Verkehrsplanung:Tausende Mieträder verstopfen europäische Großstädte

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Zürich, München und jetzt Frankfurt: Leihräder aus Fernost lassen den Platz in vielen europäischen Städten noch knapper werden. In Deutschland wird nun nach Rezepten gesucht - und Verbraucherschützer warnen vor Geschäften mit Kundendaten.

Von Markus Balser, Berlin, und Christoph Giesen, Peking, Berlin/Peking

Was da auf seine Stadt zukommt? Dan Orbeck ahnt es. Sie liefern über Nacht. Eine Firma aus Singapur wird von diesem Samstag an massenweise gelb-silberne Fahrräder ins Zentrum Frankfurts bringen. Man habe das Management noch gebeten, dass es nicht gleich Tausende sind wie in Amsterdam oder München, sagt Orbeck. Aber der Referent des Verkehrsdezernats weiß auch: "Machen können wir ohnehin nichts." Das habe man sogar im Deutschen Städtetag besprochen. "Es gibt einfach keine Handhabe gegen abgestellte Fahrräder in Innenstädten."

Was deutsche Stadtplaner derzeit nicht nur am Main umtreibt, ist eine regelrechte Invasion. Mieträder aus Fernost lassen den Platz in vielen europäischen Städten noch knapper werden, verstopfen Geh- und Radwege. Zuerst waren Amsterdam, Madrid, Mailand, Valencia, London, Brüssel und Zürich dran. Dann ging es in München los. 7000 Räder standen plötzlich auf Grünstreifen und Kreuzungen. Jetzt Frankfurt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sollen mehrere andere Großstädte folgen. Allein in Berlin sitzen gleich acht Anbieter in den Startlöchern.

Verkehrsforscher halten Bike-Sharing-Konzepte für ein Zukunftsmodell. "Sie können im Nahverkehr eine sinnvolle Ergänzung sein und Städte von Autoverkehr entlasten", sagt Christian Hochfeld, Chef der Berliner Denkfabrik Agora Verkehrswende. Doch immer mehr Metropolen gehen auf die Barrikaden und planen wie derzeit Paris Regeln gegen die drohende Radflut. Als "Rogue Bike Share" - frei übersetzt: rüpelhafte Fahrrad-Verleiher - werden die Anbieter in den USA beschimpft. Den Stadtplanern stößt auf, dass Firmen die Räder oft konzeptlos über Städte verteilen - zum Teil ohne kaputte Räder zu entsorgen.

Fast alle der neu entstandenen Rad-Imperien stammen aus Asien. In Frankfurt und München etwa kommen die Räder von dem erst im vergangenen Jahr gegründeten Unternehmen Obike aus Singapur - laut eigenem Anspruch die "weltweit smarteste Bike-Sharing-Plattform". Doch es gibt inzwischen ein halbes Dutzend Konkurrenten aus China und Hongkong. Sie heißen Yobike, Mobike oder Ofo.

Verbraucherschützer fürchten "die Datenabzocke"

Praktisch funktioniert das Ausleihen immer gleich. Über eine heruntergeladene App lassen sich die Räder per Handy orten, mieten und bezahlen. Die Preise sind günstig. Wer eine Kaution von 30 bis 80 Euro hinterlegt, kann für einen Euro pro halbe Stunde aufsteigen. Verbraucherschützer halten neue Angebote auf dem Markt für wichtig. Denn bislang teilen die beiden etablierten Angebote Call a Bike und Nextbike den deutschen Mietrad-Markt unter sich auf. "Je mehr Anbieter, desto besser werden die Geschäftsmodelle", sagt Marion Jungbluth, Teamleiterin Mobilität vom Verbraucherzentrale-Bundesverband.

Wäre da nicht dieses Risiko: "Wir sehen die Gefahr, dass das Ziel von Anbietern die Datenabzocke sein kann", warnt Jungbluth. Das Verführungspotenzial sei für Kunden angesichts niedriger Tarife oder sogar erster kostenfreier Angebote groß, Daten preiszugeben. Technisch sei es dann möglich, Bewegungsprofile zu erstellen. "Da muss man aufpassen", rät Jungbluth. Gleiches gelte für das mobile Zahlen, das mit den Rad-Angeboten gefördert wird. "Wir brauchen hier mehr Verbraucheraufklärung."

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Wo die neuen Verleiher aktiv werden, nehmen viele Kunden das Angebot an. 50 000-mal wurde die Obike-App seit September allein in München heruntergeladen, sagt Marco Piu, 43, Deutschland-Chef des Unternehmens. Man habe den Datenschutz gerade in den Geschäftsbedingungen verschärft. "Wir handeln nicht mit den persönlichen Daten unserer Kunden." Andere Anbieter aber räumen in den Geschäftsbedingungen ein, die Daten an Geschäftspartner weiterzureichen.

Anders ist auch kaum zu erklären, warum sich finanzkräftige asiatische Investoren aus der Technologieszene reihenweise in das Geschäft mit Fahrrädern einkaufen. Zum Beispiel der Iphone-Hersteller Foxconn oder der Internetkonzern Tencent. Sie interessieren sich weniger für Mobilität als für Daten: Von wo bis wo ist man gefahren? Wie lange sitzt man auf dem Sattel? Wie oft nimmt man dieselbe Route? Stellt man sein Rad immer korrekt ab oder auch mal im Halteverbot? Informationen, die bei den Vorläufermodellen der Angebote in China in Werbung, aber auch in die Bewertung der eigenen Bonität münden. Alles wird gesammelt, archiviert und analysiert. Der Staat hat ständig Zugriff. Datenschutz ist in China kein Thema.

Das Geschäftsmodell lohnt sich in Fernost bereits. China ist seit jeher das Land der Radfahrer. Fast jeder radelte. Phönix oder Fliegende Taube hießen die Modelle aus staatlicher Produktion. Sie hatten Nummernschilder und ganz wichtig: eine mächtige Klingel. Wer noch in den Neunzigerjahren in China eine Straße überqueren wollte, musste irgendwie den Radler-Strom durchbrechen. Nun ist er wieder da.

Denn auf den Bürgersteigen der Metropolen tobt der Start-up-Krieg bereits fast flächendeckend. Alle paar Meter stehen in Shanghai oder Peking jetzt Leihfahrräder. An belebten Kreuzungen sind es oft ganze Fuhrparks. 100 Stück und mehr sind beileibe keine Seltenheit. Als Fußgänger muss man im Zickzack laufen.

2,35 Millionen Leihräder sind allein in Peking im Einsatz

Begonnen hat alles vor gut einem Jahr. Erst waren da die gelben Räder, dann die silberfarbenen, auf einmal blaue, allmählich kann man fast den Überblick verlieren, so viele Anbieter gibt es. Ende 2016 rühmten sich die Pioniere von Ofo, gut 50 000 Fahrräder in Peking aufgestellt zu haben. Ein Bruchteil von dem, was heute in der Hauptstadt unterwegs ist. 2,35 Millionen Leihfahrräder seien aktuell in Peking im Einsatz, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua vor Kurzem. Um den Massen an abgestellten Fahrrädern Herr zu werden, haben etwa in Shanghai Behörden damit begonnen, Parkverbote für bestimmte Straßen auszusprechen. Aber auch die Start-ups selbst reagieren. Mit Lastwagen sammeln Arbeiter in Peking überschüssige Fahrräder ein und verteilen sie wieder über das Stadtgebiet.

In Deutschland wollen die Anbieter neue PR-Desaster gern verhindern, nachdem sich Politiker in Zürich und München über Schrotträder im Straßenbild mokiert hatten. "Ich kann den Ärger verstehen. Das war zu viel", sagt Piu. "Da sind Fehler passiert. Man wollte zu schnell in der Stadt starten." In Frankfurt komme man der Bitte der Stadt nach und starte erst mal nur mit etwa 500 Rädern. Die Anbieter wollen Vertrauen aufbauen, schließlich haben sie in den nächsten Monaten mit den Deutschen noch einiges vor. "Wir wollen in weiteren Großstädten aktiv werden", kündigt Piu an. "Mit einer stehen wir in konkreten Gesprächen über einen Start in diesem Jahr. Andere können im nächsten folgen. Das Geschäftsmodell kann aber auch weltweit funktionieren", sagt Manager Piu. Obike wolle auch außerhalb Europas Angebote starten.

"Wir reden von tausenden, gar hunderttausenden"

Ralf Kalupner, Gründer und Chef von Nextbike, hat den Weg in Deutschland frei gemacht für Anbieter, die nicht auf Ausschreibungen von Städten warten wollen. Als in Hamburg die Bahn vor einigen Jahren mit Call a Bike den Zuschlag bekam, stellte er seine Räder trotzdem auf. Hamburg klagte dagegen und verlor. Jetzt beobachtet Kalupner, wie er selbst angegriffen wird. "Die Chinesen haben große finanzielle Ressourcen." Kalupner wünscht sich deshalb mehr Schutz. "Die Städte, die sich von chinesischen oder deutschen Leihradanbietern überfluten lassen möchten, sollen dies auch tun können. Aber die Städte, die es klüger angehen möchten, sollten klarere rechtliche Rahmenbedingungen erhalten. Wir reden ja nicht von ein paar Hundert Fahrrädern wie bei uns damals in Hamburg, sondern von Tausenden, gar Hunderttausenden."

In China werden die Räder vor allem für die letzten ein, zwei Kilometer genutzt. Wenn Taxis und Busse mal wieder im Stau stecken und die nächste U-Bahn-Station nicht in Sicht ist. In keiner Stadt der Welt wird länger gependelt als in Peking. Derzeit sind es jeden Tag 105 Minuten. Die U-Bahnen sind so voll, dass man unmöglich das eigene Fahrrad aus einem der Außenbezirke mit ins Zentrum mitnehmen kann. Man steigt deshalb um aufs Leihrad.

Erbitterter Kampf um die Kunden

Der Nutzer registriert sich online, dazu knipst man ein Selfie mit aufgeschlagenem Pass und zahlt eine Kaution. Per Smartphone scannt man einen Code am Schutzblech ein und bekommt die Nummer für das Zahlenschloss. Bezahlt wird bargeldlos über die weitverbreiteten Dienste Alipay oder Wechat. Eine Stunde Radfahren kostet etwa einen Yuan - etwa 13 Euro-Cent.

Noch allerdings zahlen Kunden oft nichts. Ständig bekommt man Geld gutgeschrieben - so erbittert ist der Kampf. Bislang ist erst ein Start-up pleite- gegangen. Im Juni musste Wukong Bikes in Chongqing in Westchina den Dienst einstellen. Die Firma hatte 1200 Fahrräder in der Stadt aufgestellt - mit einem Schönheitsfehler: Man hatte vergessen, die Fahrräder mit GPS-Empfängern auszurüsten. Die Räder sind nun verschollen, irgendwo in der Millionenstadt.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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