Verkehrsgerichtstag Goslar:Führen höhere Bußgelder wirklich zu mehr Sicherheit?

26 Mal geblitzt und Stinkefinger in Kamera gezeigt

Was wohl dieser Motorradfahrer, der in München 26 mal an derselben Stelle geblitzt wurde, von höheren Bußgeldern hält?

(Foto: picture alliance/dpa)
  • Die Experten des Verkehrsgerichtstages (VGT) in Goslar sprechen sich für höhere Bußgelder bei Verkehrsverstößen aus.
  • Nicht jeder hält das für richtig. Der VGT-Präsident hält die Empfehlung für "vollends sonderbar".
  • Kritik gibt es vor allem an den Polizeivertretern. Sie hätten ihre Forderung "durchgedrückt".

Von Marco Völklein

Vor einiger Zeit hatte Thomas Ketzler eine Schülerin aus Vietnam bei sich im Auto sitzen. "Die findet es toll, dass es hier in Deutschland so viele Regeln gibt", berichtet der Fahrlehrer aus München. "Ganz anders als in ihrer Heimat." Doch dann habe ihn die junge Frau verwundert angeschaut und gefragt: "Aber warum haltet Ihr Euch dann nicht dran?"

Ketzler hat die Geschichte auf dem Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar erzählt. Dort kommen jedes Jahr Ende Januar fast 2000 Juristen und Fachleute für Verkehrstechnik und -sicherheit zusammen, um über Fragen des Verkehrsrechts zu diskutieren. In der Vergangenheit flossen VGT-Empfehlungen immer wieder in Gesetzestexte ein. In diesem Jahr ging es unter anderem um die Frage, ob Bußgelder angehoben werden sollen, um die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten und Verletzten zu senken.

Die Antwort der Fachleute in Goslar fiel klar aus: Sie plädieren in ihrer Empfehlung für eine "spürbare Anhebung" der Bußgelder bei "sicherheitsrelevanten Vergehen", also Tempo-, Abstands- oder Überholverstößen. Und sie fordern eine "verstärkte Androhung von Fahrverboten".

Anlass für die Diskussion liefert ein Blick in die Unfallstatistik. Zwar sinkt die Zahl der Unfalltoten seit Jahren - so zum Beispiel von 7500 im Jahr 2000 auf zuletzt etwa 3200. Doch aus Sicht vieler Unfallforscher reicht das nicht aus. Schließlich hatte die Bundesregierung zu Beginn der Dekade das Ziel ausgerufen, bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken - das wären nur noch 2200 Todesopfer. Doch dieser Wert sei kaum mehr zu erreichen, glaubt Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft DPolG. Und der Verkehrsrechtler Peter Schlanstein von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Münster sagt: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist keine Besserung zu erwarten." Zumal auch die Zahl der Schwerverletzten in den vergangenen Jahren bei etwa 67 000 pro Jahr stagnierte, wie Gerd Petersen vom Polizeipräsidium Nordhessen betont: "Das damit verbundene Leid darf man nicht ausklammern."

In anderen europäischen Staaten sind Verkehrsverstöße teurer

Auf der Tagung in Goslar machten sich denn auch vor allem Polizisten wie Wendt und Petersen für höhere Bußgelder stark. Aber auch Automobilklubs schlossen sich an: "Eine Anhebung der Bußgelder wäre die richtige Reaktion auf die zunehmende Aggression im Straßenverkehr", findet beispielsweise Stefan Heimlich, Vorsitzender des Auto Club Europa (ACE). Denjenigen, die sich nicht an die Regeln halten wollten, "denen muss das wehtun", ergänzt Petersen.

Zumal in anderen europäischen Staaten wie der Schweiz oder Dänemark Verkehrsteilnehmer mitunter deutlich mehr zahlen müssen, wenn sie bei einem Verstoß erwischt werden. Wer etwa in der Schweiz 20 Stundenkilometer schneller fährt als erlaubt und erwischt wird, der zahlt laut ACE mindestens 165 Euro. In Deutschland würden dafür 30 bis 35 Euro fällig. Heimlich fordert, die Höhe der Bußgelder an das Einkommen des Verkehrsteilnehmers zu koppeln. Arnold Plickert, Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), lobte die Empfehlung des VGT denn auch als "wichtiges Signal, das der Gesetzgeber jetzt zügig aufgreifen muss".

Fahrverbote statt höherer Geldstrafen

Doch ob der das tun wird, ist offen. Nach Auskunft von Korinna Rakowski aus dem Bundesverkehrsministerium überarbeiten Experten ihres Hauses derzeit zwar den Bußgeldkatalog - und werden einen ersten Entwurf voraussichtlich im Laufe des Jahres vorlegen. Doch aus ihrer Sicht können die teils hohen Strafen in den Nachbarstaaten für Deutschland "kein Leitbild sein". Deutschland verfolge da eine andere Philosophie: Statt mit hohen Beträgen abzuschrecken, versuche man hierzulande, beispielsweise über das Punktesystem und zeitlich befristete Fahrverbote Verkehrssünder zur Einsicht zu bewegen.

An diesem System, das meint auch der scheidende VGT-Präsident Kay Nehm, von 1994 bis 2006 Generalbundesanwalt in Karlsruhe, sollte man unbedingt festhalten. "Lässliche Sünden begeht jeder mal", sagt der einstige Chefankläger der Republik - etwa wenn man aus Unachtsamkeit eine Tempobegrenzung übersehe. Die Forderung nach schärferen Strafen hätten die Polizeivertreter auf dem VGT "durchgedrückt".

Es gibt bereits Forderungen nach neuen Tempolimits

Der ADAC weist außerdem darauf hin, dass auch der verstärkte Einsatz von Fahrerassistenzsystemen sowie mehr Aufklärungsarbeit Unfälle verhindern könnten. Der Automobilklub AvD wiederum plädiert unter anderem für eine Umgestaltung vor allem von Landstraßen, um diese sicherer zu machen. Und Ministeriumsvertreterin Rakowski ergänzt, für die These "höhere Strafen = weniger Verkehrsopfer" gebe es keine fundierten Belege.

Tatsächlich fordert auch der Verkehrsgerichtstag in seiner Empfehlung, bundesweit eine entsprechende "empirische Basis" zu schaffen. Mit der könne dann gezeigt werden, ob schärfere Sanktionen tatsächlich wirken. Für VGT-Präsident Nehm wird die Empfehlung spätestens da "vollends sonderbar", wie er sagt. Ohne eine zahlenbasierte Basis eine Verschärfung zu fordern, dafür habe er kein Verständnis.

Höhere Bußgelder könnten ohnehin nur dann wirken, wenn genügend kontrolliert werde - da waren sich die Experten wiederum einig. Daher sollte die Polizei ihre Kontrollen insbesondere an "Unfallhäufungsstellen" ausweiten; zudem sollten sie so angelegt sein, dass bei den Verkehrsteilnehmern nicht der Eindruck entstehe, sie sollten zugunsten öffentlicher Kassen abkassiert werden. Hilfreich sei auch, erwischte Sünder möglichst rasch zur Rechenschaft zu ziehen: Ein geblitzter Autofahrer, ein Radfahrer, der in entgegengesetzter Richtung auf dem Radweg fährt, oder ein Fußgänger, der die rote Ampel missachtet - sie alle könnten "eine Strafe eher akzeptieren und verstehen, wenn sie sofort nach einem Verstoß über ihr Fehlverhalten aufgeklärt werden", sagt Markus Schäpe vom ADAC. Das European Transport Safety Council (ETSC) schätzt, dass etwa jeder zweite Unfall verhindert werden könnte, wenn die Verkehrsteilnehmer die Regeln einhalten würden.

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