Verkehr und Klimaschutz:Ohne Elektroautos sind die Klimaschutzziele in Gefahr

Heavy fog shrouded northeastern China.

Ein Polizist regelt in Harbin in China den Verkehr. Gegen den Smog in der Luft soll der Mundschutz helfen.

(Foto: Hao Bin/dpa)
  • Die Treibhausgasemissionen des Verkehrs sinken viel zu langsam. Autos leisten derzeit kaum einen Beitrag zum Klimaschutz.
  • Schuld ist der anhaltende Trend zu großen und schweren Autos, beispielsweise SUVs. Auch die aktuelle Diesel-Skepsis torpediert die CO₂-Strategie der Hersteller.
  • Nur mit einer flächendeckende Verbreitung von Nullemissionsfahrzeugen werden die Klimaziele zu erreichen sein.

Von Joachim Becker

Fast alle wollen weg vom Öl. Was auf Klimakonferenzen beschlossen wird, hat mit der Realität aber wenig zu tun. Die Abhängigkeit von der schwarzen Droge ist nicht geringer, sondern eher größer geworden: Massige SUV- und Crossover-Modelle machen mittlerweile 25 Prozent der Neuwagenflotte aus. Wenn Autos immer größer und leistungsstärker werden - wie können sie dann wesentlich sparsamer sein?

Ob Diesel oder Benziner: Der Verkehr ist in Deutschland weiterhin zu über 90 Prozent vom Erdöl abhängig. Statt der Energiewende auf der Straße erleben wir eher einen Technologiestau. Ihr Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ohne Aufhebens wieder kassiert. Kein Wunder, dass es seit 1990 keine Fortschritte beim Klimaschutz im Verkehr gibt.

Die Treibhausgasemissionen im Automobilsektor sollen bis zum Jahr 2030 um 40 bis 42 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 gemindert werden. Tatsächlich gibt die bisherige Entwicklung aber wenig Grund zur Hoffnung: Zwischen 1990 und 2014 wurden die Treibhausgasemissionen im Verkehr lediglich um zwei Prozent reduziert.

Ohne einen signifikanten Umstieg auf Elektrofahrzeuge ist der weitere Stillstand vorprogrammiert. Klar ist aber auch, dass noch immer mehr als die Hälfte des deutschen Stroms aus Kohle und Gas stammt. Gerade die alten Braunkohlekraftwerke sind kein Ruhmesblatt für den Umweltschutz. Sie stehen oft in strukturschwachen Regionen. Aus Angst vor einem Verlust von Arbeitsplätzen wehren sich etliche Landespolitiker vehement gegen einen Ausstieg aus der dreckigen Energie.

Das E-Auto hat einen CO₂-Vorteil von 45 Prozent

Muss der Technologiewandel im Straßenverkehr also auf ein noch stärkeres Wachstum der erneuerbaren Energien warten? Nein, sagt der Umweltverband Transport & Environment (T&E). Elektroautos würden selbst dann weniger Klimagase ausstoßen, wenn sie mit Kohlestrom angetrieben werden. Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet - inklusive der Fahrzeug- und Batterieproduktion - seien die Stromer auch in den Kohleländern Polen und Deutschland umweltfreundlicher als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren unterwegs. Laut T&E liegt der entsprechende Ausstoß von Klimagasen bei einem E-Mobil in Polen um 25 Prozent niedriger. In Deutschland betrage der CO₂-Vorteil sogar 45 Prozent, und in Ländern wie Schweden mit einem hohen Anteil an grünem Strom liege er sogar bei 85 Prozent.

Den Berechnungen des Freiburger Öko-Instituts zufolge kommen reine Elektrofahrzeuge beim derzeitigen Energie-Mix in Deutschland auf 85 Gramm CO₂ je Kilometer. Benziner setzen die Forscher mit einem CO₂-Ausstoß von 201 Gramm je Kilometer im Alltagsbetrieb an, bei Dieselmodellen sind es 174 Gramm. Diese Zahlen liegen deutlich über den aktuellen Normwerten. Unstrittig unter Experten ist allerdings, dass Fahrzeuge außerhalb des Testlabors wesentlich mehr Klimagase ausstoßen. Doch selbst bei den Normwerten kommen die Autohersteller nicht vom Fleck.

Der SUV-Trend gefährdet die Klimaziele

Der Verbrauch und damit die CO₂-Emissionen von Pkw sinken immer langsamer. Hauptursache sind die steigenden Marktanteile von schweren Hochdachautos - und sinkende Dieselzulassungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Im vergangenen Jahr lag der durchschnittliche CO₂-Ausstoß im Testzyklus bei 127,4 Gramm je Kilometer - lediglich etwa ein Prozent niedriger als 2015. Das europäische Flottenziel von 95 Gramm pro Kilometer scheint bis 2021 kaum noch erreichbar. Zumindest dann nicht, wenn Marken wie Audi (132,8 g/km), BMW (127,6 g/km inklusive Mini) und Mercedes (131,9 g/km inklusive Smart) nicht wesentlich mehr E-Autos verkaufen.

Auch eine Studie der PA Consulting Group rechnet damit, dass die Autohersteller BMW, Hyundai-Kia, Fiat-Chrysler, Ford, Peugeot-Citroën (inklusive Opel und Vauxhall) und Volkswagen ihre Zielwerte für 2021 nicht erreichen werden. Beim Reißen der verpflichtenden CO₂-Grenzwerte drohen Strafzahlungen teils in Milliardenhöhe - nach aktueller Rechnung 1,7 Milliarden Euro für VW, gefolgt von Fiat Chrysler mit 1,2 Milliarden Euro. "Die Automobilhersteller müssen ihre Industrie neu erfinden, um CO₂-Emissionen zu reduzieren und schnell näher rückende Grenzwerte für 2021 zu erreichen", sagt Thomas Göttle, Head of Automotive bei PA. Verschärfend kämen aktuelle Ankündigungen aus der Politik für Verbote von Verbrennungsmotoren hinzu: Bereits für 2025 in Norwegen und den Niederlanden, für 2040 in Großbritannien und Frankreich, sowie Diskussionen dazu in Deutschland und China.

Die Hersteller setzen auf die 48-Volt-Systeme

Der stark rückläufige Dieselanteil torpediert die CO₂-Strategie der deutschen Autohersteller. Zumal billiger Kraftstoff keinen Anreiz für den Kauf von teurer Spartechnik bietet. Das merken die Hersteller beim schleppenden Absatz von Elektroautos. Und das werden sie bei der Einführung von Niedervolt-Hybrid-Fahrzeugen aller Voraussicht nach erneut zu spüren bekommen: 48-Volt-Systeme sollen als nächster Effizienzschritt die Masse der Neuwagen sparsamer machen.

Bis 2025 soll jeder BMW-Verbrenner über ein 48-Volt-System verfügen. Audi und Mercedes sind beim Einsatz von Starter-Generatoren mit 48 Volt sogar schon weiter, selbst Volkswagen bereitet den Einsatz in der Großserie vor. Realistisch mindern sie den Verbrauch um acht Prozent, indem sie Schubenergie beim Bremsen zurückgewinnen. Aber auch Mikro-Hybride kosten gehörig Geld. Derartige Diät-Benziner werden fast so teuer wie Dieselmodelle, die ihrerseits durch höhere Umweltauflagen immer aufwendiger und daher teurer werden.

Die Hersteller überbieten sich mit Ankündigungen

Auch wenn Prognosen in der aktuellen Situation schwierig sind: Ohne die breite Einführung von sogenannten Nullemissionsfahrzeugen werden die Klimaziele kaum zu erreichen sein. Derzeit überbieten sich die Hersteller mit Ankündigungen: Mercedes will bis zum Jahr 2022 mehr als zehn reine Elektroautos auf den Markt bringen. BMW kontert mit 25 elektrifizierten Modellen bis zum Jahr 2025 - zwölf davon voll elektrisch. VW-Konzernchef Matthias Müller will sein Unternehmen sogar zur weltweiten Nummer eins in der Elektromobilität machen: "Bis 2025 werden wir weltweit mehr als 80 neue elektrifizierte Modelle zu unseren Kunden bringen: darunter fast 50 reine E-Fahrzeuge und 30 Plug-In-Hybride", kündigt Müller an. Im Jahr 2025 soll weltweit bereits jedes vierte neue Fahrzeug aus dem Volkswagen-Konzern rein elektrisch angetrieben werden.

"Durch die Entscheidung für oder gegen Elektroautos wird der Kunde darüber entscheiden, ob wir unser Klimaziel erreichen", sagt Audi-Chef Rupert Stadler. Aber es geht nicht nur um Klimaziele, sondern um die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland. Die hiesigen Hersteller investieren derart viel Geld in die Elektromobilität, dass ein Scheitern fatale Folgen hätte. "Es geht um die Transformation einer über Jahrzehnte gewachsenen Wirtschaftsstruktur, die Fortschritt und Wachstum für Viele gebracht hat - und die es wert ist, fortzubestehen", mahnt der VW-Konzernchef. Das sei kein Appell für ein "weiter so!". Vielmehr gehe es um einen geordneten, wohl überlegten Systemwechsel vom Verbrennungsmotor ins Elektrozeitalter.

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