Verkehrslärm:Wer leisen Verkehr will, braucht bessere Reifen

Illustration Verkehrslärm

Das ewige Rauschen des Straßenverkehrs wird von den Reifen verursacht, die über den Asphalt rollen.

(Foto: Illustration: Sead Mujić)
  • Verkehrslärm macht krank. Das Umweltbundesamt führt jährlich 4000 Herzinfarkte darauf zurück.
  • Die bisherigen Maßnahmen - bauliche Veränderungen, Gesetze für leisere Autos - haben kaum Linderung gebracht.
  • Das größte Potenzial scheint in der Verbindung von Reifen und Asphalt zu liegen. Doch auch hier sind Verbesserungen schwer umzusetzen.

Von Felix Reek

Mallorca, der Deutschen liebste Insel. 28 Grad, der Sand glitzert golden in der Sonne. Dazu das Rauschen des Meeres, ein Säuseln, ein Labsal für die Seele. Wer dieses Geräusch hört, dessen Körper entspannt sich sofort. Alle Sorgen und der Ärger im Job, von ein paar gleichmäßig anrollenden Wellen hinweggespült. Zu Hause sieht das ganz anders aus. Dort gibt es auch ein stetes Rauschen: das des Verkehrs in den Innenstädten. Doch der wird in den seltensten Fällen als Erholung angesehen. Ganz im Gegenteil.

Dem Umweltbundesamt zufolge ist der Straßenverkehr die dominierende Lärmquelle in Deutschland. 55 Prozent der Bevölkerung sind tagsüber einem Pegel von 55 Dezibel (dB(A)) ausgesetzt. 2,5 Millionen Menschen müssen sogar 65 dB(A) ertragen. Das entspricht dem Krach einer gut gefüllten Kantine. Und das ist auch der Wert, ab dem Geräusche Stress verursachen und die Gesundheit gefährden. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass 4000 Herzinfarkte pro Jahr auf das Konto des Verkehrslärms gehen.

Dabei ist nicht einmal das Dröhnen der Motoren das größte Problem. Fährt ein Pkw im Stadtverkehr mit niedrigen Drehzahlen, ist ab Tempo 30 das Reifenfahrbahngeräusch lauter als der Motor. Der gleiche Effekt tritt bei Lkw ab 50 km/h auf. Eine Ausnahme sind Motorräder. Ihre Aggregate sind immer lauter. Die logische Schlussfolgerung daraus: Wer den von Autos und Lastwagen verursachten Lärm bekämpfen will, braucht leisere Reifen und Fahrbahnbeläge.

Doch so einfach ist es nicht, denn physikalisch ist das Zusammenspiel von Pneu und Asphalt ziemlich vertrackt. Laut ADAC ist ein Reifen mit Luftfüllung vergleichbar mit der Membran eines Lautsprechers. Von der Straße und dem Profil des Reifens wird sie ständig angeregt, sodass sie Schalldruckwellen abstrahlt. Rollt der Pneu schneller, erhöht sich die Energie und somit der Geräuschpegel. Weiteren Einfluss haben das Profil, durch dessen Zwischenräume Luft zur Seite gepresst wird, und die Art des Fahrbahnbelags. Kopfsteinpflaster zum Beispiel ist sehr laut.

Flüsterasphalt ist gut, hält aber nicht lange

Um dieses Problem zu lösen, experimentieren Städte bereits seit Jahren mit sogenanntem "Flüsterasphalt". Der Straßenbelag besteht zu einem Viertel aus Hohlräumen, die aus den Reifen ausströmende Luft und somit den Schall schlucken. Die Ergebnisse sind gut: Der Verkehrslärm verringert sich um zwei bis fünf dB(A). Das Problem des Flüsterasphalts: Er ist teuer, seine Wirkung lässt mit der Zeit nach, und er ist nicht so stabil wie herkömmliche Fahrbahnen, besonders, wenn viele Lkw darüberfahren. Im Rahmen eines Pilotprojekts in München musste die Fahrbahn bereits nach sieben Jahren generalsaniert werden. Der Straßenbelag war vollkommen verschlissen.

Bleiben also die Reifen. Schon heute variiert die Lautstärke der im Handel erhältlichen Pneus. Unterschiede von drei bis vier Dezibel sind möglich. Zu erkennen an den EU-Reifenlabel-Daten, die im untersten Feld das Rollgeräusch in dB(A) angeben.

Die einfache Formel "weniger Rollwiderstand = leiseres Abrollgeräusch" funktioniert laut dem Hersteller Dunlop aber nicht. Rollwiderstand und Außengeräusch haben nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun. Um einen Pneu leiser zu machen, müssen das Profil, die verwendeten Gummimischungen und die Reifenkarkasse, also die tragende Gewebeschicht, optimiert werden. Betreibt man das zu konsequent, verliert der Pneu an Grip - und ist damit weniger sicher. Es gilt also, einen Kompromiss zu finden.

Viele Methoden, aber wenig Erfolg

Andere Maßnahmen versuchen, den Verkehr mittels Regulierung leiser zu machen. Grüne Wellen vermeiden Staus und verringern die Geräusche, die entstehen, wenn Autos immer wieder anfahren und bremsen. Intelligente Leitsysteme verteilen den Verkehr besser. Das sorgt für ein dB(A) weniger Lärm.

Besser funktioniert, die Geschwindigkeit in den Innenstädten auf Tempo 30 zu reduzieren. Die Wirkung laut Bundesumweltamt: zwei bis drei dB(A). Doch das Verfahren ist umstritten. Die Befürchtung: Ungeduldige Autofahrer könnten von den großen Verkehrsadern auf kleinere Straßen ausweichen und dort wieder mehr Lärm produzieren.

Autos müssen leiser werden - ein bisschen

Noch weniger Erfolg versprechen passive Methoden wie zum Beispiel bauliche Maßnahmen. Tunnel und Lärmschutzwände erzielen nur dann gute Ergebnisse, wenn sie von vornherein mitgeplant werden. Erfolgt der Schallschutz an einer stark befahrenen Straße erst im Nachhinein, muss jedes einzelne Haus dieser Prozedur unterzogen werden. Spezieller Putz kann zum Beispiel Geräusche absorbieren oder Schall abwehrende Fenster den Lärm verringern. Solange sie geschlossen bleiben. Aber das ist teuer, und die Bewohner müssen bis auf einige Förderprogramme den Umbau selbst zahlen.

Auch der Versuch, die Motorengeräusche zu minimieren, war ein halbherziges Unterfangen. 2016 führte die EU nach 20 Jahren Stillstand neue Grenzwerte für die Lautstärke von Pkw und Lkw ein. Sie orientieren sich am sogenannten Leistungsgewicht der Autos, berechnet in PS je Tonne. Heißt: je schwerer, umso lauter. Ein leistungsstarkes Auto darf mehr Krach verursachen als ein Kleinwagen. Für ein Auto mit 163 PS gelten seitdem zum Beispiel 72 statt 74 dB(A). Bis 2026 soll der Grenzwert auf 68 dB(A) sinken.

Das klingt schlüssig, hat aber einen Haken: Es gibt kein unabhängiges Testverfahren. Die Anforderungen gelten als erfüllt, wenn der Hersteller technische Unterlagen vorlegt, aus denen hervorgeht, dass sein Fahrzeug die Lärmnorm erfüllt.

Gegen Auspuff-Poser hilft der leiseste Reifen wenig

Der zu erwartende Effekt der neuen Regelungen ist aber sowieso gering. Das Umweltbundesamt ließ untersuchen, welche Lärmminderung die neuen Grenzwerte bringen. Selbst ohne Berücksichtigung des steigenden Verkehrsaufkommens in den nächsten Jahren sinkt dadurch der durchschnittliche Geräuschpegel von Autos nur um zwei dB(A). Und ein Schlupfloch gibt es auch noch. Zwar sind den Motorensound verändernde Systeme wie zum Beispiel per Knopfdruck öffnende Auspuffklappen in Zukunft verboten. Doch ein Auto mit mehr als 272 PS pro Tonne darf vier Dezibel lauter sein als ein gewöhnlicher Pkw - eine "Lex Sportwagen" sozusagen. Und gegen unbelehrbare Auspuff-Poser auf zwei oder vier Rädern hilft auch der leiseste Reifen oder der teuerste Asphalt wenig.

Das Allheilmittel, um den krank machenden Lärm zu vertreiben, gibt es also nicht. Wirkliche Linderung ist nur möglich, wenn alle Maßnahmen ineinandergreifen und konsequent durchgeführt werden. Wenn grundsätzlich über das Verkehrsaufkommen in Ballungszentren nachgedacht wird und Länder und Kommunen mehr in das öffentliche Verkehrsnetz, Carsharing und den Ausbau des Radverkehrs investieren. Nur so kann es in den Städten spürbar leiser werden. So lange, bis das Grundrauschen nicht mehr an Stress und Verkehr erinnert, sondern an einen Strand auf Mallorca.

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