selbst Abgeordnete der Grünen aus dem bayerischen Landtag saßen schon auf dem Bock. Denen erklärt Thoma, dass er die Lang-Lkws pendeln lässt zwischen dem Lager in Biessenhofen und den Containerbahnhöfen in Ulm und München. "Viele", sagt Thoma, "sind am Ende von dem Konzept überzeugt."

So wie er es schon lange ist. Seit 2012 läuft ein Großversuch auf deutschen Straßen; Ansorge-Chef Thoma war von Anfang an dabei. Unter Federführung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sollten Wissenschaftler herausfinden, wie sich die überlangen Lkws auf die Verkehrssicherheit auswirken, ob sie den ohnehin schon bröckelnden Brücken zusätzlich zusetzen. Und ob sie dem darbenden Güterverkehr auf der Schiene weitere Marktanteile streitig machen.

Seit Kurzem liegt der Abschlussbericht der BASt vor. Demnach gibt es "keine relevanten Veränderungen der maximalen Bauwerksbeanspruchungen". Für Straßen und Brücken sei "kein erhöhter Erhaltungsaufwand" zu erwarten. Und auch die Fahrer der überlangen Laster seien nicht mehr gestresst als ihre Kollegen in den Normal-Lkw. Zum Jahreswechsel überführte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) daher per Verordnung die Lang-Laster in den Regelbetrieb. Das heißt: Das Versuchsstadium ist - zumindest für die bei Spediteur Thoma eingesetzten Lang-Lkws vom Typ 3 - abgeschlossen. Für Typ 1 wurde der Versuch um sieben Jahre verlängert, für Typ 2 um ein Jahr. Theoretisch könnten die überlangen Trucks nun also in großem Stil auf die Straßen rollen.

Doch das wird so nicht stattfinden, glauben Branchenvertreter wie Thoma. Denn nach wie vor sind die Lang-Lkws im Saarland und Berlin nicht erlaubt. Und in den anderen Ländern limitiere das "Positivnetz" den Einsatz der überlangen Trucks. So dürfen sie grundsätzlich nur auf den bundesweit 11 600 Straßenkilometern fahren, die für sie freigegeben wurden (etwa 70 Prozent davon sind Autobahnen). Das Netz kann zwar erweitert werden, doch das sei in der Regel "ein langwieriger, schwieriger Prozess", sagt Thoma. So müssen die örtlichen Verkehrsbehörden und Polizeidienststellen zustimmen; auch Anlieger und Verbände werden gehört. Und immer wieder werde man ausgebremst.

Das kann Anton Klott bestätigen. Auch der Technische Leiter bei Edeka Südbayern setzt Lang-Laster seit 2012 ein. Seine drei Lkws vom Typ 2 pendeln zwischen den Logistikstandorten in Straubing, Landsberg und Gaimersheim bei Ingolstadt; die Belieferung der einzelnen Supermärkte übernehmen nach wie vor klassische Transporter. Auch Klott schwört auf die Lang-Lkws: 30 Prozent weniger Spritverbrauch, 50 Prozent mehr Ladung - statt drei normalen seien nun zwei lange Lkws unterwegs, um die gleiche Menge zu transportieren. Das entlaste Umwelt und Straßen, sagt Klott. "Wir sind hochzufrieden." Auch Sicherheitsbedenken räumt er beiseite: Die Trucks sind mit Kameras ausgerüstet; die Fahrer verfügen über zahlreiche Monitore für die Sicht nach hinten und zur Seite. Ein selbstentwickelter Abbiegeassistent warnt den Fahrer, sollte sich ein Radler oder Fußgänger im toten Winkel aufhalten. Klott sagt: "Unsere Lang-Lkws zählen damit zu den sichersten auf Deutschlands Straßen." Gerne würde er auch das vierte Edeka-Lager im südbayerischen Trostberg per Lang-Lkw ansteuern.

Doch da legt sich bislang ein Fahrgastverband noch quer. Tatsächlich ist es vor allem die Schienenbranche, die gar nicht begeistert ist von den langen Lastern. Das zeigen schon semantische Spitzfindigkeiten: Während Spediteure vom Lang-Lkw sprechen, nennen Güterbahnlobbyisten wie Dirk Flege von der Allianz pro Schiene die Dinger "Monster-" oder "Riesen-Trucks". Der Begriff Lang-Lkw sei verharmlosend, sagen Bahner - und werde der Bedrohung für ihre Branche nicht gerecht. Denn aus deren Sicht werden die langen Laster künftig noch mehr Güter von der Schiene auf die Straße abziehen. Allein schon, weil sie den Spediteuren Kostenvorteile zwischen 15 und 25 Prozent bringen, wie der BASt-Bericht bestätigt. Laut einer Studie der Technischen Hochschule Wildau und der Technischen Uni Berlin könnten zwischen sieben und acht Prozent des Schienengüterverkehrs auf die Straße abwandern.

Mit dem Regelbetrieb werde "ein Anreiz gesetzt, mehr Straßengüterverkehre zu schaffen", sagt Philipp Kosok vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Die BASt-Forscher konnten während des Versuchs zwar "kaum Verlagerungen von Bahn und Binnenschiff" auf die Straße feststellen; auch der Spediteursverband BGL sieht "keine Konkurrenz zum Kerngeschäft" der Schienenbranche. Doch Bahn-Lobbyist Flege ist da anderer Ansicht: Da nur wenige Fahrzeuge beteiligt waren, könne der fünfjährige Versuch mögliche Verlagerungsrisiken nicht seriös abschätzen. Der Grünen-Politiker Stephan Kühn verweist darauf, dass die bis zu 25 Meter langen Laster vom Typ 2 und 3 nicht in die Nothaltebuchten vieler Tunnel passen. Bei einer Panne ragen sie laut BASt bis zu 1,90 Meter in die Fahrbahn hinein. Zudem sei auf den ohnehin überlasteten Autobahn-Parkplätzen zu wenig Raum für die langen Trucks. Dieser müsse erst teuer geschaffen werden, sagt Kühn. Dobrindt ignoriere also Sicherheitsbedenken. "Und er verschweigt zusätzliche Infrastrukturkosten."

Die Frage ist, ob nun die Zahl der Lang-Lkws sprunghaft ansteigt. Laut Dobrindts Ministerium sind aktuell etwa 160 Lang-Trucks unterwegs. Die BASt-Forscher rechnen damit, dass die Zahl in den nächsten Jahren um nicht mehr als 1000 Fahrzeuge steigt. Doch VCD-Mann Kosok ist skeptisch: Bislang habe sich das Interesse der Spediteure am Feldversuch zwar in Grenzen gehalten. Doch es sei gefährlich, das auf die Zukunft hochzurechnen. Die Kostenvorteile lägen schließlich auf der Hand.

Zuletzt hatte Dobrindts Vorgehen auch innerhalb der Bundesregierung zu Verwerfungen geführt. So störte sich das Umweltministerium daran, dass Dobrindt in seiner Verordnung für die verlängerten Sattelzüge vom Typ 1 die Beschränkung auf das Positivnetz aufgehoben hat. Das heißt: Zumindest in acht Bundesländern, darunter Flächenländer wie Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, dürfen die bis zu 17,8 Meter langen Laster auf allen Straßen fahren - ganz ohne Ausnahme. Bahn-Vertreter Flege lässt nun rechtliche Schritte prüfen.

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SZ vom 07.01.2017/reek
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