Verkehrsgerichtstag in Goslar:Wenn der Senior das Stoppschild übersieht

Autofahren im Alter

Senioren sind grundsätzlich sichere Autofahrer. Doch je älter sie sind, um höher ist das Unfallrisiko.

(Foto: dpa)
  • Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar sind Senioren am Steuer ein zentrales Thema.
  • Grundsätzlich verhalten sich die Über-65-Jährigen sicher im Straßenverkehr. Doch wenn Fahrer der Generation "75 plus" an einem Unfall beteiligt sind, haben sie ihn meist auch verursacht.
  • Ein Verkehrspsychologe plädiert für verpflichtende Tests - und rät Angehörigen, wie sie fahruntaugliche Senioren dazu bewegen können, ihren Führerschein abzugeben.

Von Thomas Harloff

Es ist ein Dialog, den viele so ähnlich schon einmal mit älteren Autofahrern geführt haben dürften. "Oh, das war aber knapp jetzt", sagt der Beifahrer, als der rechte Außenspiegel nur knapp die Hüfte des Radfahrers verfehlt. "Quatsch, das hatte ich im Blick", lautet die knappe Antwort von der Fahrerseite. Ein paar Straßen weiter kommt der Gegenverkehr beim Linksabbiegen gefährlich nahe, dessen schrille Hupe klingt noch lange im Ohr. Als es in der nächsten Baustelle wieder enger wird als nötig, fällt ein Satz, der selten etwas Gutes verheißt: "Du, wir müssen reden."

Senioren am Steuer: Ein Thema, mit dem sich der noch bis zum 27. Januar stattfindende Verkehrsgerichtstag in Goslar intensiv beschäftigt. Zuvor forderten viele Experten Fahrtauglichkeitstests für ältere Autofahrer. "Spätestens ab dem 75. Lebensjahr sollen Untersuchungen verpflichtend sein", sagt Verkehrsanwalt Christian Funk. Die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr müsse ähnlich wie beim Führerscheinerwerb von neutralen Stellen überprüft werden. Immer mehr Politiker, der Automobil Club Europa (ACE) und die Versicherer sehen das ähnlich und bringen Tests mit Empfehlungscharakter ins Spiel. Bei schlechter Beurteilung wäre der Führerschein also nicht direkt weg.

Pflicht-Tests für ältere Autofahrer "bringen erhebliche Einschränkungen ohne adäquaten Sicherheitsgewinn", sagt dagegen Kay Nehm, der Präsident des Verkehrsgerichtsgerichtstags, vor dem Kongress. Tatsächlich zeigen die Zahlen, dass Senioren sehr sichere Verkehrsteilnehmer sind. 2015 waren nur 12,9 Prozent aller Unfallbeteiligten in Deutschland 65 Jahre oder älter. Dabei beträgt ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung 21 Prozent. Ihr Risiko, in einen Unfall verwickelt zu werden, liegt bei nicht einmal 60 Prozent des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung. Allerdings fahren Senioren auch deutlich weniger als jüngere Menschen.

Hinzu kommt: Je älter Verkehrsteilnehmer werden, umso stärker steigt dieses Risiko. Wer 75 Jahre oder älter ist, verursacht in drei Vierteln der Fälle den Unfall auch selbst. Ein höherer Wert als bei der eigentlichen Hochrisikogruppe, den Fahranfängern im Alter von 18 bis 24 Jahren. Und ein immer größeres Problem, schließlich wird die Anzahl der Senioren in den kommenden Jahren überproportional steigen und gleichzeitig die Verkehrsdichte zunehmen.

Nicht alle Senioren erkennen ihr Problem selbst

Vielen geht die Forderung nach Pflicht-Tests jedoch zu weit. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat beispielsweise oder die großen Automobilclubs wie ADAC und AvD bringen freiwillige Angebote ins Spiel. So böten Hausärzte Untersuchungen an oder könnten bei Fahrschulen, TÜV und Dekra Fahrstunden genommen oder Fahrtrainings absolviert werden. Auch die Stellen, die Medizinisch-Psychologische Untersuchungen (MPU oder "Idiotentest") durchführen, können Menschen auf ihre Fahrtüchtigkeit testen.

"All diese Angebote funktionieren gut", sagt Verkehrspsychologe Fritz Becker, der sich in seiner Arbeit oft mit älteren Menschen beschäftigt, die nicht mehr in der Lage sind, ein Auto zu fahren. Allerdings nur bei Senioren, die ihr Problem selbst erkennen. Die fahren Beckers Erfahrung zufolge jedoch meist besser als jene, die sich für gute Fahrer halten, es aber nicht mehr sind. Genau die seien das Problem. "Bei diesen Leuten ist die Tendenz zur Schuldabschiebung sehr ausgeprägt. Da fahren immer die anderen rücksichtslos und sind die anderen schuld", sagt Becker. "Deshalb sind Pflicht-Tests eine gute Sache." Zumal das Ergebnis vertraulich bleibe und nur eine Empfehlung sei.

Körperliche und psychische Schwächen, die sich teilweise sogar gegenseitig verstärken, seien mit zunehmenden Alter einfach normal: "Wer seinen Kopf zum Beispiel nicht mehr im vollen Umfang drehen kann, nimmt einfach nicht so viel wahr", sagt Becker. Hinzu komme, dass die Aufmerksamkeitsleistung und die Fähigkeiten, komplexe Informationen möglichst synchron zu verarbeiten, nachlassen.

"In dem Moment denken viele: Jetzt ist es aus"

Das erklärt, dass die allermeisten von Senioren verursachten Unfälle durch missachtete Vorfahrt oder beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren passieren. Versehen also. Nicht angepasste Geschwindigkeit, sonst die Unfallursache Nummer eins, spielt hier kaum eine Rolle. In den seltensten Fällen verursachen Senioren Unfälle wegen Überholfehlern oder Alkoholeinfluss.

Doch dem Psychologen Becker ist bewusst, warum vielen älteren Menschen der Abschied vom Autofahren so schwer fällt. "Manch einer fühlt sich persönlich abgewertet, und den Führerschein abzugeben, hat ja auch etwas Endgültiges", sagt Fritz Becker. Für Senioren, die in Städten mit einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr leben, sei das noch erträglich. Schwieriger sei es für die Altersgenossen in ländlichen Regionen: "In dem Moment denken viele: Jetzt ist es aus."

Um die Konsequenzen abzuschwächen, sollten Angehörige älteren Familienmitgliedern ihre Hilfe anbieten, beispielsweise als Chauffeur. Grundsätzlich sei eine menschliche, abgestufte Vorgehensweise sinnvoll, meint Becker: "Am Anfang muss es über Kommunikation gehen. Man sollte das Thema behutsam zur Sprache bringen und abwarten, wie der andere reagiert. Zum Beispiel, indem man fragt: 'Du, hast du gerade bemerkt, wie eng das war?'"

Doch wenn reden nichts hilft, solle man auch vor drastischen Maßnahmen nicht zurückschrecken. Etwa auch, die eigenen Kinder nicht mehr bei Oma und Opa mitfahren zu lassen? "Das mag sehr rigoros erscheinen, aber das wäre ein Mittel, das dem Betroffenen das Problem klar vor Augen führt."

Mit Material der dpa

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